Kultur Iran 28. September 2016

Dokumentarfilm "Raving Iran" seit dem 29. September im Kino

Szene aus dem Dokumentarfilm "Raving Iran" von Susanne Regina Meures

Szene aus dem Dokumentarfilm "Raving Iran" von Susanne Regina Meures

Anoosh und Arash sind die Helden von Teherans Underground-Techno-Szene, die immer wieder ins Visier der Behörden gerät. Der Dokumentarfilm "Raving Iran" zeigt, wie die beiden DJs trotz der staatlichen Repression Freiräume für ihre Musik erkämpfen.

Von René Wildangel, Referent der deutschen Amnesty-Sektion für den Nahen und Mittleren Osten

Dass es im Iran jenseits der strengen Gesetze der Islamischen Republik eine riesige Underground-Szene gibt, ist längst kein Geheimnis mehr. In der Öffentlichkeit ist es zwar verboten, "westliche" Musik zu spielen, auch weibliche Sängerinnen sind Tabu. Aber besonders in Teheran existiert eine regelrechte Parallelwelt mit vielen kreativen Freiräumen.

Zum Teil toleriert das der Staat durchaus, denn die konservative Führung der Islamischen Republik weiß, dass ein großer Teil der Bevölkerung die offiziell proklamierte "reine Lehre" strikt islamischer Werte nicht teilt. Dennoch gibt es Grenzen, und wer aus Sicht der Regierung zu weit geht, begibt sich in große Gefahr.

So wie die beiden DJs Anoosh und Arash, die als "Blade & Beard" wilde Partys veranstalten. Wenn sie auffliegen, drohen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und Organisatorinnen und Organisatoren harte Strafen. Auch die beiden DJs saßen schon im Gefängnis.

Über eineinhalb Jahre hat die Schweizer Regisseurin Susanne Regina Meures Anoosh und Arash für die Dokumentation "Raving Iran" mit versteckter Kamera begleitet.

Wenn die DJs eine Party in der Wüste organisieren, gleicht der logistische Aufwand einer Himalaya-Expedition. Alles muss detailliert geplant werden und so aussehen, als wären hier lediglich ein paar Jugendliche auf einen Ausflug. Bei Kontrollen darf nichts verdächtig wirken, die Frauen haben neben ihren kurzen Partyklamotten auch stets den Tschador griffbereit. Der Ort muss möglichst abgelegen sein, damit die Partys keine Aufmerksamkeit erregen.

Szene aus dem Dokumentarfilm "Raving Iran" von Susanne Regina Meures

Szene aus dem Dokumentarfilm "Raving Iran" von Susanne Regina Meures

Wer im Iran eine offizielle Genehmigung für Auftritte oder Veröffentlichungen bekommen möchte, muss sich beim "Ershad" registrieren lassen, dem Ministerium für Kultur und islamische Führung. Doch die Registrierung von "unislamischen" Musikgruppen wie "Blade & Beard" ist nicht vorgesehen. Trotzdem versuchen sie es und präsentieren der zuständigen Mitarbeiterin, die komplett in einen schwarzen Tschador gehüllt ist, ihr Albumcover. Die reagiert gar nicht unfreundlich, aber zunehmend skeptisch. "Bärte und Rasiermesser? Wollt ihr euch über die Bärtigen lustig machen? Das könnten die euch persönlich nehmen", sagt sie gut gelaunt, und stellt dann klar: "Also: Da darf nichts Westliches drauf sein. Kein Englisch."

Mit einer offiziellen Genehmigung für das Album und die Band wird es nichts. So muss das Duo sein Albumcover ohne Genehmigung vervielfältigen lassen und die Musik illegal unter das Volk bringen. Nach einer langen Partynacht, in der die Musik bei einer Razzia mal wieder nicht schnell genug abgedreht wird, nimmt die Polizei Anoosh fest. Er landet im Gefängnis und berichtet hinterher, dass er dort mit 70 Schwerverbrechern in der Zelle saß. Am liebsten würde das Duo den Iran verlassen und den absurden staatlichen Kontrollwahn hinter sich lassen.

Obwohl die Briefkommunikation im Iran überwacht und zensiert wird, schicken sie ein paar Exemplare ihres Albums zu internationalen Festivals und werden prompt zum Lethargy Festival in Zürich eingeladen. Ihre Reise in die Schweiz verläuft traumhaft: Endlich tanzen Menschen völlig sorgenfrei zu ihren Tracks. Lokale Radiostationen bringen Interviews, sie genießen das Festival. Und fühlen sich dennoch fremd an einem unbekannten Ort. Das Heimweh ist enorm. Bis zur letzten Szene zögern sie: Bleiben oder gehen? Erst im Taxi zum Flughafen fällt die Entscheidung.

Die Geschichte von Anoosh und Arash steht sinnbildlich für die zahlreichen iranischen Künstlerinnen und Künstler und Intellektuellen, die für ihre grundlegenden Rechte auf freie Meinungsäußerung und Kunstfreiheit große Opfer bringen. Sie alle wollen am liebsten eines: Im Iran bleiben, sich dort verwirklichen. Das ist für die meisten aber nicht möglich oder lebensgefährlich.

Susanne Regina Meures gelingt mit ihrer Dokumentation ein berührender Film, der Klischees vermeidet. Dass die Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktivem verschwimmt, tut ihm gut. Er bietet Einblick in ein widersprüchliches Land, dessen Gesellschaft ganz und gar nicht den gängigen Klischees vom Mullah-Staat entspricht, das aber seine überwiegend junge Bevölkerung noch immer auf unerträgliche Weise gängelt und ins Exil drängt.

Denn Kunst zu machen im Iran - das kann schnell wie ein schweres Verbrechen geahndet werden, wie nicht nur "Raving Iran" zeigt, sondern auch der Fall der Brüder Rajabian. Der Musiker Mehdi Rajabian und sein Bruder, der Filmemacher Hossein Rajabian, waren am 26. April 2015 nach einem dreiminütigen Prozess vor einem Revolutionsgericht zu mehreren Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt worden. Sie waren wegen ihrer künstlerischen Arbeit und "Beleidigung islamischer Heiligkeiten" sowie "illegaler audiovisueller Tätigkeiten" angeklagt worden. Amnesty International setzt sich für ihre Freilassung ein.

Werden auch Sie aktiv! Beteiligen Sie sich an unserer "Urgent Action" und fordern Sie die Freilassung von Mehdi und Hossein Rajabian!

Hier geht es zur "Urgent Action" - jetzt mitmachen!

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