Venezuela: Menschenrechtler*innen freilassen!
Familien demonstrieren in Venezuelas Hauptstadt Caracas für die Freilassung ihrer Angehörigen, die bei regierungskritischen Protesten festgenommen wurden (29. Juli 2024).
© Laura Rangel
Am Abend des 12. August wurde die Menschenrechtlerin Martha Lía Grajales unter Auflagen freigelassen, nachdem sie am 8. August in Caracas willkürlich festgenommen worden war. Sie steht allerdings weiterhin unter Anklage. Fünf weitere Menschenrechtsverteidiger*innen sind nach wie vor willkürlich in Haft: Javier Tarazona, Rocío San Miguel, Kennedy Tejeda, Eduardo Torres und Carlos Julio Rojas. Alle willkürlich inhaftierten Personen müssen sofort und bedingungslos freigelassen werden.
Setzt euch bitte weiterhin für Javier Tarazona, Rocío San Miguel, Kennedy Tejeda, Eduardo Torres und Carlos Julio Rojas ein.
Hier kannst du deinen Brief ausdrucken, um ihn per Post oder Fax an die Behörden zu senden, oder ihn direkt über dein eigenes E-Mail-Programm verschicken.
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Achtung: Bitte prüfe bei der Deutschen Post ob die Briefzustellung in das Zielland ungehindert möglich ist.
Appell an
Präsident
Presidente
Nicolás Maduro
Palacio de Miraflores
Av. Nt. 10, Caracas 1012
Caracas
VENEZUELA
Sende eine Kopie an
Botschaft der Bolivarischen Republik Venezuela
S. E. Herrn Ramon Orlando Maniglia Ferreira
Schillstraße 10
10785 Berlin
Fax: 030– 83 22 40 20
E-Mail: embavenez.berlin@botschaft-venezuela.de
Amnesty fordert:
- Ich fordere die sofortige und bedingungslose Freilassung von Eduardo Torres, Javier Tarazona, Rocío San Miguel, Carlos Julio Rojas und Kennedy Tejeda sowie aller weiteren willkürlich inhaftierten Menschen.
- Bitte geben Sie umgehend Informationen über das Schicksal und den Verbleib aller Personen bekannt, die dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen sind.
- Sorgen Sie dringend dafür, dass Inhaftierte angemessen medizinisch versorgt werden, Familienbesuch empfangen dürfen und ein faires Verfahren erhalten.
Sachlage
Martha Lía Grajales wurde am 12. August auf freien Fuß gesetzt, nachdem sie sich vier Tage lang willkürlich in Haft befunden hatte. Ihre Haft kam dem Verschwindenlassen gleich und sie hätte niemals inhaftiert werden dürfen. Die gegen sie erhobenen Anklagen haben jedoch weiter Bestand. Auch weitere Menschenrechtsverteidiger*innen sind aufgrund ihrer Arbeit willkürlich inhaftiert. Zu ihnen gehören Javier Tarazona (seit 2. Juli 2021 in Haft), Rocío San Miguel, die dringend operiert werden muss (seit 9. Februar 2024 in Haft), Carlos Julio Rojas (seit 15. April 2024 in Haft), Kennedy Tejeda (seit 2. August 2024 in Haft) und Eduardo Torres (seit 9. Mai 2025 in Haft).
Die aktuelle Situation von Carlos Julio Rojas gibt Anlass zu besonderer Sorge. Die Behörden haben keine Gründe für seine Inhaftierung angeführt und er wird seit dem 30. Juli ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Seine Familie hat seither keinen Kontakt mehr zu ihm. Telefonanrufe, Besuche und sogar die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten – die im Haftzentrum El Helicoide, in dem er festgehalten wird, nicht bereitgestellt werden – werden ihm verweigert. Auch Eduardo Torres darf keinen direkten Kontakt mit seiner Familie aufnehmen, und Rocío San Miguel wartet nach wie vor auf eine Operation und die entsprechende Rehabilitationsbehandlung.
Derzeit werden mehr als 800 Menschen aus politischen Gründen willkürlich in venezolanischen Gefängnissen festgehalten oder sind "verschwunden". Zu ihnen gehören Staatsangehörige aus Spanien, Kolumbien und der Ukraine sowie anderen Länder. In der Haft sind sie weiteren Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtlichen Verbrechen ausgesetzt. Die venezolanischen Behörden sollten sich bewusst sein, dass sie von internationalen Rechenschaftsmechanismen – einschließlich der UN und des Internationalen Strafgerichtshofs – überwacht und geprüft werden.
Hintergrundinformation
Die Menschenrechtsverteidigerin Martha Lía Grajales wurde Berichten zufolge am 8. August von Polizist*innen festgenommen, nachdem sie an einer Protestaktion vor dem Büro der Vereinten Nationen in Caracas teilgenommen hatte. Die Aktion, an der hauptsächlich Mütter politischer Gefangener teilnahmen, sollte die Angriffe anprangern, die sie nur drei Tage zuvor während einer friedlichen Mahnwache vor dem Obersten Gerichtshof erlitten hatten. Ihr Schicksal und Verbleib waren einige Tage lang unbekannt, bis die Generalstaatsanwaltschaft am 11. August in den Sozialen Medien verkündete, dass sie inhaftiert und vor Gericht gestellt worden sei. Den gegen sie erhobenen Vorwürfen – Anstiftung zum Hass, Verschwörung mit einer ausländischen Regierung und Bildung einer kriminellen Vereinigung – fehlt es an Beweisen und Glaubwürdigkeit. Vielmehr werden solche Anschuldigungen häufig zur Verfolgung und Bestrafung jeder Form von tatsächlichem oder vermeintlichem Dissens eingesetzt.
Die langjährige Repressionspolitik der Regierung von Nicolás Maduro, mit der jede Form von tatsächlichem oder vermeintlichem Dissens zum Schweigen gebracht werden soll, erreichte nach den Wahlen vom 28. Juli 2024 einen historischen Höhepunkt. Mehr als 2.000 Personen wurden aus politischen Gründen willkürlich inhaftiert, viele von ihnen wegen offenbar unbegründeter Vorwürfe über Terrorismus und Anstiftung zum Hass, darunter auch gefährdete Gruppen wie Kinder und Menschen mit Behinderungen. Nach Angaben der venezolanischen NGO Foro Penal befanden sich mit Stand vom 5. August 2025 mindestens 807 Personen aus politischen Gründen willkürlich in Haft, darunter 95 Frauen, vier Jugendliche und 44 Personen, deren Schicksal und Verbleib unbekannt ist.
In dem kürzlich erschienenen Bericht "Detentions Without a Trace" stellt Amnesty International 15 Personen vor, deren Geschichten belegen, wie breit in Venezuela das Verschwindenlassen eingesetzt wird, insbesondere zwischen August 2024 und Juni 2025. Bis zum 11. August 2025 waren acht dieser Personen weiterhin "verschwunden": Andrés Martínez (spanische Staatsbürgerschaft), Damián Rojas, Danner Barajas (kolumbianische Staatsbürgerschaft), Eudi Andrade, Jorgen Guanares, Jose María Basoa (spanische Staatsbürgerschaft), Rory Branker und Yevhenii Petrovich Trush (ukrainische Staatsbürgerschaft). Der Aufenthaltsort von Alfredo Díaz, Dennis Lepaje, Eduardo Torres, Raymar Pérez und Rosa Chirinos wurde zwar ermittelt, aber sie werden weiterhin willkürlich festgehalten.
Im Rahmen dieser Repressionspolitik fährt die Regierung eine auf Schikane, Strafverfolgung und Zensur beruhende Linie gegen Aktivist*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Rechte von Venezolaner*innen einsetzen. In Venezuela herrscht derweil eine komplexe humanitäre und menschenrechtliche Krise, die dazu geführt hat, dass so viele Menschen wie nie zuvor das Land verlassen haben, um im Ausland Schutz zu suchen. Ihre Zahl belief sich im Mai 2025 bereits auf 7,9 Millionen.
Amnesty International hat wiederholt darauf hingewiesen, dass Menschenrechtsverteidiger*innen in Venezuela ständig der Gefahr von Schikanen, Angriffen und Inhaftierung ausgesetzt sind. Die Regierung von Nicolás Maduro verfolgt derzeit mehrere Initiativen, um Menschenrechtsorganisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft zu kontrollieren und zum Schweigen zu bringen. Der im August 2024 verabschiedete Gesetzentwurf mit dem Titel "Gesetz zur Prüfung, Regulierung, Tätigkeit und Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen und verwandten Organisationen", das sogenannte "Anti-NGO-Gesetz", sieht strenge Kontrollen vor, u. a. die Aushändigung von Listen von Mitgliedern und Mitarbeiter*innen und deren Vermögenswerten sowie von Spender*innen. Zudem müssen Finanztransaktionen registriert werden. Die Nichteinhaltung dieser Vorschriften könnte zur Schließung zivilgesellschaftlicher Organisationen und möglicherweise zu ihrer strafrechtlichen Verfolgung führen. Die Bestimmungen des Gesetzes traten im Februar 2025 in Kraft.
Seit 2020 konnte die unabhängige internationale Ermittlungsmission für die Bolivarische Republik Venezuela in mehreren Berichten zahlreiche seit 2014 begangene Menschenrechtsverletzungen ausführlich dokumentieren, darunter außergerichtliche Hinrichtungen, Verschwindenlassen, willkürliche Inhaftierung sowie Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Die Berichte kommen außerdem zu dem Schluss, dass die Regierung das Justizsystem als Instrument der Unterdrückung missbraucht und dass manche der Menschenrechtsverletzungen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen könnten. Insbesondere im Jahr 2024 kam die Ermittlungsmission zu dem Schluss, "hinreichende Gründe für die Annahme zu haben, dass während des von ihrem Mandat abgedeckten Zeitraums das Verbrechen der Verfolgung aus politischen Gründen begangen wurde".
Seit November 2021 führt die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs eine strafrechtliche Untersuchung der Situation in Venezuela durch, insbesondere im Hinblick auf "Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Freiheitsberaubung oder andere schwere Formen des Entzugs der körperlichen Freiheit (...), Folter (...), Vergewaltigung und/oder andere Formen sexualisierter Gewalt von vergleichbarer Schwere (...) und der politisch motivierten Verfolgung von inhaftierten Personen (...), die mindestens seit April 2017 von Angehörigen der Sicherheitskräfte, zivilen Behörden und regierungsnahen Personen (bzw. als "colectivos" bekannte Gruppen) begangen wurden."