Amnesty Journal Deutschland 31. Januar 2017

Kurze Wege nach rechts

Kurze Wege nach rechts

Aktion "Hand in Hand Gegen Rassismus - für Menschenrechte und Vielfalt" am 19. Juni 2016 in Berlin.

Brennende Asylbewerberheime, NSU-Morde, Hass auf Gleichheit: Drei Bücher geben Auskunft über die Hintergründe des rechten Terrors in Deutschland.

Von Maik Söhler

Der Weg vom Leben in einer neonazistischen Szene zum rechtsextremen Terror kann kurz sein. Zwischen dem Abtauchen von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und ­Beate Zschäpe im Januar 1998 und dem Beginn der Mordserie der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im Jahr 2000, der zehn Menschen zum Opfer fielen, liegen gerade einmal zwei Jahre; eines nur, wenn man den Sprengstoffanschlag in Nürnberg 1999 hinzuzählt, der ebenfalls dem NSU zur Last gelegt wird.

Auch der Weg vom politischen Protest zum rechtsextremen Terror kann kurz sein: Um die 100 Brandanschläge wurden im Jahr 2015 auf Wohnheime von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Deutschland verübt, oft in Orten, wo wenige Wochen zuvor gegen die Aufnahme von Flüchtlingen demonstriert worden war. 2016 zählte das Bundeskriminalamt mehr als 900 Straf­taten gegen Flüchtlingsunterkünfte – vom Gewaltdelikt bis zur Sachbeschädigung. Rund 93 Prozent dieser Attacken hatten ­einen rechtsextremen Hintergrund.

Nicht gezählt sind all die Aufrufe, anonymen Briefe und Anrufe, in denen man Flüchtlingsunterstützern mit Mord, Folter und Vernichtung drohte. Aus einem solchen Schreiben zitiert Markus Nierth in seinem Buch "Brandgefährlich": "Pfarrer, wir werden kommen und dich holen. Dann wirst du an ein Kreuz genagelt und angebrannt wie ein Nigger! Du Schande der weißen Rasse!"

Nierth ist evangelischer Theologe und war von 2009 bis 2015 parteiloser Bürgermeister in Tröglitz, Sachsen-­Anhalt. Wegen mangelnder politischer Unterstützung bei der Unterbringung von Flüchtlingen vor Ort und einer von der NPD mitinitiierten Demonstration vor seinem Wohnhaus trat er im März 2015 von seinem Amt zurück.

Terror in Tröglitz

Zusammen mit der Journalistin Juliane Streich zieht er nun die Bilanz einer politischen und gesellschaftlichen Kontroverse in und um Tröglitz, an deren Tiefpunkt in der Nacht zum 4. April 2015 ein für Asylbewerber vorgesehenes Heim abbrannte. Auch dort waren zwischen den ersten Bürgerprotesten und dem Brandanschlag nur wenige Monate vergangen. "Die Saat des Hasses war aufgegangen und eskalierte in diesem Brand", schreibt Nierth, betont aber zugleich, dass er die Tröglitzer anfangs in Schutz genommen habe. Die Behörden hätten die Zuweisung nicht genügend kommuniziert.

Erst das Ausbleiben einer spürbaren Unterstützung aus dem Ort, das Schweigen der Mehrheit, sorgte für seinen Rücktritt. Es folgten Schlagzeilen wie: "Das Dorf, in dem der Pöbel siegte" und "Wie Nazis einen Bürgermeister aus dem Amt jagten". Nierth hat dennoch kommunalpolitische Vorschläge parat: ­"Gerade die politisch Verantwortlichen sollten möglichst offen informieren, ohne zu spekulieren, das heißt alle vorhandenen Fakten offenlegen, Gerüchte schnell dementieren, weiterführendes Wissen zu Asyl und Flucht zur Verfügung stellen und Themenabende anbieten."

Sein Buch ist ein Plädoyer für zivilgesellschaftlichen Mut. Es wird ergänzt durch Recherchen seiner Co-Autorin Streich, die Orte im Westen Deutschlands beschreibt, in denen es ebenfalls Proteste gegen Flüchtlinge gab. Zu Übergriffen kam es jedoch nicht, weil "die Mitte" sich dort positioniert habe, "und das macht den wesentlichen Unterschied aus". Heute leben auch in Tröglitz Asylbewerber, und manche, die sie einst ablehnten, sagen nun: "Die sind ja ganz harmlos und freundlich."

Was ist Terrorismus?

Unter rechtem Terror in Deutschland werden so unterschiedliche Taten gefasst wie der Oktoberfest-Anschlag im Jahr 1980 mit 13 Toten, die Morde und Anschläge des NSU, aber auch Angriffe auf Asylbewerberheime. So groß die Bandbreite gewalttätiger Attacken, so naheliegend ist die Frage: Was genau ist Terror?

Carola Dietze, Historikerin und Autorin der Studie "Die Erfindung des Terrorismus in Europa, Russland und den USA 1858–1866" bietet unter Rückgriff auf den wissenschaftlichen Diskurs diese Definition an: "Planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund".

Dietze untersucht in ihrem 750 Seiten starken Werk nicht allein den Rechtsterrorismus, sondern drei Grundideen von Terroristen, "und zwar die Leitidee persönlicher Freiheit und Gleichheit ebenso wie die Idee politischer Partizipation und nationaler Selbstbestimmung und das Anliegen, Freiheit und Gleichheit zu verhindern, zu unterlaufen oder zu widerrufen". Anders gesagt: Die Richtungen des Terrorismus, denen sie alle weiteren terroristischen Akte unterordnet, sind sozialrevolutionär, ethnisch-nationalistisch und rechtsradikal.

Der Terrorismus, wie wir ihn heute kennen, sei ein Produkt der Moderne des 19. Jahrhunderts und entspringe einer "Handlungslogik im Bereich von Politik, Gesellschaft und Medien", die sich in Europa, den USA und Russland herausgebildet habe, wobei die Terroristen des 19. Jahrhunderts, über Tageszeitungen vermittelt, voneinander gelernt hätten.

Dietze spricht von einem "transnationalen, seriell-kollektiven Lernprozess", der eine neue Form politischer Gewalt hervorgebracht habe, die spektakulär sein solle, auf Öffentlichkeit abziele und von der Ideologie der Täter geprägt werde. Zum rechten Terror hält Dietze fest, es gebe "in Europa rechtsextremistische Bewegungen, die Terrorismus gegen die Gleichstellung und Integration der jüdischen Bevölkerung oder auch anderer Gruppen einsetzten (und immer noch einsetzen)".

Zum Terrorismus gehört Dietze zufolge auch die Strategie, Reaktionen der Staaten zu erzwingen. Dies können Militarisierung und harte Repression sein, sie zeigen den Staatsapparat dann tatsächlich als das Monster, als das er zuvor propagandistisch beschrieben wurde.

Eine staatliche Terrorfiktion

Die Dialektik von Terror und staatlicher Terrorbekämpfung ist auch ein Thema in Harald Lüders’ fiktionalem Politthriller "Dunkelmacht". Der Roman erzählt die Geschichte des Journalisten Mitch Berger, der einen Terrorplan von rechtsextremen Geheimdienstmitarbeitern aufdeckt. Diese haben das Ziel, mit einem Anschlag auf eine Asylbewerberunterkunft die Flüchtlingspolitik Angela Merkels in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Man könnte den Plot getrost als dumpfen Verschwörungs­thriller abtun. Aber die Art, wie Lüders die Arbeit in den Landesämtern und beim Bundesamt für Verfassungsschutz in seinen Roman einarbeitet, lässt einen dann doch schaudern. Denn die Vernichtung von Akten mit NSU-Bezug über V-Männer, Aktionen der Dienste und Netzwerke in Verfassungsschutzämtern hat real stattgefunden.

"Quellenschutz vor Strafverfolgung" ist eben kein fiktionales Prinzip, das Lüders erfunden hat, um seinen Roman spannender zu machen, sondern es kennzeichnet die Praxis des Schredderns von NSU-Akten beim Verfassungsschutz der vergangenen Jahre. "Sie vernichten hier exakt jene Vorgänge, nach denen diverse parlamentarische Untersuchungsausschüsse gefragt haben", sagt in "Dunkelmacht" ein Verfassungsschützer zum anderen. Wer solche Dienste hat, braucht sich über ein Erstarken des Rechtsterrorismus nicht zu wundern.

Markus Nierth/Juliane Streich: Brandgefährlich. Wie das Schweigen der Mitte die Rechten stark macht. Ch. Links Verlag, Berlin 2016. 216 Seiten, 18 Euro. Carola Dietze: Die Erfindung des Terrorismus in Europa, Russland und den USA 1858–1866. Hamburger Edition, Hamburg 2016. 752 Seiten, 42 Euro. Harald Lüders: Dunkelmacht. Westend Verlag, Frankfurt/M. 2016. 352 Seiten, 15 Euro.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe Februar 2017 des Amnesty Journals erschienen.

Weitere Artikel