Amnesty Journal Bosnien und Herzegowina 02. Juni 2014

Alles ­andere als sicher

Eine Kolumne von Reinhard Marx

Das Bundeskabinett hat Ende April 2014 einen Gesetzentwurf verabschiedet, mit dem Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu "sicheren Herkunftsstaaten" bestimmt werden sollen. Albanien und Montenegro sollen folgen. Wird das Vorhaben Gesetz, können Asylsuchende aus diesen Ländern trotz Asylantrag im Schnellverfahren abgeschoben werden, weil sie dann angeblich aus einem "sicheren" Land kommen. Die Widerlegung dieser Vermutung ist theoretisch zwar möglich, aber an sehr hohe Voraussetzungen geknüpft und dürfte den meisten Flüchtlingen nicht gelingen. Bereits jetzt werden nahezu alle Asyl­anträge aus diesen Ländern im Schnellverfahren abgewickelt.

Das Konzept der "sicheren Herkunftsländer" beruht auf dem Asylkompromiss von 1993, mit dem das Asylgrundrecht faktisch abgeschafft wurde. Lange Zeit spielte dieses Konzept keine große Rolle. Vor vier Jahren wurde die Visapflicht für einige westliche Balkanstaaten aufgehoben, was die Einreise aus diesen Ländern nach Deutschland vereinfacht hat. Nun wird das Konzept der sicheren Herkunftsländer wieder aufgegriffen. Im Ergebnis zielt es auf die Roma, die wegen zahlreicher Diskriminierungen im sozialen Bereich, aber auch wegen schwerwiegender rassistischer Übergriffe Schutz im Ausland suchen.

Nach EU-Recht und auch nach der deutschen Rechtsprechung dürfen solche Diskriminierungen nicht vorschnell beiseite geschoben werden. Genau dies aber beabsichtigt der Gesetzgeber mit seinem Vorhaben und sanktioniert damit eine rechtswidrige Praxis. Die gesellschaftliche Stimmung ist gegen die Roma ein­gestellt und wird von konservativen Wahlkämpfern angeheizt: Missbrauch des Sozialsystems gegen Roma aus Bulgarien und Rumänien, Missbrauch des Asylsystems gegen Roma aus dem westlichen Balkan. Offen hetzen Politiker nicht gegen Roma, aber ihre Missbrauchsvorwürfe zielen auf sie.

Den Gesetzgeber trifft eine besondere Sorgfaltspflicht, wenn er ehemals diktatorische oder totalitär regierte Staaten zu "sicheren Herkunftsstaaten" bestimmen will, wie dies bei allen Staaten des Westbalkans der Fall ist. Gerade die Behandlung von Minderheiten, insbesondere von Roma, aber auch von Schwulen, Lesben und Transsexuellen in diesen Staaten zeigt, wie fragil gesellschaftliche und staatliche Strukturen sind. Und wie langlebig Intoleranz und Hass fortwirken, ja sogar weitaus wirkmächtiger sind als in früheren diktatorischen Zeiten.

Gerade in Übergangsprozessen entladen sich Ängste, die von einer allgemeinen Verunsicherung ausgelöst werden, in Hass und Gewalt gegen Minderheiten. Das Grundgesetz wie auch das Europarecht fordern, dass in einem Staat, der als "sicher" erklärt werden soll, eine gewisse Stabilität und hinreichende Kontinuität der Verhältnisse eingetreten sind und deshalb in der Rechtsanwendung aufgrund der allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Situation weder Verfolgungen noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung stattfinden.

Ein derartiges Gesamturteil kann während eines nicht abgeschlossenen Übergangsprozesses kaum zuverlässig getroffen werden. Das Europarecht legt den Fokus darüber hinaus – anders als das Grundgesetz – auf den wirksamen Schutz vor Übergriffen in "sicheren Herkunftsstaaten". Maßgebend ist nicht in erster Linie eine präzise Ermittlung von Verfolgungen und Übergriffen, sondern wie wirksam die Regierung gegen diese vorgeht. Ein hohes Maß an Korruption und die weitgehende Straflosigkeit in diesen Ländern stehen dagegen, sie zu "sicheren" Herkunftsstaaten zu erklären.

Dr. Reinhard Marx ist Rechtsanwalt in Frankfurt. Er zählt zu den renommiertesten deutschen ­Ausländer- und Asylrechtsexperten.

Weitere Artikel