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"Im falschen Film"
Vor zwei Jahren sprachen türkische Richter den Kölner Schriftsteller Doğan Akhanlı vom Vorwurf frei, an einem Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein. Nun soll der Prozess neu aufgerollt werden.
Von Sylvia Meier
Der in Köln lebende Schriftsteller Doğan Akhanlı soll sich in seiner Heimat Türkei erneut vor Gericht verantworten, nachdem er 2011 vom Vorwurf freigesprochen worden war, vor mehr als zwanzig Jahren an einem Raubüberfall auf eine Wechselstube in Istanbul beteiligt gewesen zu sein. Dies hat das höchste türkische Berufungsgericht im April angeordnet.
Die Geschichte der Anklage reicht bis in die achtziger Jahre zurück, als der engagierte Linke nach dem Militärputsch verfolgt wurde. Anfang der neunziger Jahre flüchtete Doğan Akhanlı nach Deutschland und nahm später die deutsche Staatsbürgerschaft an. Als er 2010 in die Türkei einreiste, um seinen schwerkranken Vater zu besuchen, wurde er am Flughafen verhaftet. "Ich bin vor vielen Jahren weggegangen als Untergrundkämpfer und zurückgekehrt als Schriftsteller. Das hat der Türkei nicht gefallen", sagte Akhanlı bei der Amnesty-Jubiläumsgala im März 2011.
Die türkischen Behörden warfen dem Schriftsteller vor, 1989 an einem Überfall auf ein Geschäft beteiligt gewesen zu sein, bei dem der Inhaber erschossen wurde. Verantwortlich sei eine linke "Terrororganisation" gewesen, zu der Akhanlı gehört habe. Sein Name war von einem damals Verhafteten ins Spiel gebracht worden, den man während des Verhörs schwer gefoltert hatte. In dem Prozess im Jahr 2011, den Amnesty International beobachtete, wurde Akhanlı von allen Zeugen vollständig entlastet.
Das Berufungsgericht wies nun die Zeugenaussagen als unerheblich zurück und ließ nur noch den Polizeibericht mit den durch Folter erpressten Aussagen von 1989 gelten.
Akhanlı zeigte sich über die Aufhebung des Freispruchs schockiert: "Ich glaube, ich bin im falschen Film", sagte er. Mit Entsetzen hat auch der Journalist Günter Wallraff die Nachricht aufgenommen: "Die Türkei hat eine Mitgliedschaft in der EU anscheinend abgeschrieben. Das Land scheint es nicht mehr nötig zu haben, sich an irgendwelche Menschenrechtsstandards zu halten. Stattdessen werden kritische Intellektuelle willkürlich kriminalisiert."
So wie der türkische Pianist und Komponist Fazıl Say, der kürzlich wegen "Beleidigung des Islam" zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Say hatte die türkische Regierung kritisiert und sich satirisch über den Koran geäußert. Im Januar hatte ein türkisches Gericht die im französischen Exil lebende Soziologin Pınar Selek wegen eines angeblichen Bombenanschlags zu lebenslanger Haft verurteilt. Beobachter bezeichneten den Prozess als Farce (siehe Amnesty Journal 04-05/2013).
Amnesty sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Türkei nicht gewährleistet. Gegen Hunderte Aktivisten, Journalisten, Schriftsteller und Anwälte werden Strafverfahren eingeleitet. Grundlage sind zumeist die berüchtigten Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches "Beleidigung des Türkentums" und 318 "Distanzierung des Volkes vom Militär".
Doğan Akhanlı droht bei einem Schuldspruch eine lebenslange Freiheitsstrafe. Vermutlich wird der Prozess im Sommer neu aufgerollt. Bei einer Einreise in die Türkei fürchtet Akhanlı eine erneute Verhaftung.