Amnesty Journal Deutschland 28. März 2013

Der NSU und das Versagen des Staates

Kolumne von Heike Kleffner

Das Gerichtsverfahren gegen Beate Zschäpe und die mutmaßlichen Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) wird voraussichtlich noch in diesem Frühjahr beginnen. Für die Angehörigen der getöteten neun Migranten und der Polizistin Michèle Kiesewetter markiert der Prozessbeginn einerseits eine neue Chance auf Aufklärung: Denn die zentrale Frage, warum ausgerechnet ihre Väter, Söhne und Brüder zum Ziel des tödlichen Rassismus der Neonazis wurden, ist für sie noch immer nicht beantwortet.

Aber auch andere Fragen harren noch immer einer Antwort. Da ist zum Beispiel die Frage nach der Rolle von mindestens fünf Neonazis, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten als V-Leute für das Bundesamt für Verfassungsschutz beziehungsweise für Landesämter und Polizei arbeiteten. Sie stehen auf einer Adressliste, die bei dem mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt schon im Januar 1998 gefunden worden war. Und damit eng verbunden ist die Frage, welche ­Bedeutung den Fällen von Aktenvernichtung zukommt, die im Zuge der parla­mentarischen Aufklärungsbemühungen offenbar wurden.

Eines zumindest dürfte unstrittig sein: Das Versprechen von Bundeskanzlerin ­Angela Merkel, die rassistische Mordserie der NSU umfassend und schonungslos aufzuklären, wird in einigen Behörden anscheinend auf ganz eigene Art und Weise interpretiert. Und auch das bislang schon offensichtliche Ergebnis der Untersuchungen trägt wenig dazu bei, die betroffenen Familien, Migranten und junge Linke, die von rechtem Alltagsterror betroffen sind, zu beruhigen. Denn bereits jetzt ist deutlich geworden: Die fatale Mischung aus Verharmlosung, Vertuschung, Verleugnung und Inkompetenz, die Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden in den vergangenen zwanzig Jahren an den Tag gelegt haben, ist eine der zentralen Ursachen für das Versagen des Staates in Sachen NSU.

Umso fataler ist die politische Konsequenz, die nun gezogen wurde: Das Bundesamt für Verfassungsschutz gewinnt an Einfluss – ohne, dass die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste effektiver geworden wäre und eine reale Reform der Behördenkultur zu erkennen wäre.

Die unabhängigen Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt dokumentieren zwei bis drei rechte Gewalttaten täglich und weisen darauf hin, dass Polizei und Justiz rassistische Tatmotive häufig leugnen oder bagatellisieren.

Das Problem ist offensichtlich ein Doppeltes: Zum einen geht es darum, wie mit Minderheiten in Deutschland umgegangen wird. Wir brauchen einen grundsätzlichen Mentalitätswandel. Migranten oder Menschen anderer Hautfarbe dürfen nicht länger unter permanentem Generalverdacht stehen, sondern müssen als gleichberechtigte Bewohner Deutschlands behandelt werden. Zudem muss die Kultur der Täter-Opfer-Schuldumkehr ein Ende haben: Die Opfer rassistischer ­Gewalt dürfen für die Gewalttaten und die Diskriminierung, die sie erleiden, nicht mitverantwortlich gemacht werden. Es darf nicht sein, dass Polizeibeamte sich ­zuerst um den Aufenthaltsstatus der Opfer kümmern, bevor sie die Personalien der Angreifer feststellen (oder dies gleich ganz unterlassen).

"Warum soll es mich beruhigen, dass ich nun weiß, dass Neonazis für den Bombenanschlag in meiner Straße verantwortlich waren", sagte jüngst eine Anwohnerin der Kölner Keupstraße. "Denn die Angst, dass so etwas wieder passieren kann, bleibt." Die Botschaft der NSU-Täter ist zumindest bei den Betroffenen angekommen: Nicht nur Rassismus kann tödlich sein. Sondern auch, dass der Staat die Betroffenen im Zweifel nur unzureichend schützt.

Heike Kleffner ist Journalistin und Expertin für Rechtsextremismus.

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