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Der Tod aus dem Schwarzwald
"Waren es Bundespolizisten? Oder waren es lokale Polizeikräfte?"
© Zeichnung: Gabriel Holzner
Drogenkrieg, gewalttätige Banden und Sicherheitskräfte, die immer wieder brutal gegen Oppositionelle und Indigene vorgehen: Mexiko gehört zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Für Waffenproduzenten wie die deutsche Firma Heckler & Koch ist es hingegen ein gefragter Absatzmarkt.
Von Wolf-Dieter Vogel
Wer geschossen hat, wird wohl im Dunkeln bleiben. Waren es Bundespolizisten? Oder waren es lokale Polizeikräfte? Nachdem die Schüsse verhallt waren, lagen jedenfalls Gabriel Echeverría und José Alexis Herrera Pino reglos auf dem Asphalt – getötet durch Kugeln aus den Waffen mexikanischer Sicherheitskräfte. Die beiden Studenten hatten am 12. Dezember vergangenen Jahres mit etwa 300 Kommilitonen eine Auffahrt zur "Autopista del Sol", der "Autobahn der Sonne", im Bundesstaat Guerrero blockiert. Sie hatten sich für bessere Lernbedingungen eingesetzt und dafür, dass ihre traditionell kämpferische Universität Ayotzinapa erhalten bleibt. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, stellten die Studierenden Reisebusse quer. Nichts ging mehr auf der Zufahrt zu der Schnellstraße, die Mexiko-Stadt mit den Pazifikstränden von Acapulco verbindet.
Doch sowohl örtliche als auch föderale Polizeibeamte waren schnell zur Stelle. Plötzlich setzten die Polizisten Tränengas ein. "Daraufhin ging das Durcheinander los", erinnert sich der Fotograf Lenin Ocampo. Molotow-Cocktails, Stöcke und Steine seien geflogen, eine Tankstelle sei in Flammen aufgegangen. Dann fielen die ersten Schüsse. Eine halbe Stunde dauerten die Auseinandersetzungen, aus allen Richtungen feuerten die Beamten mit scharfer Munition. General Rámon Arreola, der in der Landesregierung von Guerrero für Sicherheitsfragen zuständig ist, fühlte sich im Recht: "Der Gouverneur bat mich, die Straße frei zu machen, und jetzt ist die Straße frei."
Wieder Tote bei Einsätzen der Sicherheitskräfte. Und wieder in Guerrero, jenem verarmten Bundesstaat im Süden Mexikos, in dem regelmäßig Polizisten und Soldaten brutal gegen Oppositionelle und Indigene vorgehen. Menschenrechtsorganisationen sprachen nach dem Vorfall von irrationaler Gewaltanwendung sowie "außergerichtlichen Hinrichtungen" und forderten juristische Aufklärung. Mehrere Polizisten wurden festgenommen, Beamte vorübergehend suspendiert. Sollten sich jedoch Informationen bestätigen, die der Mexiko-Korrespondent der spanischen Tageszeitung "El País", Luis Prados, veröffentlichte, müssten sich auch deutsche Richter mit dem tödlichen Polizeieinsatz beschäftigen. Der Journalist zitiert Zeugen, die mit den staatlichen Ermittlungen des Falls vertraut sind. Nach deren Angaben kamen bei der Schießerei drei verschiedene Sturmgewehre zum Einsatz, unter ihnen die G36 aus der Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch.
Schnell, präzise und durchschlagskräftig – mit diesen Eigenschaften bewirbt die schwäbische Firma das Gewehr. Die G36 sei "optimal in der Handhabung, im Gewicht und der Feuerdichte im Nahkampf", betonen die Waffenproduzenten aus dem Schwarzwald. Diese Qualitäten haben dafür gesorgt, dass das Gewehr zum Verkaufsschlager geworden ist. Rund um den Globus versorgt Heckler & Koch Polizisten und Soldaten mit der Kleinwaffe, von Frankreich über Saudi-Arabien bis zu den Philippinen. Auch die mexikanischen Sicherheitsbehörden wussten das Know-how der deutschen Rüstungsschmiede zu schätzen. Man kam ins Geschäft. Zwischen 2005 und 2007 genehmigte das Bundesausfuhramt (Bafa) Heckler & Koch die Lieferung von 8.710 G36-Gewehren. Selbst der Bundessicherheitsrat, der bei solch heiklen Rüstungsdeals konsultiert werden muss, gab grünes Licht. Allerdings unter einer Bedingung: Die Waffen dürfen nicht an Polizeikräfte der Bundesstaaten Chihuahua, Chiapas, Jalisco und Guerrero geliefert werden.
Sollte sich also herausstellen, dass an jenem Dezembertag an der "Autobahn der Sonne" lokale Polizisten mit den schwäbischen Gewehren ausgestattet waren, hätte das Unternehmen gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen. Denn die Oberndorfer Waffenbauer müssen sich gegenüber der Bundesregierung dafür verbürgen, dass die exportierten Güter nicht in den "verbotenen" Regionen landen. "Allein Heckler & Koch ist für den Endverbleib der Waffen verantwortlich", stellte Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der schwarz-gelben Koalition, gegenüber dem Amnesty Journal klar. Wer gegen die vorgegebenen Auflagen verstoße, könne mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden, sagte der FDP-Politiker und betonte: "Es geht hier nicht um ein Kavaliersdelikt."
Bei der Rüstungsfirma reagiert man einsilbig. "Heckler & Koch hält sich an Recht und Gesetz der Bundesrepublik", antwortet Pressesprecherin Martina Tydecks auf Anfrage des Amnesty Journals. Journalisten sind in dem Werk nicht gern gesehen, einen Besuch lehnt die Betriebsleitung ab. Zu oft schon war das Unternehmen in den Schlagzeilen, zuletzt, weil libysche Rebellen in Muammar al-Gaddafis Waffenkammern Oberndorfer Gewehre gefunden hatten. Und immer hat die Presse schlecht geschrieben. Dabei verstehe sich das Unternehmen, betont Tydecks, "als Teil der westlichen Sicherheitsstruktur". Man exportiere "ausschließlich auf der Grundlage von Genehmigungen durch die Behörden".
Vieles spricht jedoch dafür, dass sich Heckler & Koch wenig darum schert, wohin die Waffen gelangen. Im April 2010 erstattete der Freiburger Rüstungsexperte Jürgen Grässlin Anzeige gegen die Firma. Nach Informationen des Friedensaktivisten sollen bereits 2007 mehrere mexikanische Länderpolizeien Ersatzteile für die G36 bestellt haben, unter ihnen auch Behörden aus jenen vier Bundesstaaten, in die das Gewehr nie hätte geliefert werden dürfen. Zudem seien 2008 in Jalisco Beamte an dieser Waffe ausgebildet worden. Nachdem dann auch noch im Dezember 2010 das ARD-Magazin "Report Mainz" Bilder von Polizisten zeigte, die in Ciudad Juárez in Chihuahua mit dem Sturmgewehr im Einsatz waren, durchsuchte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft die Waffenschmiede. Die Exportgenehmigung liegt deshalb derzeit auf Eis. Offenbar standen die Ermittlungen kurz vor dem Abschluss, informierte Grässlin das Amnesty Journal. Doch im November 2011 kam ein weiterer Vorwurf hinzu: Heckler & Koch soll mexikanische Amtsträger bestochen haben, um Lieferaufträge zu bekommen. "Das könnte das Verfahren jetzt verzögern", vermutet der Rüstungsgegner. Pressesprecherin Tydecks will sich zu den aktuellen Ermittlungen nicht äußern.
Wie aber kam es überhaupt dazu, dass der Rüstungsproduzent seine Gewehre nach Mexiko ausführen durfte? Nicht nur in Chihuahua, Guerrero, Jalisco und Chiapas verletzen Sicherheitskräfte die Menschenrechte. In fast allen Regionen des Landes werden Oppositionelle, Indigene oder Kleinbauern von Polizisten gefoltert und misshandelt. Häufig arbeiten Beamte Hand in Hand mit Kriminellen, um Migranten zu entführen; immer wieder verschwinden Menschen, die zuvor in Gefangenschaft von Soldaten oder Polizisten waren. Im Jahr 2006, also in dem Zeitraum, in dem die Exportanträge genehmigt wurden, starben bei Auseinandersetzungen im Bundesstaat Oaxaca mindestens 26 Demonstranten. Verantwortlich für die Toten waren Polizeibeamte und von der Landesregierung unterstützte paramilitärische Gruppen. Vor allem aber seit Präsident Felipe Calderón die Armee gegen die Mafia mobilisiert, haben die Angriffe auf die Zivilbevölkerung zugenommen. Zwischen Dezember 2006 und Juli 2009 gingen bei der Nationalen Menschenrechtskommission 5.055 Beschwerden gegen Soldaten ein. Da häufig das Militär bei Einsätzen das Oberkommando übernimmt und polizeiliche Einheiten einbezieht, ist das Vorgehen von Polizeibeamten und Soldaten nur schwer zu trennen.
Die Lage hat sich in Mexiko in den letzten fünf Jahren deutlich verschlechtert, bestätigt der Jahresbericht 2011 von Amnesty International. Löning fordert deshalb, "dass aus Deutschland keine Waffen mehr geliefert werden, die für Menschenrechtsverletzungen genutzt werden können". Die Berliner Regierung sieht das jedoch anders. Im Dezember 2011 stellte sie in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken klar: "Eine vollständige Einstellung von Waffenlieferungen ist gegenüber Mexiko derzeit nicht beabsichtigt."
Damit macht die schwarz-gelbe Koalition deutlich, welch geringe Rolle sie den Menschenrechten zumisst, wenn es gilt, Rüstungsgüter zu exportieren. Im Jahr 2000 verabschiedete deren Vorgängerregierung Grundsätze für den Export von Kriegswaffen, nach denen bei der Vergabe von Ausfuhrgenehmigungen die Situation der Menschenrechte in den Empfängerländern besonders berücksichtigt werden muss. Besteht hinreichender Verdacht, dass die Waffen zur internen Repression oder anderen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden, dürfen die Behörden das Geschäft nicht genehmigen. Um die Lage in den Ländern einzuschätzen, ziehen Bafa und Bundessicherheitsrat auch Informationen von Amnesty und NGOs vor Ort zu Rate. Doch Amnesty, mexikanische Organisationen und nicht zuletzt die Universelle Regelmäßige Überprüfung des Landes durch den UNO-Menschenrechtsrat im Jahr 2009 lassen keine Zweifel: In Mexiko wird systematisch und straffrei gefoltert, willkürliche Festnahmen von Aktivistinnen und Aktivisten sozialer Bewegungen sind alltäglich.
Unter diesen Umständen verbieten auch EU-Richtlinien, Exportgenehmigungen zu erteilen. Mit Entschlossenheit wolle man verhindern, "dass Militärtechnologie und Militärgüter ausgeführt werden, die zu interner Repression oder internationaler Aggression eingesetzt werden könnten", besagt der "Gemeinsame Standpunkt", auf den sich der Europäische Rat 2008 geeinigt hat. Trotzdem sieht auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton kein Problem darin, dass Heckler & Koch die Gewehre nach Mexiko liefert. "Die EU arbeitet in Menschenrechtsfragen eng mit Mexiko zusammen", beruhigte die Politikerin auf Anfrage des grünen Europaabgeordneten Raul Romeva im vergangenen Dezember. Nur in die besagten Bundesstaaten dürften die Waffen nicht gelangen.
Vielleicht starben die Studenten Echeverría und Herrera Pino durch Kugeln aus den schwäbischen Sturmgewehren. Möglicherweise wurde auch auf Norma Andrade mit deutschen Waffen geschossen, als Unbekannte vor drei Monaten versuchten, die Frauenrechtsaktivistin aus Ciudad Juárez umzubringen. Ständig kommen in Mexiko Menschen um, weil sie von Kriminellen, Polizisten oder Soldaten angegriffen werden. In den meisten Fällen weiß niemand, wer für die Taten verantwortlich ist, zwischen 95 und 98 Prozent der Täter werden nicht strafrechtlich verfolgt. Noch weniger dürften die mexikanischen Behörden darüber wissen, wer was mit den G36-Gewehren anstellt, die im Land im Umlauf sind – auch bei den Killern der Kartelle wurden diese Waffen gefunden.
In Mexiko-Stadt ist man sich des Problems bewusst. Im Vorfeld der im Sommer anstehenden Verhandlungen über ein globales Waffenhandelsabkommen hat sich die mexikanische Regierung dafür stark gemacht, dass die Behörden der exportierenden Staaten den Weg der Waren von der Herstellung bis zum endgültigen Nutzer nachvollziehen können. Für Deutschlands Waffenproduzenten wäre das eine einschneidende Änderung. Denn bislang ist "eine nachträgliche Kontrolle des Endverbleibs der ausgeführten Rüstungsgüter vor Ort", so informiert die Bundesregierung, "im deutschen Ausfuhrkontrollrecht nicht vorgesehen".
Der Autor ist Journalist und lebt in Berlin.