Amnesty Report Nepal 23. Mai 2018

Nepal 2017/18

Report Cover 17/18

Etwa 70 % der Menschen, die durch das Erdbeben 2015 obdachlos geworden waren, lebten auch weiterhin in Notunterkünften. Tausende von Menschen, die von den Monsunüberschwemmungen in der Terai-Region betroffen waren, erhielten nicht die angemessene Unterstützung, auch nicht im Hinblick auf Unterkünfte. Bedenken der Madhesi und anderer indigener Bevölkerungsgruppen hinsichtlich diskriminierender Bestimmungen in der Verfassung von 2015 blieben unberücksichtigt. Die Anwendung exzessiver Gewalt gegen Protestierende in der Terai-Region wurde nicht wirksam untersucht. Bei der strafrechtlichen Verfolgung schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen, die während des bewaffneten Konflikts begangen worden waren, konnten nur unzureichende Fortschritte verzeichnet werden. Nepalesische Arbeitsmigranten waren weiterhin Erpressung und Betrug ausgesetzt, mussten als Zwangsarbeiter arbeiten und sahen sich bei der Beschäftigung im Ausland mit weiteren Menschenrechtsverstößen konfrontiert.

Hintergrund

Zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahrzehnten fanden Kommunalwahlen statt. Im November und Dezember 2017 wurden Parlaments- und Provinzwahlen abgehalten. Im Oktober 2017 wurde Nepal in den UN-Menschenrechtsrat gewählt.

Recht auf Wohnen

Zehntausende von Überlebenden des Erdbebens von 2015, etwa 70 % der insgesamt Betroffenen, lebten nach wie vor in Notunterkünften. Die Regierung schrieb den Nachweis von Grundbesitz als Bedingung für den Erhalt einer Wiederaufbauprämie vor. Da schätzungsweise bis zu 25 % der Bevölkerung diese Bedingung nicht erfüllen, hatten Zehntausende der Überlebenden des Erdbebens nicht die Möglichkeit, die Prämie zu erhalten. Dies betraf in erster Linie benachteiligte und marginalisierte Gruppen, darunter Frauen, Dalits und andere kastenbezogene und ethnische Minderheiten.

Im August 2017 wurde ein großes Gebiet im südlichen Terai vom Monsunregen überschwemmt. Hiervon waren 1,7 Mio. Menschen betroffen, 143 Menschen kamen ums Leben. Mehr als 400000 Personen mussten ihre Häuser verlassen und mehr als 1000 Häuser wurden vollständig zerstört. Die Opfer erhielten nur unzureichende Unterstützung durch die Regierung. Diese verhinderte zudem Versuche, Hilfeleistungen privat zu verteilen. Viele mussten weiterhin in unzumutbaren Unterkünften und unter schlechten Bedingungen leben.

Exzessive Gewaltanwendung

Sicherheitskräfte setzten auch weiterhin unnötige oder exzessive Gewalt gegen Protestierende in der Terai-Region ein, vor allem bei Protesten gegen die neue Verfassung. Im März 2017 wurden fünf Demonstrierende getötet und 16 weitere verletzt, als die Polizei Schusswaffen einsetzte, um protestierende Angehörige der Madhesi im Distrikt Saptari auseinanderzutreiben.

Rechte von Arbeitsmigranten

Die Regierung gewährleistete keine wirksamen Schutzmechanismen für Arbeitsmigranten und setzte der Kultur der Straflosigkeit bei rechtswidrigen und kriminellen Praktiken zur Arbeitsvermittlung kein Ende. Arbeitsmigranten waren systematisch rechtswidrigem und kriminellem Verhalten durch Arbeitsvermittlungen und private Agenturen ausgesetzt. Arbeitsvermittler verlangten von Arbeitsmigranten regelmäßig unrechtmäßige und überhöhte Gebühren, täuschten sie hinsichtlich ihrer Entlohnung und Arbeitsbedingungen im Ausland und manipulierten ihre Zustimmung zur Arbeit im Ausland durch die Anhäufung von Schulden aufgrund der Vermittlungsgebühren. Einige Vermittler waren direkt an der Vermittlung zum Zweck der Ausbeutung beteiligt und verstießen damit gegen das nepalesische Gesetz zu Menschenhandel (Human Trafficking and Transportation [Control] Act).

Arbeitsmigranten, die im Ausland in der Zwangsarbeit gelandet waren, hatten große Schwierigkeiten, von nepalesischen Botschaften Unterstützung zur Rückkehr in ihr Heimatland zu erhalten. Nur selten halfen Arbeitsvermittler Arbeitern, die im Ausland mit Problemen konfrontiert waren, bei deren Rückkehr, obwohl sie nach dem Gesetz zur Arbeitsmigration (Foreign Employment Act) dazu verpflichtet sind. Die Behörden leiteten keine Untersuchungen ein, wie z. B. Autopsien, um der hohen Anzahl an Todesfällen unter Arbeitsmigranten im Ausland nachzugehen.

Keine Verbesserungen gab es bei der Umsetzung der Regierungsmaßnahme, Arbeitsmigranten kostenlose Visa und eine kostenfreie Reise ins Ausland zu gewähren, um die Vermittlungsgebühren der Agenturen zu begrenzen. Obwohl die Regierung wiederholt öffentliche Zusagen machte, die Migrationskosten für Arbeiter zu reduzieren und sie vor Schulden zu bewahren, vergrößerte sie die Belastung für Migranten, indem sie die Kosten vor der Abreise erhöhte. Im Juli 2017 erhöhte die Behörde zur Förderung der Arbeitsmigration (Foreign Employment Promotion Board) den Betrag, den Arbeitsmigranten in den staatlich verwalteten Versorgungsfonds einzahlen mussten.

Weniger als 100 Arbeitsvermittlungsagenturen wurden wegen Verstößen gegen das nepalesische Arbeitsgesetz mit einer Geldstrafe belegt oder an das für Arbeitsmigration zuständige Gericht (Foreign Employment Tribunal) verwiesen, obwohl mehr als 8000 Arbeitsmigranten Klagen gegen Vermittlungsagenturen eingereicht hatten. Laut dem Gesetz zur Arbeitsmigration von 2007 darf die Polizei bei strafrechtlichen Verstößen der Arbeitsvermittlungen nicht aktiv ermitteln, da die Klagen beim Ministerium für Arbeitsmigration eingereicht werden müssen. Vermittlungsagenturen nutzten auch weiterhin ihren politischen Einfluss, um Ermittlungen, Strafverfolgungen und Entschädigungen für ihren routinemäßigen Missbrauch und die Ausbeutung von Migranten zu verhindern.

Folter und andere Misshandlungen

Nepal besaß nach wie vor ein archaisches und drakonisches Strafsystem. Der Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen zur Erpressung von "Geständnissen" war in der Untersuchungshaft weit verbreitet.

Das neue Strafgesetzbuch, das im August 2017 vom Parlament verabschiedet wurde, enthält Bestimmungen, die Folter und andere Misshandlungen mit bis zu fünf Jahren Haft unter Strafe stellen. Ein separater Entwurf eines Gesetzes gegen Folter, das noch dem Parlament vorlag, blieb weit hinter internationalen rechtlichen Anforderungen zurück.

Juristische Aufarbeitung der Vergangenheit

Die Regierung nahm keine Änderungen des Gesetzes von 2014 zur Einsetzung einer Kommission für die Untersuchung von Fällen von Verschwindenlassen und Wahrheit und Versöhnung vor, wie sie 2014 und 2015 vom Obersten Gerichtshof angeordnet worden waren. Bis zum Ende des Jahres sammelten zwei Organe – eine Kommission für Wahrheit und Versöhnung sowie eine Kommission zur Untersuchung von Fällen des Verschwindenlassens – jeweils mehr als 60000 bzw. 3000 Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen wie Mord, Folter und Verschwindenlassen, die Sicherheitskräfte und maoistische Kräfte während des Konflikts von 1996 bis 2006 begangen hatten. Es wurden keine wirksamen Untersuchungen durchgeführt. Ein akuter Mangel an Ressourcen und Kapazitäten beeinträchtigte die Fähigkeit der beiden Organe, für Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung zu sorgen.

Straflosigkeit

Auch 2017 herrschte weitgehende Straflosigkeit. Politische Parteien wehrten sich dagegen, die Gesetze der Übergangsjustiz zu ändern, was allgemein als eine Priorisierung von Versöhnung und monetärer Entschädigung gegenüber Wahrheit, Gerechtigkeit und anderer Wiedergutmachung sowie Garantien der Nichtwiederholung angesehen wurde. Wirksame Untersuchungen zu den Hunderten von Demonstrierenden, die seit 1990 in verschiedenen Landesteilen, u. a. im Terai, von Sicherheitskräften getötet worden waren, fanden nicht statt.

Diskriminierung

Nach wie vor wurden Menschen aufgrund von Geschlecht, Kaste, Gesellschaftsschicht, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität oder Religion diskriminiert. Verfassungsänderungen sahen für Frauen keine gleichen Rechte in Bezug auf den Erhalt der nepalesischen Staatsbürgerschaft vor und umfassten zudem keine Maßnahmen zum Schutz von marginalisierten Gemeinschaften wie Dalits und anderen kastenbezogenen und ethnischen Minderheiten sowie von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen.

Die im neuen Strafgesetzbuch enthaltenen Strafregelungen und vorgeschriebenen Fristen zur Anzeige von Vergewaltigungen lagen immer noch weit hinter den internationalen Menschenrechtsstandards zurück. Geschlechtsspezifische Diskriminierung schränkte auch weiterhin die Möglichkeiten von Frauen und Mädchen auf eine selbstbestimmte Sexualität und das Treffen informierter Entscheidungen bezüglich der Verwendung von Verhütungsmitteln ein. Darüber hinaus erschwerte die Diskriminierung es ihnen, sich gegen Früh- oder Zwangsverheiratung zu wehren und eine angemessene prä- und postnatale Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen.

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