Amnesty Report 22. Februar 2018

Eritrea 2017/18

Report Cover 17/18

Auch 2017 flüchteten Tausende Menschen aus Eritrea, obwohl die Behörden das Recht der Bürger, den eigenen Staat zu verlassen, drastisch einschränkten. Der Militärdienst war weiterhin obligatorisch und zeitlich unbefristet. Die Einschränkungen der Rechte auf Meinungs- und Religionsfreiheit bestanden fort. Nach wie vor befanden sich Tausende gewaltlose politische Gefangene, die willkürlich inhaftiert worden waren, ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Haft. Tausenden Menschen wurde das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard verweigert.

HINTERGRUND

Zwischen den Armeen Eritreas und Äthiopiens kam es 2017 immer wieder zu Scharmützeln. Im Grenzstreit mit Dschibuti um das Gebiet Ras Doumeira nahmen die militärischen Auseinandersetzungen zu.

RECHTE VON FLÜCHTLINGEN UND MIGRANTEN

Nach wie vor flohen Tausende Eritreer aus dem Land. Auf den Fluchtrouten und in den Zielländern waren sie schweren Menschenrechtsverstößen ausgesetzt. Der Sudan blieb ein wichtiges Durchgangsland für eritreische Flüchtlinge. Im August 2017 ordneten sudanesische Gerichte die Abschiebung von 104 Flüchtlingen nach Eritrea an, obwohl ihnen dort gravierende Menschenrechtsverletzungen drohten und es so gut wie keine Informationen darüber gab, was mit den Menschen nach ihrer Rückführung geschieht. Berichten zufolge wurden 30 der 104 Flüchtlinge von der ostsudanesischen Stadt Kassala aus nach Eritrea abgeschoben, nachdem man sie wegen illegaler Einreise angeklagt hatte. Auf dem Weg nach Europa liefen Eritreer außerdem Gefahr, willkürlich inhaftiert, verschleppt, sexuell missbraucht und misshandelt zu werden.

Auf internationaler Ebene wurden die Bemühungen fortgesetzt, etwas gegen die Ursachen von Migration aus Eritrea zu unternehmen. Nach hochrangigen Gesprächen im Zuge des Khartum-Prozesses (EU-Horn of Africa Migration Route Initiative), an dem europäische und afrikanische Staaten teilnahmen und der die Migration steuern sollte, stellte die EU-Kommission Eritrea 13 Mio. Euro zur Verfügung, um Beschäftigungsmöglichkeiten und Qualifizierungsmaßnahmen im Land zu fördern und auf diese Weise die Auswanderung zu verringern. Durch den EU-Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika gab die EU mehr als 100 Mio. Euro für Projekte im Sudan frei, um Ursachen für Migration, Flucht und Vertreibung in der Region zu bekämpfen.

RECHT AUF FREIZÜGIGKEIT

Aufgrund des zeitlich unbefristeten obligatorischen Militärdienstes und der allgemeinen Menschenrechtslage befanden sich viele Eritreer in einer sehr schwierigen Situation. Das Recht der Menschen, das Land zu verlassen, war extrem eingeschränkt. Die Behörden ließen Menschen im Alter von fünf bis 50 Jahren nach wie vor nicht ins Ausland reisen. Jeder, der bei einem Ausreiseversuch aufgegriffen wurde, kam in willkürliche Haft. Menschen, die das Land verlassen wollten, um dem zeitlich unbefristeten Militärdienst und anderen Menschenrechtsverletzungen zu entgehen oder um zu ihren im Ausland lebenden Familien zu gelangen, mussten sich zu Fuß auf den Weg machen und versuchen, abseits der offiziellen Grenzübergänge Nachbarländer zu erreichen, um von dort aus in andere Länder zu fliegen. Fing das Militär sie auf dem Weg ab, wurden sie ohne Anklageerhebung so lange in Haft gehalten, bis sie exorbitant hohe Geldstrafen bezahlt hatten. Die Höhe der Geldstrafen hing u. a. davon ab, von welchem befehlshabenden Militärangehörigen und zu welcher Zeit im Jahr die Betroffenen festgenommen wurden. Personen, die während der Nationalfeiertage zum Gedenken an die Erlangung der Unabhängigkeit aufgegriffen wurden, mussten höhere Strafen zahlen. Auch für versuchte Grenzübertritte nach Äthiopien war eine höhere Strafe fällig. Nach wie vor gab es einen Schießbefehl gegen jeden, der versuchte, sich der Gefangennahme zu entziehen und die Grenze nach Äthiopien zu überqueren. Wurden Minderjährige kurz vor Erreichen des für den Militärdienst erforderlichen Mindestalters bei einem Ausreiseversuch aufgegriffen, schickte man sie in das militärische Ausbildungslager Sawa.

ZWANGSARBEIT UND SKLAVEREI

Der obligatorische Militärdienst konnte nach wie vor auf unbestimmte Zeit verlängert werden. Mehrfache Appelle der internationalen Gemeinschaft, die Regierung solle den Militärdienst auf 18 Monate beschränken, verhallten ungehört. Ein großer Teil der Bevölkerung war auf unbestimmte Zeit – in einigen Fällen bis zu "20 Jahre lang – zum Militärdienst eingezogen. Obwohl das Mindestalter für die Einberufung bei 18 Jahren lag, mussten Schüler weiterhin das letzte Schuljahr im militärischen Ausbildungslager Sawa verbringen. Damit wurden de facto auch Minderjährige zum Militärdienst eingezogen. Die Lebensumstände in dem Ausbildungslager waren hart. Die Schüler unterlagen militärischer Disziplin und erhielten ein Waffentraining. Für Frauen waren die Bedingungen in dem Ausbildungslager besonders hart: Sie waren u. a. sexueller Versklavung und Folter sowie anderen Formen sexualisierter Gewalt ausgesetzt.

Männer wurden bis zum Alter von 67 Jahren in die "Volksarmee" eingezogen. Dort gab man ihnen eine Waffe und wies ihnen Aufgaben zu, die sie unter Androhung von Strafen wie Inhaftierung, Geldstrafen oder Zwangsarbeit verrichten mussten.

WILLKÜRLICHE FESTNAHMEN UND INHAFTIERUNGEN

Es gab weiterhin willkürliche Inhaftierungen und Fälle von Verschwindenlassen, ohne dass die Sicherheitskräfte dafür zur Rechenschaft gezogen wurden. Nach wie vor waren Tausende gewaltlose und andere politische Gefangene ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren inhaftiert. Unter ihnen befanden sich ehemalige Politiker, Journalisten und Menschen, die sich zu einer nicht anerkannten Religion bekannten. Sie hatten weder Zugang zu einem Rechtsbeistand, noch durften sie Besuch von Angehörigen erhalten. Viele befanden sich bereits seit weit über einem Jahrzehnt in Haft.

RECHT AUF RELIGIONS- UND GLAUBENSFREIHEIT

Lediglich Muslimen sowie orthodoxen, evangelisch-lutherischen und römisch-katholischen Christen war es gestattet, ihre Religion auszuüben. Viele evangelikale Christen praktizierten ihren Glauben heimlich, um nicht ins Gefängnis zu kommen.

Patriarch Antonios, Oberhaupt der eritreisch-orthodoxen Kirche, soll Berichten zufolge im Juli 2017 an einer Messe in der Hauptstadt Asmara teilgenommen haben. Er war zuletzt vor zehn Jahren gesehen worden. Kurze Zeit später hatte man ihn zu Hausarrest verurteilt, weil er sich gegen die Einmischung der Regierung in kirchliche Angelegenheiten verwahrt hatte.

RECHT AUF EINEN ANGEMESSENEN LEBENSSTANDARD

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) teilte mit, dass die Unterernährung in vier der sechs Regionen Eritreas angestiegen sei. UNICEF zitierte dazu Studien, in denen für das Jahr 2017 davon ausgegangen wurde, dass 22700 Kinder unter fünf Jahren an schwerer akuter Unterernährung leiden würden. UNICEF führte auch eritreische Daten an, wonach die Hälfte aller Kinder Wachstumsstörungen aufwies. In ihrem Bericht vom Juni 2017 zitierte die UN-Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtssituation in Eritrea den UNICEF-Bericht. Sie verwies zudem auf Angaben von im Ausland lebenden Eritreern, die über ihre Verwandten in Eritrea sagten, dass diese große Mühe hätten, ihre Grundbedürfnisse zu decken. Viele könnten sich keine Grundversorgungsgüter in ausreichender Menge leisten und hätten mit akutem Wassermangel zu kämpfen, vor allem in Asmara. Aus den Berichten gehe hervor, dass immer mehr Menschen von Dürre betroffene Regionen auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen verließen. Die Sonderberichterstatterin wies außerdem darauf hin, dass die Menschen sich auch deshalb nicht ausreichend mit Lebensmitteln und anderen grundlegenden Dingen versorgen konnten, weil die Regierung Barabhebungen von privaten Bankkonten mit drakonischen Vorschriften einschränkte."

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