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Kenia 2017
- HINTERGRUND
- MENSCHENRECHTSVERSTÖßE DURCH BEWAFFNETE GRUPPEN
- ANTITERRORMAßNAHMEN UND SICHERHEIT
- AUßERGERICHTLICHE HINRICHTUNGEN
- RECHT AUF VERSAMMLUNGSFREIHEIT
- RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUßERUNG
- FLÜCHTLINGE UND ASYLSUCHENDE
- RECHTE VON LESBEN, SCHWULEN, BISEXUELLEN, TRANSGESCHLECHTLICHEN UND INTERSEXUELLEN
- RECHT AUF WOHNEN – ZWANGSRÄUMUNGEN
- BERICHTE VON AMNESTY INTERNATIONAL
Die Sicherheitskräfte waren für Fälle von Verschwindenlassen, außergerichtliche Hinrichtungen und Folter verantwortlich, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Bis Oktober 2016 hatten sie bereits mindestens 122 Menschen getötet. In einigen Fällen begingen die Sicherheitskräfte Übergriffe im Zuge von Antiterroreinsätzen, in anderen Fällen waren dafür Polizisten, die ohne gebührende Aufsicht handelten, und andere Sicherheitskräfte verantwortlich. Die Polizei ging mit exzessiver und tödlicher Gewalt gegen Demonstrierende vor, die faire Wahlen forderten. Oppositionspolitiker, Journalisten, Blogger, Aktivisten, die Korruption anprangerten, und andere zivilgesellschaftlich engagierte Bürger wurden drangsaliert. Bewohner informeller Siedlungen und sozial benachteiligte Gruppen wurden Opfer rechtswidriger Zwangsräumungen.
HINTERGRUND
Korruption war in Kenia nach wie vor ein massives Problem. Präsident Uhuru Kenyatta forderte fast ein Viertel seiner Minister zum Rücktritt auf, nachdem die staatliche Kommission für Ethik und Korruptionsbekämpfung (Ethics and Anti-Corruption Commission – EACC) ihnen Korruption vorgeworfen hatte. Einigen drohte ein Prozess wegen Korruption, andere mussten vor Kontrollinstitutionen erscheinen und dort zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Nach Angaben der EACC führte die Korruption zu einem Verlust von mindestens 30 % des Bruttoinlandprodukts, was etwa 6 Mrd. US-Dollar pro Jahr entsprach. Auch gegen Lokalregierungen wurden Korruptionsvorwürfe erhoben, häufig wegen künstlich nach oben getriebener Beschaffungskosten. Gegen das Gesundheitsministerium und das Ministerium für Dezentralisierung und Planung wurde u. a. wegen Unterschlagung von Geldern ermittelt.
Im Mai 2016 riefen zivilgesellschaftliche Organisationen die Initiative Kura Yangu, Sauti Yangu ins Leben, die sich dafür einsetzt, dass die für August 2017 angesetzten Wahlen rechtmäßig, fair und geordnet verlaufen. Kurz darauf organisierte das oppositionelle Parteienbündnis Coalition for Reform and Democracy wöchentliche Demonstrationen, die sich gegen die Unabhängige Wahl- und Wahlkreiskommission (Independent Electoral and Boundaries Commission – IEBC) richteten, da diese nach Ansicht der Protestierenden nicht unparteiisch war. Die Rücktrittsankündigung der Kommissionsmitglieder am 3. August 2016 beendete die monatelangen Protestkundgebungen. Am 14. September 2016 unterzeichnete der Präsident ein geändertes Wahlgesetz (Election Laws [Amendment] Bill), das die Voraussetzungen für die Berufung neuer Mitglieder der IEBC schuf. Deren Berufung verzögerte sich jedoch, weil das zuständige Gremium die Ernennung seines Vorsitzenden auf unbestimmte Zeit verschob, nachdem fünf Bewerber bei ihrer Vorstellung die notwendigen Kriterien nicht erfüllt hatten. Es war zu erwarten, dass sich die Verzögerung negativ auf den Zeitplan der Wahlvorbereitung auswirken wird.
MENSCHENRECHTSVERSTÖßE DURCH BEWAFFNETE GRUPPEN
Die aus Somalia stammende bewaffnete Gruppe Al-Shabab verübte 2016 weiterhin Angriffe in Kenia.
Mitglieder von Al-Shabab stürmten u. a. ein Hotel, in dem sich Mitglieder einer Theatergruppe aufhielten. Bei dem Angriff in Mandera, einer Stadt im Nordosten Kenias, am 25. Oktober 2016 wurden mindestens zwölf Menschen getötet.
ANTITERRORMAßNAHMEN UND SICHERHEIT
Die Sicherheitskräfte wurden mit Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und anderen Menschenrechtsverletzungen im Zuge von Antiterroreinsätzen gegen Al-Shabab in Verbindung gebracht. Obwohl immer mehr derartige Straftaten gemeldet wurden, gab es keine gründlichen Untersuchungen mit dem Ziel, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
AUßERGERICHTLICHE HINRICHTUNGEN
Die Polizei und andere Sicherheitskräfte waren für außergerichtliche Hinrichtungen, Fälle von Verschwindenlassen und Folter verantwortlich.
Der für eine gemeinnützige Rechtshilfeorganisation tätige Anwalt Willie Kimani, sein Mandant Josphat Mwenda und ihr Taxifahrer Joseph Muiruri wurden am 23. Juni 2016 an einen unbekannten Ort verschleppt. Am 1. Juli fand man ihre Leichen an einem Flussufer im Bezirk Machakos. Obduktionen ergaben, dass sie gefoltert worden waren. Josphat Mwenda, ein Motorradtaxifahrer, hatte Klage gegen einen Angehörigen der paramilitärischen Polizeieinheit Administration Police (AP) wegen versuchten Mordes erhoben, weil dieser ihn bei einer routinemäßigen Verkehrskontrolle in den Arm geschossen hatte. Der Polizist zeigte Josphat Mwenda daraufhin wegen eines Verkehrsdelikts an, um ihn einzuschüchtern und zum Rückzug der Klage zu bewegen. Die drei Männer wurden verschleppt, als sich Willie Kimani und Josphat Mwenda auf dem Rückweg vom Gericht in Mavoko (Bezirk Machakos) befanden, wo eine Anhörung wegen des Verkehrsdelikts stattgefunden hatte. Am 21. September 2016 wurden die drei Polizisten Fredrick ole Leliman, Stephen Cheburet Morogo, Leonard Maina Mwangi und die Polizistin Sylvia Wanjiku Wanjohi, die alle bei der AP arbeiteten, für schuldig befunden, die drei Männer ermordet zu haben. Ende 2016 befanden sich die vier Verurteilten in Gewahrsam, und die Verkündung des Strafmaßes stand noch aus.
Die Ermordung der drei Männer führte zu landesweiten Protesten. Menschenrechtsorganisationen, Medien, Juristenverbände und Organisationen weiterer Berufsgruppen forderten Maßnahmen gegen das Verschwindenlassen und gegen außergerichtliche Hinrichtungen.
Der Krankenpfleger Job Omariba aus Meru in Ostkenia verschwand Berichten zufolge am 21. August 2016 in Nairobi. Am 30. August wurde seine Leiche im Leichenschauhaus von Machakos gefunden. Im Laufe desselben Tages nahm ein Sonderdezernat der Kriminalpolizei (Special Crime Prevention Unit) drei Polizisten fest, die im Verdacht standen, Job Omariba verschleppt und ermordet zu haben.
Am 29. August 2016 betraten zwei Polizisten das Mwingi-Level-4-Krankenhaus und erschossen den Straßenhändler Ngandi Malia Musyemi vor den Augen seiner Schwester. Er hatte der Polizei zuvor gemeldet, dass er in einem Fahrzeug entführt worden sei. Zur Untersuchung der Tötung wurden Polizisten aus Nairobi, Machakos und Embu abgeordnet.
Kenia führt keine offizielle Statistik über Fälle von Verschwindenlassen und Tötungen durch die Polizei. Nach Angaben der Menschenrechtsgruppe HAKI Africa wurden in den ersten acht Monaten des Jahres 2016 im Bezirk Mombasa 78 Menschen Opfer außergerichtlicher Hinrichtungen und des Verschwindenlassens. Die Tageszeitung Daily Nation dokumentierte für denselben Zeitraum 21 Fälle von Tötungen durch Polizisten.
RECHT AUF VERSAMMLUNGSFREIHEIT
Die Polizei ging 2016 mit exzessiver und tödlicher Gewalt gegen Demonstrierende in Nairobi und anderen Städten vor, um Proteste gegen die Wahlkommission (IEBC) aufzulösen.
Am 16. Mai 2016 wurde ein Demonstrant in Nairobi bei Auseinandersetzungen mit der Polizei angeschossen, als Bewohner der informellen Siedlung Kibera versuchten, zum Sitz der IEBC zu marschieren.
Am 23. Mai 2016 setzte die Polizei Schlagstöcke, Tränengas, Wasserwerfer und in einigen Fällen scharfe Munition ein, um Demonstrierende auseinanderzutreiben, die auf dem Weg zum Sitz der IEBC waren. Ein Video zeigte, wie drei Polizisten einen Demonstranten, der gestürzt war, traten und schlugen. Bei einer weiteren Demonstration am 23. Mai in Kisumu, einer Stadt im Westen des Landes, wurden mindestens zwei Menschen getötet und 53 verletzt.
RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUßERUNG
Die Behörden schränkten das Recht auf freie Meinungsäußerung 2016 nach wie vor ein, indem sie Journalisten, Blogger und weitere Vertreter der Zivilgesellschaft einschüchterten und drangsalierten. Sie beriefen sich dabei vor allem auf vage Formulierungen des Informations- und Kommunikationsgesetzes (Information and Communication Act). Mindestens 13 Personen wurden nach Paragraph 29 des Gesetzes strafrechtlich verfolgt, der unpräzise Begriffe wie "grob beleidigend" und "anstößig" enthält. Das Hohe Gericht entschied am 19. April 2016, Paragraph 29 verstoße gegen die Bestimmungen der Verfassung über das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Der Journalist Mbuvi Kasina musste sich wegen Missbrauchs eines lizensierten Telekommunikationssystems in sechs Fällen vor Gericht verantworten, nachdem er die Verwendung von Fördermitteln im Wahlbezirk Kitui South hinterfragt hatte.
Duncan Wanga, der als Journalist und Kameramann für den Fernsehsender K24 arbeitete, wurde am 27. September 2016 von Polizisten drangsaliert und angegriffen, als er über eine Demonstration in Eldoret, einer Stadt im Westen des Landes, berichtete. Dabei zerstörten die Polizisten auch seine Kamera.
Am 1. Oktober 2016 drohte der kenianische Vizepräsident dem Menschenrechtsverteidiger Boniface Mwangi mit einer Anzeige, nachdem dieser eine Twitter-Nachricht verbreitet hatte, in der er den Vizepräsidenten mit der Ermordung des Geschäftsmanns Jacob Juma im Mai 2016 in Verbindung brachte. Die Anwälte des Vizepräsidenten verlangten von Mwangi, die Äußerung binnen sieben Tagen zurückzunehmen, richtigzustellen und sich dafür zu entschuldigen. In ihrer Antwort teilten die Anwälte von Boniface Mwangi mit, sie würden ein Verfahren begrüßen, denn dabei würde sich zeigen, dass der Ruf des Vizepräsidenten nicht durch die Twitter-Nachricht verletzt worden sei. Sie erinnerten an das Verfahren des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den Vizepräsidenten und daran, dass ein Parlamentsabgeordneter ihn ebenfalls mit der Ermordung von Jacob Juma in Verbindung gebracht hatte.
FLÜCHTLINGE UND ASYLSUCHENDE
Im Mai 2016 kündigte die Regierung die Schließung des Flüchtlingslagers Dadaab für Ende November an. Kurz zuvor hatte sie den nach Kenia geflüchteten Somaliern den Flüchtlingsstatus aberkannt. Zur Begründung verwies die Regierung auf die innere Sicherheit. Außerdem forderte sie, die internationale Gemeinschaft müsse sich stärker an der Aufnahme der Flüchtlinge beteiligen. Von den mehr als 280000 Flüchtlingen, die in Dadaab lebten, stammten etwa 260000 aus Somalia. Äußerungen der Regierung über den Rückführungsprozess, der enge zeitliche Rahmen und die nach wie vor unsichere Lage in Somalia ließen befürchten, dass die Rückführung zwangsweise erfolgen und das Leben Zehntausender Menschen gefährden könnte, was einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellen würde. Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge kehrten von Januar bis Mitte Oktober 2016 etwa 27000 somalische Flüchtlinge aus Dadaab "freiwillig" nach Somalia zurück. Am 16. November 2016 gaben die kenianischen Behörden bekannt, dass die Frist zur Schließung des Flüchtlingslagers um sechs Monate verlängert werde.
Im Mai 2016 löste die Regierung die staatliche Flüchtlingsbehörde auf, die auf der Grundlage des Flüchtlingsgesetzes (Refugee Act) von 2006 eingerichtet worden war. Die Behörde wurde durch ein Sekretariat für Flüchtlingsfragen ersetzt, für das es jedoch keine gesetzliche Grundlage gab und das dem Ministerium für Inneres und Koordination der Nationalregierung unterstellt war.
RECHTE VON LESBEN, SCHWULEN, BISEXUELLEN, TRANSGESCHLECHTLICHEN UND INTERSEXUELLEN
Das Hohe Gericht in Mombasa entschied am 16. Juni 2016, Analuntersuchungen von Männern, die gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen verdächtigt werden, seien rechtmäßig. Zwei Männer, die im Februar 2015 zu Analuntersuchungen, HIV- und Hepatitis-B-Tests gezwungen worden waren, hatten sich an das Gericht gewandt, um die Verfassungsmäßigkeit der Zwangstests prüfen zu lassen. Das Gericht sah darin weder eine Verletzung von Rechten noch Verstöße gegen geltendes Recht. Nach dem Völkerrecht verletzen erzwungene Analuntersuchungen und HIV-Tests das Recht auf Privatsphäre und stellen einen Verstoß gegen das Verbot von Folter und anderen Misshandlungen dar. Die Entscheidung des Hohen Gerichts verletzte mehrere von Kenia ratifizierte Menschenrechtsverträge.
RECHT AUF WOHNEN – ZWANGSRÄUMUNGEN
Bewohner informeller Siedlungen und sozial benachteiligte Gruppen wurden nach wie vor Opfer rechtswidriger Zwangsräumungen, um großangelegte Infrastrukturprojekte durchzusetzen.
Am 8. Juli 2016 wurden 349 Familien aus der informellen Siedlung Deep Sea in Nairobi vertrieben, um Raum für ein Straßenbauprojekt zu schaffen, das den Thika Super Highway mit der Westlands Ring Road verbinden soll. Die Räumung war nicht angekündigt und erfolgte, obwohl ein Konsultationsprozess zwischen den Bewohnern und der kenianischen Straßenbaubehörde (Kenya Urban Roads Authority – KURA) noch nicht abgeschlossen war. Während der Räumung wurden die Bewohner von bewaffneten Jugendlichen angegriffen, die in Fahrzeugen der Regierung, Baufahrzeugen und Privatwagen herbeigeschafft worden waren. Polizisten, die ebenfalls vor Ort waren, drohten den Bewohnern, auf sie zu schießen, sollten sie sich der Räumung widersetzen. Die KURA und die EU, die das Straßenbauprojekt finanziert, hatten den Bewohnern von Deep Sea zugesichert, man werde sie nicht mit Gewalt aus ihren Häusern vertreiben.
Bei einem Treffen mit Vertretern der Bewohner von Deep Sea räumte die KURA ein, dass die Rechte der Betroffenen verletzt worden seien, und übernahm die Verantwortung dafür. Die Behörde sicherte den Bewohnern in einem Schreiben zu, umgehend Maßnahmen zu ergreifen und u. a. die Sanitärversorgung wiederherzustellen, den Wiederaufbau von Häusern zu unterstützen und humanitäre Hilfe zu leisten, indem sie Familien, die alles verloren hatten, z. B. Kochgelegenheiten und Decken zur Verfügung stelle. Die KURA verständigte sich mit den Bewohnern darauf, allen Personen mit ständigem Wohnsitz in Deep Sea 20000 Kenia-Schilling (etwa 180 Euro) zu bezahlen. Der Betrag gilt nicht als Entschädigung für die bei der rechtswidrigen Zwangsräumung entstandenen Verluste.
Vertreter der indigenen Gemeinschaft der Sengwer berichteten, dass die kenianische Forstverwaltung im Embobut-Wald mehrfach Häuser niederbrannte. Örtliche Gerichte verhandelten Fälle von Angehörigen der Sengwer, die festgenommen worden waren, weil sie sich in dem Wald aufhielten. Dabei war ein von Sengwer initiiertes Gerichtsverfahren, mit dem sie ihre Vertreibung angefochten hatten, noch nicht abgeschlossen, und es lag eine einstweilige Verfügung des Hohen Gerichts von Eldoret aus dem Jahr 2013 vor, die Festnahmen und Vertreibungen untersagte, solange nicht über die Anfechtungsklage entschieden sei.