Amnesty Report Thailand 28. März 2023

Thailand 2022

Eine Frau mit Maske vor dem Mund, auf den Wangen steht: „Stop 112“.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung wurden erneut angegriffen. Neue gesetzliche Bestimmungen, die Folter und andere Misshandlungen sowie Fälle des Verschwindenlassens verhindern sollten, gingen nicht weit genug, um einen wirksamen Schutz vor diesen Verbrechen zu gewährleisten. Flüchtlinge aus Myanmar wurden an der Grenze weiterhin von den thailändischen Behörden festgenommen, inhaftiert und erpresst. Malaiische Muslime im südlichen Grenzgebiet waren nach wie vor der massenhaften und diskriminierenden Sammlung von DNA-Proben ausgesetzt.

Hintergrund

Im Januar 2022 nahm die Regierung wieder offizielle Verhandlungen mit Barisan Revolusi Nasional (BRN) auf, der aktivsten bewaffneten Separatistengruppe in der unruhigen südlichen Grenzregion Thailands. Beide Parteien einigten sich darauf, die bewaffneten Aktivitäten während des Ramadan vom 2. April bis 1. Mai 2022 zu reduzieren. Zivilgesellschaftliche Gruppen, einschließlich Menschenrechtsorganisationen, waren nur in begrenztem Umfang an dem Dialog beteiligt.

Am 1. Oktober 2022 hob die Regierung den im März 2020 während der Coronapandemie verhängten und immer wieder verlängerten landesweiten Ausnahmezustand weitgehend auf. Die Behörden hatten die umfangreichen Befugnisse, die ihnen im Rahmen des Notstandsdekrets über die öffentliche Verwaltung in Notsituationen eingeräumt worden waren, dafür genutzt, um im Internet und im öffentlichen Raum gegen friedliche Kritiker*innen vorzugehen. In einigen Grenzgebieten waren der Ausnahmezustand und das Kriegsrecht Ende 2022 weiterhin in Kraft.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Trotz der von der Regierung im Rahmen der Pandemiebekämpfung verhängten Beschränkungen fanden weiterhin Proteste statt, die überwiegend friedlich verliefen. Zwischen Januar und August 2022 wurden landesweit mindestens 585 kleinere und mittelgroße Protestveranstaltungen durchgeführt. Die zahlreichen Forderungen der Protestierenden betrafen u. a. die Freilassung von Personen, die friedlich ihre politische Meinung zum Ausdruck gebracht hatten, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronapandemie und die Achtung der Rechte von Arbeitnehmer*innen und indigenen Gemeinschaften.

Seit Mai 2020 wurden mindestens 1.468 Personen, darunter 241 Minderjährige, im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme an den Protesten wegen mutmaßlicher Verstöße gegen den Ausnahmezustand strafrechtlich verfolgt. Zu ihnen gehörte auch die Menschenrechtsverteidigerin Sitanun Satsaksit. Nachdem sie am 5. September 2021 an einer Kundgebung in der Hauptstadt Bangkok teilgenommen und im Dezember 2021 bei den Vereinten Nationen eine Petition wegen der Entführung ihres jüngeren Bruders in Kambodscha eingereicht hatte, wurde auf der Grundlage der Notstandsverordnung von 2005 ein Verfahren gegen sie eingeleitet. Auch nachdem die Regierung den Ausnahmezustand aufgehoben hatte, waren weiterhin Ermittlungen oder Gerichtsverfahren gegen mehr als 1.000 Demonstrierende anhängig.

Eine von der Regierung in die Wege geleitete Untersuchung zum Einsatz von scharfer Munition bei einer Demonstration im August 2021, bei der der 15-jährige Demonstrant Warit Somnoi getötet worden war, verzögerte sich erheblich, weil die Polizei der Staatsanwaltschaft trotz wiederholter Aufforderung keine Beweise vorlegte.

Am 18. November 2022 setzte die Bereitschaftspolizei in Bangkok Gummigeschosse ein und schlug Protestierende, um eine Demonstration gegen das Gipfeltreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft APEC aufzulösen. Neun Demonstrierende, vier Journalist*innen und fünf Polizist*innen wurden dabei verletzt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Behörden gingen weiterhin strafrechtlich gegen Personen vor, die Kritik an der Regierung übten. Aktivist*innen, Journalist*innen und Oppositionelle wurden wegen verschiedener Verstöße gegen das Gesetz über Majestätsbeleidigung (Lèse-Majesté-Gesetz; Verleumdung, Beleidigung oder Bedrohung des Monarchen) und andere Verleumdungsgesetze strafrechtlich belangt. Auch unter dem Vorwurf staatsgefährdender Aktivitäten oder der Verletzung des Gesetzes über Computerkriminalität wurden strafrechtliche Schritte gegen sie eingeleitet. Die lokale NGO Thai Lawyers for Human Rights berichtete, dass von Mitte 2020 bis September 2022 gegen mindestens 1.860 Personen, darunter 283 Minderjährige, Strafverfahren wegen regierungskritischer Äußerungen eingeleitet wurden. Zwischen Januar und Juni 2022 wurden mehr als 200 Personen gemäß dem Lèse-Majesté-Gesetz wegen Majestätsbeleidigung angeklagt, die höchste Zahl in der Geschichte Thailands.

Ende 2022 befanden sich noch neun Aktivisten in Untersuchungshaft, darunter drei, die der Majestätsbeleidigung beschuldigt wurden. Viele weitere waren freigelassen worden, wurden jedoch mit restriktiven Auflagen in Bezug auf ihre Rechte auf Freizügigkeit, freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit belegt.

Zwischen Januar und September 2022 blockierten die Behörden 4.735 Websites, darunter 1.816, denen Verstöße gegen das Gesetz über Majestätsbeleidigung vorgeworfen wurden. Im Februar 2022 enthüllten Äußerungen des Ministers für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, dass die Regierung die Einrichtung eines einzigen Internet-Gateways erwog, um die behördliche Kontrolle der Internetnutzung zu verschärfen. Im selben Monat genehmigte das Kabinett die Einrichtung von "Zentren zur Bekämpfung von Fake News", um gegen "falsche Informationen in den Sozialen Medien" vorzugehen. Die Behörden auf Ministerial- und Provinzebene erhielten dabei die Befugnis, Personen, denen die Verbreitung von Fake News vorgeworfen wurde, zu überwachen und strafrechtlich zu verfolgen.

Im Juli 2022 ergab eine von Amnesty International verifizierte internationale digitale forensische Untersuchung, dass die Mobiltelefone von 35 thailändischen Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen mit der Pegasus-Spionagesoftware infiziert waren. Amnesty International nahm die Enthüllungen in Thailand zum Anlass, um erneut ein weltweites Moratorium für den Vertrieb von Spionagesoftware zu fordern.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Im Januar 2022 billigte das Kabinett den Entwurf eines Gesetzes über den Betrieb gemeinnütziger Organisationen. Im August nahm das Kabinett außerdem den Entwurf einer nationalen Strategie zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung für den Zeitraum 2022 bis 2027 an. Beide Entwürfe enthielten vage formulierte und weitreichende Beschränkungen für zivilgesellschaftliche Aktivitäten. Bei Inkrafttreten der Gesetze wären Aktivitäten verboten, die eine "Spaltung der Gesellschaft" verursachen oder die "nationale Sicherheit", die "öffentliche Ordnung und Moral" oder "öffentliche Interessen" gefährden. Nach dem Völkerrecht stellen derartige Bestimmungen eine unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit dar.

Folter und andere Misshandlungen sowie Verschwindenlassen

Laut einem im Mai 2022 ergangenen Urteil eines Gerichts in der Provinz Songkhla gab es keine ausreichenden Beweise dafür, dass Militärangehörige für den Tod des inhaftierten malaiischen Muslims Abdullah Isomuso verantwortlich waren. Abdullah Isomuso war in Militärgewahrsam bewusstlos aufgefunden worden und im August 2019 im Krankenhaus gestorben.

Im Juni 2022 verurteilte ein Gericht sieben Polizisten wegen des Mordes an Jiraphong Thanapat, der am 5. August 2021 bei einem Verhör in der Polizeistation Muang Nakhon Sawan gefoltert wurde und starb. Sechs Polizisten wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, ein weiterer erhielt eine mildere Strafe, da das Gericht die Ansicht vertrat, dass er nicht direkt an dem Mord beteiligt gewesen war.

Im Oktober 2022 verabschiedete Thailand ein Gesetz zur Verhinderung und Bekämpfung von Folter und Verschwindenlassen. Dies war ein wichtiger Schritt zur Verhinderung und Wiedergutmachung derartiger Verbrechen. Das Gesetz soll im Februar 2023 in Kraft treten. Menschenrechtsgruppen, die sich jahrelang für die Verabschiedung des Gesetzes eingesetzt hatten, wiesen jedoch darauf hin, dass es noch erhebliche Mängel aufwies. So fehlte eine "Ausschlussregel", die verhindert, dass Beweise, die durch Folter, Misshandlung oder Verschwindenlassen gewonnen wurden, vor Gericht verwendet werden können. Zudem enthielt das Gesetz kein Begnadigungsverbot für Personen, die derartige Verbrechen verübt haben. Menschenrechtsgruppen äußerten sich auch besorgt über die Zusammensetzung, die Struktur und das Mandat des nationalen Ausschusses zur Verhinderung und Bekämpfung von Folter und Verschwindenlassen, der im Rahmen des neuen Gesetzes eingerichtet werden soll, jedoch nicht befugt wäre, Hafteinrichtungen zu inspizieren.

Rechte indigener Gemeinschaften

Im August 2022 erhob die Generalstaatsanwaltschaft Anklage gegen den ehemaligen Leiter des Kaeng-Krachan-Nationalparks und drei weitere Angestellte des Parks, die des Mordes an Porlajee Rakchongcharoen beschuldigt wurden. Porlajee Rakchongcharoen, ein der indigenen Gemeinschaft der Karen angehörender Menschenrechtsverteidiger, war 2014 "verschwunden", nachdem Angestellte der Parkbehörde ihn in Gewahrsam genommen hatten. Zu den Anklagepunkten gehörten rechtwidrige Inhaftierung, Erpressung, Mord und Verbergen der Leiche des Opfers.

Ebenfalls im August 2022 lud die Polizei die Menschenrechtsanwältin Waraporn Utairangsee vor, damit sie den Vorwurf der Falschaussage zu einer Straftat einräumte. Die Vorladung erfolgte aufgrund einer Anzeige wegen Meineids, die der ehemalige Leiter des Kaeng-Krachan-Nationalparks im Juli 2021 gegen Waraporn Utairangsee erstattet hatte, nachdem die Menschenrechtsanwältin Klage gegen Angestellte des Parks eingereicht hatte. Gegenstand dieser Klage war die gewaltsame Vertreibung von Dorfbewohner*innen der indigenen Gemeinschaft der Karen aus dem Gebiet des Nationalparks und das Niederbrennen von 98 ihrer Häuser.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Im Juni und September 2022 griffen die Behörden mindestens 110 Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar auf Booten auf, die vor der Küste der Provinz Satun im Süden Thailands im Meer trieben. Schleuser*innen hatten sie dort zurückgelassen. Alle Bootsflüchtlinge wurden in einem Haftzentrum für Migrant*innen in Gewahrsam genommen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete, dass die thailändischen Behörden weiterhin mindestens 470 Rohingya auf unbestimmte Zeit in Haftzentren für Migrant*innen festhielten. Im September 2022 verweigerte die Einwanderungspolizei der myanmarischen Staatsangehörigen Han Lay die Einreise. Sie hatte Menschenrechtsverletzungen durch das Militär in Myanmar nach dem Putsch von 2021 öffentlich kritisiert. Später erhielt sie Asyl in Kanada. Flüchtlinge aus Myanmar waren an der Grenze zwischen Thailand und Myanmar weiterhin in Gefahr, von den thailändischen Behörden festgenommen, inhaftiert und erpresst zu werden.

Diskriminierung

Im Februar 2022 empfahl der UN-Ausschuss für die Beseitigung rassistischer Diskriminierung (CERD) der Regierung Thailands, die massenhafte und diskriminierende Sammlung und Verwendung von DNA-Proben und andere Maßnahmen zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen nach ethnischen Kriterien (Racial Profiling) einzustellen. Die Behörden beachteten diese Empfehlung jedoch nicht. Sie sammelten weiterhin DNA-Proben, insbesondere im südlichen Grenzgebiet des Landes, das mehrheitlich von malaiischen Muslim*innen bewohnt wurde. Das Vorgehen wurde u. a. als Maßnahme zur Bestimmung der Staatsangehörigkeit staatenloser Personen und zur Bekämpfung lokaler Gruppen von Aufständischen gerechtfertigt.

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