Amnesty Report Paraguay 28. März 2023

Paraguay 2022

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Die Behörden kriminalisierten weiterhin soziale Proteste. Bei den Ermittlungen zu Fällen von Folter und anderen Misshandlungen gab es keine nennenswerten Fortschritte. Rechtswidrige Zwangsräumungen waren nach wie vor ein ernstes Problem. Die Rechte Tausender kleinbäuerlicher und indigener Familien wurden durch solche Räumungen verletzt. Die Behörden ergriffen keine Maßnahmen zum Schutz von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) und Menschenrechtsverteidiger*innen. Sexueller Missbrauch von Kindern und die erzwungene Austragung von Schwangerschaften minderjähriger Mädchen gaben weiterhin Anlass zu großer Besorgnis.

Hintergrund

Vorwürfe des Missmanagements gegen die Generalstaatsanwaltschaft und das Büro der Ombudsperson führten zum Rücktritt des Ombudsmanns.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Das Recht auf freie Meinungsäußerung blieb auch 2022 weiterhin eingeschränkt. Im Dezember 2022 kam der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte zu einem Urteil im Fall des im Jahr 1991 getöteten Journalisten Santiago Leguizamón. Der Gerichtshof entschied, dass Paraguay u. a. das Recht auf freie Meinungsäußerung des Journalisten verletzt hatte, und wies den Staat an, Wiedergutmachungsleistungen zu tätigen.

Die Anklage wegen Brandstiftung gegen die Aktivistin Vivian Genes und weitere Studierende blieb weiter bestehen. Sie wurden beschuldigt, an einem Brandanschlag auf die Parteizentrale der Regierungspartei im Jahr 2021 beteiligt gewesen zu sein. Der Brand war während der sozialen Proteste ausgebrochen, bei denen Misswirtschaft bei der Verwendung der zur Bekämpfung der Coronapandemie vorgesehenen Mittel angeprangert worden war. Die Justizbehörden beschlossen, in diesem Fall ein öffentliches mündliches Verfahren durchzuführen.

Im April 2022 wurde die Studentin Aurora Lezcano nach einem jahrelangen Verfahren freigesprochen. Sie war strafrechtlich verfolgt worden, weil sie im Jahr 2017 an einer Protestveranstaltung an ihrer Universität teilgenommen hatte.

Der Journalist Juan Carlos Lezcano wurde im zweiten von fünf Fällen, die wegen seiner Berichterstattung über Unregelmäßigkeiten in der öffentlichen Verwaltung gegen ihn angestrengt worden waren, vom Vorwurf der Verleumdung freigesprochen. Im November 2022 erging gegen ihn und die Herausgeberin der Zeitung, für die er arbeitete, im dritten dieser Fälle jedoch ein Schuldspruch wegen Verleumdung. Beide wurden zu einer Geldstrafe verurteilt.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und anderweitige Misshandlungen blieben weiterhin straflos.

Im April 2022 bestätigte der Nationale Mechanismus zur Verhütung von Folter (Mecanismo Nacional de Prevención de la Tortura), dass ältere Kadett*innen der Militärakademie Francisco Solano López neu aufgenommene Kadettenschüler*innen gefoltert und auf andere Weise misshandelt hatten. Ferner stellte er fest, dass es in den Strafvollzugsanstalten weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen kam.

Die Staatsanwaltschaft machte keine Fortschritte bei den Ermittlungen zu den mutmaßlichen Folterungen und anderen Misshandlungen von 35 Personen auf einem Marinestützpunkt in der Stadt Ciudad del Este im Jahr 2020.

Straflosigkeit

Zehn Jahre nach dem Massaker in Curuguaty haben die Behörden noch immer nicht dafür gesorgt, dass die Verantwortlichen für die verübten Menschenrechtsverstöße zur Rechenschaft gezogen werden und die Betroffenen und ihre Familien Zugang zu Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung erhalten. Polizeikräfte hatten 2012 in Curuguaty 70 Angehörige einer kleinbäuerlichen Gemeinschaft darunter auch Kinder vertrieben. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, bei denen elf Kleinbauern und sechs Polizeikräfte getötet wurden.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Die Behörden erzielten 2022 bei der Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nur unzureichende Fortschritte, worunter insbesondere die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen litten.

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hielt eine Anhörung zur Agrarpolitik in Paraguay ab, da diese zu einer Zunahme rechtswidriger Zwangsräumungen geführt hatte. Bei diesen Zwangsräumungen war es zu willkürlichen Festnahmen und Tötungen gekommen. Darüber hinaus bedeuteten sie den Verlust der Existenzgrundlage für Tausende kleinbäuerliche und indigene Familien.

Die gesetzgebenden Organe verabschiedeten ein neues Gesetz, mit dem ein Ausschuss geschaffen wurde, der sich mit der Rückgabe des während der Militärdiktatur unrechtmäßig erlangten Landes befassen soll.

Trotz der während der Coronapandemie zutage getretenen Mängel des Gesundheitssystems unternahm der Staat noch immer keine konkreten Schritte, um im Rahmen eines partizipativen Prozesses ein allgemein zugängliches öffentliches Gesundheitssystem zu schaffen, das eine medizinische Grundversorgung für die Bevölkerung gewährleisten würde.

Klimakrise und Umweltzerstörung

Paraguay blieb eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder Südamerikas. Dennoch erlaubten die Behörden weiterhin die Ausweitung von Monokulturen, die möglicherweise zu einer Schädigung bestehender Ökosysteme führen. Unter diesem und anderen Aspekten der Umweltzerstörung, wie der Entwaldung und dem Einsatz von Agrochemikalien und Düngemitteln, litten vor allem marginalisierte Gemeinschaften.

Rechte indigener Gemeinschaften

Die Behörden missachteten weiterhin die Rechte indigener Gemeinschaften.

Die der indigenen Gemeinschaft der Avá Guaraní angehörende Gemeinschaft Tekoha Sauce wartete noch immer auf die Rückgabe von Land, das Jahrzehnte zuvor von dem Unternehmen Itaipú Binacional in Besitz genommen worden war. Das Unternehmen strengte in einem laufenden Klageverfahren außerdem weiter die Räumung von Angehörigen der Gemeinschaft von einem anderen Teil ihres angestammten Landes an, auf dem sie lebten.

Im Juni 2022 stellte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass Paraguay weiterhin die Rechte der Gemeinschaft der Yakye Axa verletzte, die der indigenen Gemeinschaft der Enxet angehört. Der Gerichtshof kündigte verstärkte Überwachungsmaßnahmen an, um den Zugang der Yakye Axa zu ihrem angestammten Territorium zu gewährleisten. Außerdem bekundete er seine Absicht, Paraguay in den folgenden Monaten zu besuchen.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Die Behörden vernachlässigten weiterhin die Rechte von LGBTI+.

Bei den Strafverfahren wegen Angriffen auf LGBTI+ während der Pride-Parade 2019 in der Stadt Hernandarias wurden auch 2022 keine Fortschritte erzielt. Die Stadtverwaltung von Hernandarias hatte die Veranstaltung u. a. mit der Begründung verboten, dass sie "gegen die öffentliche Moral" verstoße. Auch die von Amnesty International im Oktober 2019 eingereichte Klage gegen die Entscheidung der Stadtverwaltung kam nicht voran.

Yren Rotela und Mariana Sepúlveda legten beim UN-Menschenrechtsausschuss Beschwerde wegen der Verletzung ihrer Rechte ein. Die beiden trans Frauen fordern seit 2016 das Recht ein, ihre Namen entsprechend ihrer Geschlechtsidentität gesetzlich ändern zu lassen. Im Dezember 2022 beseitigte der Oberste Gerichtshof rechtliche Hindernisse in Bezug auf die Weiterführung des Falles von Mariana Sepúlveda und dessen Anhörung vor den zuständigen Gerichten.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Trotz zahlreicher Empfehlungen von Vertragsorganen und Sonderverfahren der Vereinten Nationen richteten die Behörden keinen spezifischen Mechanismus zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen ein.

Kinderrechte

Das Ministerium für Kinder und Jugendliche (Ministerio de la Niñez y la Adolescencia) gab bekannt, dass der Inhalt des Nationalen Programms zur Verhinderung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen und zur Bereitstellung umfassender Hilfe (Programa Nacional de Prevención y Atención Integral del Abuso Sexual hacia Niños, Niñas y Adolescentes) ausgearbeitet werde, und veröffentlichte ab August 2022 Informationen zum Stand der Umsetzung.

Die Staatsanwaltschaft dokumentierte 2022 insgesamt 1.452 Fälle von Misshandlungen und 3.804 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern.

Bis November 2022 verzeichnete das Ministerium für Volksgesundheit und soziale Wohlfahrt (Ministerio de Salud Publica y Bienstar Social) 10.332 Geburten von Kindern, deren Mütter zwischen 15 und 19 Jahre alt waren. 570 von ihnen gehörten indigenen Gemeinschaften an. Zudem registrierte das Ministerium 420 Entbindungen, bei denen die Mütter zwischen 10 und 14 Jahre alt waren; 84 von ihnen gehörten einer indigenen Gemeinschaft an.

Frauenrechte

Das Ministerium für Frauenangelegenheiten (Ministerio de la Mujer) verzeichnete 2022 insgesamt 36 Femizide.

Ein Berufungsgericht erklärte im Fall eines Priesters, der im Jahr 2021 wegen der sexuellen Belästigung von Alexa Torres zu einer einjährigen Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt worden war, dass die im Jahr 2016 verübte Tat verjährt sei und der Fall deshalb abgewiesen werde. Alexa Torres legte vor dem Obersten Gerichtshof ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ein, das zum Ende des Jahres noch anhängig war.

Im November 2022 veröffentlichte die Presse ein durchgesickertes internes Rundschreiben des Außenministeriums, in dem alle paraguayischen Diplomat*innen aufgefordert wurden, die Verwendung von Begriffen, die sich auf "Genderthemen" beziehen, und von Wörtern wie "Diversität", "Vielfalt", "Intersektionalität" und "sexuelle und reproduktive Rechte" zu vermeiden. Das Bildungsministerium rief alle Lehrkräfte und Schuldirektor*innen öffentlich dazu auf, sich weiterhin an eine Anweisung aus dem Jahr 2017 zu halten, mit der Unterrichtsmaterialien über "Gendertheorie" verboten worden waren und sie die Aufforderung erhalten hatten, offiziell Beschwerde einzureichen, wenn sie derartige Materialien entdeckten.

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