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Mit dem Skalpell gegen Folter

Setzt sich seit Jahrzehnten international für die Dokumentation und Bekämpfung von Folter ein: Şebnem Korur Fincancı, renommierte forensische Medizinerin und Menschenrechtsverteidigerin
© privat
Die Rechtsmedizinerin Şebnem Korur Fincancı ist Menschenrechtsaktivistin und hält sich nicht mit Kritik an der türkischen Regierung zurück. Dafür nimmt sie auch Repressionen und Haft in Kauf.
Von Ralf Rebmann
Wenn Şebnem Korur Fincancı ins Ausland reist, stehen viele Termine an. Die türkische Menschenrechtsaktivistin und Rechtsmedizinerin trifft dort andere Aktivist*innen, Politiker*innen, aber auch Freund*innen, die sie lange nicht gesehen hat. Freundschaften zu pflegen, ist Şebnem Korur Fincancı sehr wichtig.
"Ich habe Glück, dass ich noch reisen kann", sagt sie. "Normalerweise konfiszieren die türkischen Behörden die Pässe von Personen, die sie einmal inhaftiert haben, und verhängen ein Reiseverbot."
Die 65-Jährige setzt sich seit Jahrzehnten für den Schutz der Menschenrechte und gegen Folter in der Türkei ein. Sie war viele Jahre Vorsitzende der Menschenrechtsstiftung der Türkei und von 2020 bis 2024 Vorsitzende der türkischen Ärzt*innenvereinigung. "Ich bin die Stechfliege auf dem Rücken der Regierung", sagt sie und lächelt.
Den Finger in die Wunde legen
Dass sie mit ihrer Kritik immer wieder den wunden Punkt trifft, zeigt die lange Liste der Strafverfahren, die gegen sie eingeleitet wurden: Im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten im Jahr 2013 erhielt sie eine Geldstrafe, weil sie Recep Tayyip Erdoğan, der damals Ministerpräsident war, in einem Tweet für das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte kritisiert hatte. 2016 wurde sie kurzzeitig inhaftiert, weil sie symbolisch die Redaktion der kurdischen Zeitung Özgür Gündem übernommen hatte. 2018 wurde sie zu einer Haftstrafe verurteilt, weil sie eine Petition der "Akademiker für den Frieden" unterzeichnet hatte. 2024 wurde ein weiteres Verfahren gegen sie eröffnet, nachdem sie öffentlich darauf hingewiesen hatte, dass die Verletzungen eines Anhängers der von Erdogan als Terrororganisation betrachteten Gülen-Bewegung auf Folter hinweisen könnten. Einige der Verfahren gegen Şebnem Korur Fincancı wurden neu aufgerollt, sodass sie jederzeit mit neuen Schikanen oder Verurteilungen rechnen muss.
Egal ob "Beleidigung", "Terrorpropaganda" oder "Unterstützung einer terroristischen Organisation": Die gegen Şebnem Korur Fincancı erhobenen Vorwürfe treffen auch viele andere zivilgesellschaftlich Engagierte im Land. Dazu trägt seit 2022 das sogenannte Desinformationsgesetz bei, mit dem die türkischen Behörden gegen unliebsame Kritik vorgehen können. Das vage formulierte Gesetz trifft Medienschaffende und Aktivist*innen, aber auch Bürger*innen, die sich über die Regierung beschweren.
"Die Meinungsfreiheit ist deutlich eingeschränkt, vor allem seit den Gezi-Protesten im Jahr 2013", sagt Şebnem Korur Fincancı. "Heute werden alle, die die Regierung kritisieren, festgenommen – ob sozialdemokratische Oppositionelle, Kurd*innen oder wer auch immer. Wobei das größte Verbrechen weiterhin bleibt, die kurdische Bevölkerung und die kurdische Frage zu unterstützen."
Das macht ein weiteres Verfahren gegen Şebnem Korur Fincancı deutlich: Im Oktober 2022 kommentierte sie im pro-kurdischen Sender Medya Haber TV ein Video, das bewaffnete PKK-Mitglieder im Irak zeigte, die mutmaßlich durch einen Chemiewaffeneinsatz des türkischen Militärs verletzt wurden. Sie forderte eine unabhängige Untersuchung, ob tatsächlich chemische Kampfstoffe zum Einsatz kamen. Daraufhin nahmen Sicherheitskräfte sie am 26. Oktober 2022 in ihrer Wohnung in Istanbul fest und brachten sie nach Ankara in Untersuchungshaft. Man warf ihr unter anderem "Propaganda für eine terroristische Organisation" und "Beleidigung staatlicher Institutionen" vor. Sie blieb in Haft, bis ein Gericht sie im Januar 2023 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und achteinhalb Monaten verurteilte. Bis zum Berufungsverfahren wurde sie auf freien Fuß gesetzt. Auch in diesem Verfahren steht ein rechtskräftiges Urteil noch aus.
Verletzungen durch Folter aufgedeckt
Şebnem Korur Fincancı machte sich schon früh in ihrer beruflichen Laufbahn für die Menschenrechte stark. Nach ihrem Medizinstudium an der Universität Istanbul arbeitete sie in den 1980er Jahren als Assistenzärztin in der Rechtsmedizin. Ein Fall ist ihr bis heute im Gedächtnis geblieben: "Ein Mann, Mitglied der kommunistischen Partei in der Türkei, wurde im Gefängnis getötet. Seine Füße waren geschwollen, er hatte Verletzungen an den Fußsohlen", erinnert sie sich. Die Professoren seien zu dem Schluss gekommen, dass die Verletzungen auf "Umherspringen" in der Zelle zurückzuführen waren. Şebnem Korur Fincancı sah das anders. "Es waren eindeutig Verletzungen, die durch Folter entstanden waren. Er wies zudem Verletzungen in den Achselhöhlen auf, die von einer bestimmten Art der Hängefolter verursacht werden." Damals beschloss sie, sich intensiv mit Foltermethoden und den daraus resultierenden Verletzungen zu beschäftigen. "Ich wollte der Wahrheit auf die Spur kommen und keine falschen medizinischen Berichte veröffentlichen."
In den 1990er Jahren übernahm sie zahlreiche leitende Positionen, die sie als Menschenrechtsaktivistin und forensische Expertin bekannt machten. So war sie zum Beispiel von 1996 bis 1998 Generalsekretärin der Istanbuler Ärztekammer. 1996 beteiligte sie sich im Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofs der Vereinten Nationen für das ehemalige Jugoslawien an Autopsien von Leichen aus Massengräbern in Bosnien. Darüber hinaus war sie maßgeblich an der Ausarbeitung des sogenannten Istanbul-Protokolls beteiligt: Das Handbuch, das Richtlinien zur Untersuchung von Folterfällen enthält, wurde im Jahr 2000 von der UNO-Generalversammlung verabschiedet.
"Wir kämpfen alle für diesselbe Sache"
"Ich habe das Glück, einen Beruf zu haben, der zum Schutz der Menschenrechte und zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen beitragen kann", sagt sie. "Ich kämpfe dafür, dass alle Menschen ihren Status als Bürger*innen und als Subjekte behalten – und nicht Objekte der Regierung werden. Ich fühle mich für alle verantwortlich."
Die Kraft dafür schöpft sie aus der großen Solidarität der Menschen in ihrer Umgebung, die ebenfalls die Menschenrechte schätzen und verteidigen: "Wir kämpfen alle für dieselbe Sache: Menschlichkeit. Und wir vertrauen einander." Dass diese Solidarität sehr viel wert ist, hat sie erfahren, als sie im Oktober 2022 inhaftiert wurde. Sie erhielt Hilfe von ihrer Familie und Freund*innen. "Es gab aber auch viel Unterstützung aus dem Ausland, von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Institutionen. Das hat mir sehr geholfen." Auch Amnesty setzte sich damals für ihre Freilassung ein.
Beim Briefmarathon 2024 rief Amnesty erneut zu Solidarität mit Şebnem Korur Fincancı auf. Sie erhielt Kopien der Briefe und Appelle aus aller Welt, die bei den türkischen Justizbehörden eingingen. "Darüber habe ich mich sehr gefreut", sagt sie. "Diese Unterstützung macht mich stark und gibt mir das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein."
Ralf Rebmann ist freier Mitarbeiter in der Online-Redaktion von Amnesty International Deutschland.