Amnesty Journal Somalia 17. September 2024

Sie lief allen Widerständen davon

Eine somalische junge Frau in Leggings, Sporthose und T-Shirt hat mit einem Tuch ihre Haare zurückgebunden und läuft durch eine Wohnsiedlung.

Sie war die schnellste Frau Somalias: Samia Yusuf Omar (gespielt von Ilham Mohamed Osman) vertrat ihr Land 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking. 

Yasemin Şamdereli erinnert mit ihrem Spielfilm "Samia" an eine außergewöhnliche somalische Sportlerin. 

Von Jürgen Kiontke

Samia läuft schneller als ihre Mitschüler. Wenn die Neunjährige ­antritt, kommt der Rest nicht mit. Ungewöhnlich für ein Mädchen, findet man in der Schule. Ihr Vater erkennt das Talent und unterstützt sie. Er ermuntert sie, den jährlichen Stadtlauf mitzumachen – und verspricht ihr für einen guten Platz ein paar neue Laufschuhe. Ihre Mutter sieht das etwas anders: Sport schickt sich nicht für Mädchen und ist außerdem zu gefährlich. Denn Samia wohnt mit ihrer Familie in Mogadischu, der Hauptstadt des von einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg gezeichneten Landes Somalia. Ende der 1990er Jahre herrschen in der Stadt Milizen, denn seit dem Sturz des Präsidenten Siad Barre gibt es keine zentrale Regierung mehr. Die Gefahr ist groß, beim Training Bewaffneten in die Arme zu laufen. Und in der Tat wird sie bald von Milizionären bedroht, die so alt sind wie sie.

Nachts trainiert, Teilnehmerfeld deklassiert

Doch was macht Samia? Sie übt nachts und deklassiert am Tag des Laufs das Teilnehmerfeld. Ihr Ziel ist nun klar: Sie will die schnellste Läuferin ihres Landes werden. Und das gelingt ihr: Als junge Frau nimmt sie 2008 an den Olympischen Spielen in Peking teil – als einzige Sportlerin aus Somalia. Trotz einer persönlichen Bestzeit von 32,16 Sekunden im 200-Meter-Lauf scheidet sie in der Vorrunde aus.

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Die Geschichte des Mädchens, das so schnell gegen alle Regeln lief, faszinierte die Regisseurin Yasemin Şamdereli, die mit ihrem Film "Almanya – Willkommen in Deutschland" (D 2011) bekannt wurde. "Samia" sei seit acht Jahren ihr Herzensprojekt gewesen, sagt sie. Der Film basiert auf dem Roman "Sag nicht, dass du Angst hast" von Guiseppe Catozzella. In Gesprächen mit Samias Schwester Hodan rekonstruierte er das Leben der ungewöhnlichen Sportlerin, die sich von Verboten und Repressalien bis hin zu Morddrohungen nicht davon abhalten ließ, ihre Bahnen zu laufen.

Fluchtversuch nach Europa

Doch das Leben meinte es nicht gut mit Samia. Als sie feststellen musste, dass es in ihrer Umgebung unmöglich war, weiter an ihren Leistungen zu arbeiten, zog sie 2010 in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba. Um 2012 an den Olympischen Spielen in London teilnehmen zu können, versuchte sie, über den Sudan und Libyen nach Europa zu gelangen. Sie ertrank im April 2012 gemeinsam mit anderen Flüchtlingen auf dem Mittelmeer bei der Überfahrt mit einem Schlauchboot.

Şamdereli erinnert mit einem sehenswerten Film an die außergewöhnliche Läuferin. Mit Ilham Mohamed Osman hat sie eine perfekte Darstellerin für Samia gefunden. In einer Nebenrolle ist die somalische Menschenrechtlerin und "Wüstenblume"-Autorin Waris Dirie zu sehen.

"Samia". I/D u. a. 2024. Regie: ­Yasemin Şamdereli, mit Ilham ­Mohamed Osman, Waris Dirie. ­Kinostart: 19. September 2024

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Jeanne d’Arc des Friedens

von Jürgen Kiontke

Mit "Petra Kelly – Act Now" will die Regisseurin Doris Metz für die Wiederentdeckung der Politikerin sorgen. Der Fokus liegt dabei auf Petra Kellys international ausgerichtetem Engagement für Menschenrechte und Klimaschutz.

Dass die 1992 im Alter von 44 Jahren von ihrem Lebenspartner Gerd Bastian getötete Kelly weltweit dachte, lag in ihrer Biografie begründet. Sie wuchs sowohl in Deutschland als auch den USA auf, wo sie sich als junge Frau der Bewegung gegen den Vietnamkrieg anschloss. Dass Widerstand gewaltlos zu sein hatte, war eine an Martin Luther King geschulte Maxime.

Metz hat TV-Archive durchforstet und Zeitzeug*innen interviewt. Ihr ist ein brillanter Film über eine schillernde Menschenrechtsaktivistin gelungen. Wir sehen Kelly bei Sit-Ins für Indigene in den USA und für Menschen in Tibet. Sie geht über die innerdeutsche Grenze, drängt bei Erich Honecker auf die Freilassung DDR-Oppositioneller. Es sind die 1980er Jahre, Deutschland soll mit Mittelstreckenraketen atomar aufgerüstet werden, da ist breiter Widerstand gefragt. Kelly wird zur Jeanne d’Arc der Friedensbewegung.

Die Bedeutung ihres Wirkens für ­heute erläutern Aktivist*innen wie Milo Yellow Hair von der indigenen Gruppe der Lakota und ihr Halbbruder John. Und natürlich Weggefährt*innen wie Otto Schily und Eva Quistorp. Sie beschreiben den Einfluss Petra Kellys auf die Grünen, die sie 1978 mitgründete. Schon bald ­kritisierte sie deren Anpassung an den Bonner Politikbetrieb: Absprachen zwischen Tür und Bierchen waren ihr zu­wider. Derlei hatte sie schon zu Genüge in Brüssel kennengelernt, wo sie nach ­einem Einserexamen in Politikwissenschaften ihre Karriere im Wirtschafts- und Sozialausschuss der EG begonnen hatte. Auch hier liefert Metz’ Film Informationen, die selbst Eingeweihten unbekannt sein dürften, und selten gesehene Bilder. Toller Film, ganz großes Kino!

"Petra Kelly – Act Now". D 2024. Regie: Doris Metz. Kinostart: 12. September 2024

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