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Der letzte Sklave: Cudjo Lewis wurde 1860 aus Westafrika in die USA verschleppt.
© Erik Overbey Collection, The Doy Leale McCall Rare Book and Manuscript Library, University of South Alabama
Es dauerte fast ein Jahrhundert, bis ein zentrales Werk der afroamerikanischen Schriftstellerin Zora Neale Hurston veröffentlicht wurde. "Barracoon" erzählt die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven.
Von Wera Reusch
Zora Neale Hurston war eine junge Ethnologin, als sie 1927 in Alabama einen ganz besonderen alten Mann ausfindig machte: Cudjo Lewis galt als der letzte bekannte Sklave, den man aus Westafrika in die USA verschleppt hatte. Als 19-Jähriger war er im heutigen Benin gefangen genommen, in einem Verlies (Barracoon) an der Küste eingesperrt und 1860 mit einem Sklavenschiff nach Alabama gebracht worden. Die transatlantische Überfahrt war illegal, denn Menschenhandel war damals bereits verboten, Sklaverei allerdings nicht. In den USA angekommen, musste Oluale Kossola – so sein afrikanischer Name – für den Schiffseigner schuften, bis die Sklaverei 1865 abgeschafft wurde.
Hurston besuchte Kossola, als er 86 Jahre alt war. Sie gewann sein Vertrauen, hörte ihm zu und fand eine geniale Form, um seine bewegende Lebensgeschichte für die Nachwelt zu dokumentieren: Sie schildert die Gesprächssituation und hält seine Erinnerungen in seinen eigenen Worten und in seinem Südstaatendialekt fest. "Barracoon. Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven" setzt nicht nur einem wichtigen Zeitzeugen ein Denkmal, das Buch beweist auch, dass es sich lohnt, Hurston als Wissenschaftlerin und Schriftstellerin wiederzuentdecken.
Ihrer Zeit weit voraus
1891 im tiefen Süden der USA geboren, war sie die erste Afroamerikanerin, die am New Yorker Barnard College aufgenommen wurde. Und sie war die erste Wissenschaftlerin, die sich systematisch mit afroamerikanischer Kultur beschäftigte. Unermüdlich reiste die Ethnologin in den 1930er Jahren durch die Südstaaten, um Geschichten und Lieder zu sammeln, bevor sie sich ganz der Schriftstellerei zuwandte. Sie entwickelte eine Meisterschaft darin, den Rhythmus und Humor, die Poesie und Weisheit dieser Überlieferungen literarisch zu verarbeiten. Aus heutiger Perspektive könnte man sagen, Hurston stand als eine der ersten für die Maxime: "Black Culture Matters".
Die Autorin veröffentlichte in den 1930er und 1940er Jahren vier Romane, eine Autobiografie, zwei Bände über schwarze Folklore und zahlreiche Kurzgeschichten und Essays. Mit ihrem ungebrochenen schwarzen Stolz war Zora Neale Hurston ihrer Zeit jedoch zu weit voraus. Ab Ende der 1940er Jahre lag sozialer Realismus im Trend. Und Hurston geriet auf dramatische Weise ins Abseits. Die letzten Jahre bis zu ihrem Tod schlug sie sich als Dienstmädchen und Aushilfe durch. 1960 starb sie verarmt in einem Wohlfahrtsheim in Florida.
Inzwischen gilt Hurston als eine der großen afroamerikanischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts – als Vorläuferin von Toni Morrison, Alice Walker oder Yaa Gyasi. Und man mag kaum glauben, dass sie für "Barracoon" nach der Fertigstellung 1931 keinen Verlag fand. Das Buch erschien erstmals 2018 in den USA – also fast ein Jahrhundert, nachdem Hurston Kossola interviewt hatte. Die deutsche Übersetzung hat leider keine überzeugende Lösung gefunden, um den Dialekt wiederzugeben, dennoch sei das sorgfältig editierte Buch allen ans Herz gelegt, die sich für US-Geschichte und -Literatur interessieren: Es ist zweifellos ein Meilenstein.
Zora Neale Hurston: Barracoon. Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven. Aus dem Amerikanischen von Hans-Ulrich Möhring, Penguin Verlag, München 2020, 224 Seiten, 20 Euro.
Wera Reusch ist freie Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.
WEITERE BUCHTIPPS:
von Wera Reusch
Anlass für dieses Buch war der Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019, als ein Rechtsextremist zwei Menschen tötete und zwei weitere schwer verletzte. Der Täter zählt zu einem neuen Typ von Rechtsterroristen weltweit, die nicht nur eine rassistische, antisemitische und antifeministische Ideologie verbindet, sondern auch die gezielte Nutzung des Internets: Dort werden die Terrorakte vorbereitet und verbreitet, dort bestätigen die Täter sich gegenseitig in ihrem Hass und stacheln sich zu Attentaten an.
Die neun Autorinnen und Autoren von "Rechte Egoshooter" – die sich alle intensiv mit Rechtsextremismus beschäftigt haben – zeichnen den Weg nach von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat. Sie schildern unter anderem die Inhalte rechter Internetforen und Imageboards, beleuchten das Verhältnis von Gaming zu Terror und analysieren den Frauenhass der sogenannten Incel-Szene. Zu den untersuchten Beispielen zählen neben dem Anschlag in Halle weitere Terrorakte in Deutschland und anderen Ländern. Die von den Autorinnen und Autoren vermittelten Einblicke in die Szene sind erschreckend. Mindestens genauso beunruhigend ist, dass Andrea Röpke "politische Ignoranz" gegenüber dem Rechtsterrorismus und Simone Rafael eine "Hilflosigkeit der Gegenstrategien" konstatieren.
Jean-Philipp Baeck & Andreas Speit (Hg): Rechte Egoshooter. Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat, Ch. Links Verlag, Berlin 2020, 208 Seiten, 18 Euro.
Wera Reusch ist freie Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
von Wera Reusch
Wie beschreibt man einen Krieg, der offenbar keinen interessiert? Wie macht man auf Kriegsverbrechen aufmerksam, für die niemand zur Rechenschaft gezogen wird? Die jemenitische Journalistin und Schriftstellerin Bushra al-Maktari stellte sich diesen Fragen und beschloss, der geschundenen Zivilbevölkerung Gehör zu verschaffen. Sie reiste unter Lebensgefahr durch ihr Land und befragte Überlebende, deren Kinder, Eltern oder andere Angehörige getötet wurden. Von den 400 Protokollen, die sie erstellte, veröffentlichte sie 43 in einem Buch. Dabei wechseln sich die Opfer der einen und der anderen Seite ab, denn al-Maktari möchte nicht politisch instrumentalisiert werden.
"Jedes Haus in dieser Stadt birgt eine Geschichte, die ruhen will, die nicht aufgerührt werden will", sagt ihr eine Mutter, deren Kinder im Alter von acht, sechs und zwei Jahren von einer Granate zerfetzt wurden, als sie vor dem Haus spielten. Es ist nur eine von zahlreichen erschütternden Geschichten, die al-Maktari aufgezeichnet hat. Vielen Menschen fällt es spürbar schwer, die Ereignisse zu schildern, manche sind ganz offensichtlich traumatisiert. Die Protokolle stellen eine Nähe zu den Gräueln her, die kaum auszuhalten ist. Sie zeugen vom Irrsinn dieses Krieges und reichen in ihrer Bedeutung weit über den Jemen hinaus.
Bushra al-Maktari: Was hast Du hinter Dir gelassen? Stimmen aus dem vergessenen Krieg im Jemen. Hrsg. v. Constantin Schreiber. Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl. Econ Verlag, Berlin 2020. 320 Seiten, 24,99 Euro.
Wera Reusch ist freie Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.
von Wera Reusch
Deutschlands historische Beziehungen zu Togo sind unrühmlich und weitgehend unterbelichtet. Das westafrikanische Land war nicht nur eine deutsche "Musterkolonie", sondern wurde von 1967 bis 2005 von Diktator Gnassingbé Eyadéma beherrscht, einem Duzfreund von Franz-Josef Strauß. Ein neuer Roman des in Kanada lebenden togoischen Autors Edem Avumey gewährt verstörende Einblicke in diese jahrzehntelange Gewaltherrschaft.
"Nächtliche Erklärungen" erzählt die Geschichte des theaterbegeisterten Studenten Ito Baraka, der sich zu Beginn der 1990er Jahre an Protesten beteiligt und in einem Straflager landet, in dem Folter alltäglich ist. Er freundet sich dort mit einem alten Lehrer an, der gezwungen wurde, so lange in die Sonne zu starren, bis er erblindete. Beide stützen sich gegenseitig, verbunden durch ihre Leidenschaft für Literatur. Während sein Freund im Lager stirbt, gelingt es Ito Baraka, zu entkommen und nach Kanada auszuwandern. Doch die traumatischen Erfahrungen verfolgen ihn – alkoholabhängig und krebskrank bemüht sich der 45-Jährige, ein Buch zu schreiben, um "das Erbe der Angst" zu verarbeiten.
Edem Awumey hat für diese Lebensbeichte eine schonungslose, zuweilen schmutzige Sprache gewählt und einen rhythmischen, fast atemlosen Stil. Keine leichte Lektüre, sondern ein ambitionierter Versuch, Repression, Folter und "die Scham des Überlebenden" in literarischer Form darzustellen.
Edem Awumey: Nächtliche Erklärungen. Aus dem Französischen von Stefan Weidle. Weidle Verlag,
Bonn 2020. 208 Seiten, 22 Euro.
Wera Reusch ist freie Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.
von Marlene Zöhrer
"To kill the Indian in the child" – so lautete der staatliche Auftrag der Residential Schools in Kanada. Erst 1996 schloss das letzte dieser kirchlich geführten Internate, von denen Grit Poppe in ihrem Kinderroman erzählt. Die Geschichte der neunjährigen Alice Littlebird und ihrem älterem Bruder Terry Jumping Elk steht dabei stellvertretend für das Schicksal zahlloser Kinder der indigenen Gesellschaften Kanadas, die in diesen Einrichtungen zu "zivilisierten Menschen" erzogen werden sollten. Auch Alice Littlebird wird ihren Eltern weggenommen und kommt – wie zwei Jahre zuvor ihr Bruder – auf die Black Lake Residential School. Dort nehmen ihr die Nonnen ihre Kleidung ab, schneiden ihr die Haare kurz und zwingen sie, ihre Muttersprache und Identität aufzugeben. Das Mädchen aus der First Nation der Cree ist nun Nummer 47. Die "Rabenfrauen", wie Alice die Nonnen nennt, sind streng und brutal. Schnell reift in ihr der Plan, gemeinsam mit ihrem Bruder zu fliehen. Geschwistern ist jedoch grundsätzlich jeder Kontakt untersagt. Dennoch gelingt es den beiden Kindern, sich heimlich zu treffen und sogar vom Schulgelände zu entkommen. Doch Terry wird aufgegriffen, und so ist Alice mit einem Mal auf sich allein gestellt. Die Geschichte ihrer Flucht ist ebenso spannend wie ergreifend.
Grit Poppe: Alice Littlebird. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2020. 240 Seiten. 15 Euro. Ab 11 Jahren.
Dr. Marlene Zöhrer ist freie Journalistin und Referentin für Kinder- und Jugendliteratur an der Universität München. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.