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Isoliert auf Hoher See

Frauen sind in der Schifffahrtsbranche unterrepräsentiert. Das liegt vor allem an frauenfeindlichen Arbeitsbedingungen, die auch sexualisierte Gewalt begünstigen.
von Frank Odenthal
Am Anfang stand ein Blogeintrag auf der Website der Hilfsorganisation Maritime Legal Aid & Advocacy. Eine junge Frau schildert darin, wie sie an Bord eines Handelsschiffes von einem leitenden technischen Offizier vergewaltigt und anschließend gezwungen wurde zu schweigen. Sie hatte den Text anonym verfasst, wohl aus Scham, sicherlich auch aus Angst vor den Reaktionen.
Der Fall schlug hohe Wellen, vor allem in den USA, denn die junge Frau machte, als sie vergewaltigt wurde, dort eine Ausbildung an der Marineakademie. Da ihr Name zunächst nicht bekannt war, nannte die Presse sie "Midshipman X", den unbekannten Seekadetten. Als sich kurz darauf eine weitere Frau meldete, an Bord desselben Schiffes vergewaltigt worden zu sein, wurde diese kurzerhand zu "Midshipman Y" erklärt.
Logistikriese verklagt
Die beiden Frauen verklagten den dänischen Logistikriesen Maersk, Weltmarktführer beim Seetransport von Containern, auf dessen Schiff sich die Fälle zutrugen. Ende 2022 einigten sie sich außergerichtlich.
Die Frage nach den Arbeitsbedingungen von Frauen in der Schifffahrtsbranche ist damit aktueller denn je. Weniger als zwei Prozent der weltweiten Schiffsbesatzungen sind dem International Seafarers’ Welfare and Assistance Network zufolge weiblich. Eine Offizierslaufbahn schlagen Frauen nur selten ein. Dabei wäre der Bedarf da, die Nachfrage nach maritimem Personal ist riesig, ob im gehobenen Dienst oder in den unteren Rängen.
Die All Aboard Alliance, eine Initiative von 36 Unternehmen aus der Schifffahrtsindustrie, die sich für geschlechtergerechte, diverse und inklusive Bedingungen einsetzt, hat die Arbeitsbedingungen von Frauen auf See näher untersucht. Die Gruppe hat im April 2023 eine Studie veröffentlicht, für die sie insgesamt 115 weibliche Seeleute quer durch alle Dienstränge und Herkunftsländer zu ihrem Alltag an Bord eines Schiffes befragt hat.
Heraus kamen 15 zentrale Problemfelder für Frauen auf Hoher See. In der ersten Kategorie geht es um Machtmissbrauch, der immer wieder zu sexueller Belästigung bis hin zu Vergewaltigungen führt. Erschreckende 66 Prozent der Frauen auf See gaben einer weiteren Studie der Initiative zufolge an, Zeugin sexueller Übergriffe geworden zu sein. 25 Prozent der Befragten sagten, sexuelle Übergriffe seien an Bord üblich.
Isoliert und alleingelassen
Die Probleme setzen sich im sozialen Bereich fort. Frauen sehen sich dem Klatsch und Tratsch ihrer männlichen Kollegen ausgesetzt, selbst wenn sie sich passiv verhalten und nur beruflichen Austausch wünschen. Sie fühlen sich an Bord isoliert und alleingelassen. Manche berichten, sich für die Dauer der Fahrt außerhalb der Dienstzeiten in ihren Kabinen eingeschlossen zu haben aus Angst vor Übergriffen.
Tatsächlich ist die Situation an Bord eines Schiffes speziell, denn außerhalb der Zwölfmeilenzone befindet sich die Besatzung in internationalen Gewässern. Dann gilt das Recht des Flaggenstaates. Und ob sich die Schiffsregister Panamas, Liberias oder der Britischen Jungferninseln den Schutz ihrer weiblichen Seeleute besonders auf die Fahne geschrieben haben, ist zumindest fraglich.
"Es ist ein streng hierarchisches System, in dem der Kapitän das letzte Wort hat", erklärt Susanne Justesen, die die Befragung der All Aboard Alliance leitete. Auf einem Schiff auf Hoher See seien Frauen, die belästigt werden, im Grunde von der Außenwelt abgeschnitten. "Erste Anlaufstelle an Bord ist der Erste Offizier, er ist normalerweise für die Gesundheit und das Wohlergehen der Besatzung verantwortlich", sagt Luke Menzies, Sprecher der Internationalen Transportarbeitergewerkschaft (ITF). "Sollte es unter den Offizieren allerdings eine Kultur geben, die sexuelle Belästigung toleriert, sollten sich Betroffene an die ITF-Vertretung des jeweiligen Landes wenden."
Als weniger kompetent angesehen
Die ITF unterhält ein Netz von 150 Inspektor*innen in Häfen rund um den Globus, zu denen die betroffenen Frauen Kontakt aufnehmen können. Und die Britische Nichtregierungsorganisation Saferwaves, die mit der ITF kooperiert, bietet einen E-Mail-Beratungsservice an, für den Fall, dass ein Landgang nicht möglich ist.
In der zweiten Kategorie der Studie der All Aboard Alliance geht es um die Schwierigkeiten, den Beruf auf See erfolgreich ausüben zu können. Frauen berichten davon, als weniger kompetent angesehen zu werden als ihre männlichen Kollegen und sie ständig übertreffen zu müssen, um respektiert zu werden. Gleichzeitig beklagen sie, schlechteren Zugang zu Fortbildungsmaßnahmen zu haben und nicht für dieselben Aufgaben an Bord eingeteilt zu werden.
Die dritte Kategorie widmet sich den Beschäftigungsverhältnissen in der Schifffahrtsbranche. Zu lange Dienstverträge für einzelne Fahrten, keine familienfreundlichen Rotationsprogramme, um die Abwesenheit von zu Hause zu reduzieren, von Mutterschaftsurlaub ganz zu schweigen. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) haben zwar Mindeststandards zum Schutz schwangerer Frauen an Bord von Schiffen eingeführt, wie etwa angemessene Ruhepausen, Zugang zu medizinischer Versorgung, die Möglichkeit, das Schiff gegebenenfalls frühzeitig verlassen zu können. Doch auch hier gilt: Für die Umsetzung sind die jeweiligen Länder verantwortlich, auf Hoher See wiederum der Flaggenstaat.
Die letzte Kategorie thematisiert die Ausstattung an Bord, wie separate Toiletten und Umkleidekabinen für Frauen sowie Damenhygieneartikel, aber auch Schutzbekleidung für Frauen. Arbeitshandschuhe oder feuerfeste Schutzkleidung ist oftmals nur in Herrengrößen verfügbar, die Gefahr schwerer Verletzungen ist damit für Frauen erhöht.
Die einzelnen Kritikpunkte der Studie beschreiben allesamt längst bekannte Probleme. Bemerkenswert ist daher wohl eher, dass sie auch im Jahr 2023 noch nicht behoben sind. Das liege nicht unbedingt am mangelnden Willen der Unternehmen, sagt Susanne Justesen. "Bei weniger als zwei Prozent weiblicher Besatzung sind die Bedürfnisse von Frauen nicht allen Arbeitgebern klar, weil sie kaum damit konfrontiert werden. Hier wollen wir das nötige Bewusstsein schaffen."
Frank Odenthal ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.