Amnesty Journal Polen 25. September 2018

"Die Bevölkerung wehrt sich"

Eine junge Frau mit Brille und der Aufschrift "Being Brave" auf ihrem T-Shirt lächelt in die Kamera

Für gesellschaftliche Vielfalt. Urszula Skonecka im Mai 2018 auf der Jahresversammlung der deutschen Amnesty-Sektion in Papenburg.

Urszula Skonecka, Vorstandsvorsitzende der polnischen Sektion von Amnesty International, über den konzertierten Angriff der Regierung auf Gerichte, Medien und NGOs.

Interview: Markus Bickel und Andrzej Rybak

Sie kamen ein Jahr vor dem Wahlsieg der Oppositionsbewegung Solidarność auf die Welt, als es keine Meinungsfreiheit in Polen gab. Nun ist es zum ersten Mal seit 1989 wieder so.

Ich erinnere mich nicht mehr an die kommunistische Ära, an die Zeit also, als Meinungs- und Redefreiheit eingeschränkt waren. Umso schockierender finde ich es, wie diese Rechte nun erneut beschnitten werden – in Polen, aber auch in Ungarn, in der Türkei und in Russland. Nach der Wende von 1989 hätte sich niemand vorstellen können, dass man in einer so kurzen Zeit vergisst, wie wichtig diese Freiheiten sind.

Sehen das viele Menschen in Polen so?

Unabhängige Gerichte, unabhängige Medien, Redefreiheit sind für alle Menschen wichtig, ganz unabhängig davon, ob es sich um Konservative, Liberale oder Linke handelt. Es geht darum, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und gesellschaftliche Vielfalt zu erhalten, Dialog und Diskussion. Aber das verschwindet gerade in Polen.

Die Regierung hat mit ihrer Justizreform die Europäische Union auf den Plan gerufen. Lässt sich die Gewaltenteilung in Polen noch retten?

Das wird schwer. Schließlich ermöglicht es die Justizreform dem Justizminister, leitende Richter und ihre Stellvertreter im ganzen Land durch eigene Kandidaten zu ersetzen. So übernimmt die Exekutive allmählich die komplette Kontrolle über das Justizsystem. Das gilt auch für das Verfassungsgericht, was fast noch schlimmer ist für die Demokratie. Denn eigentlich ist es ja Aufgabe des Justizministers, dafür zu sorgen, dass die Gewaltenteilung aufrechterhalten wird. Das Gegenteil ist der Fall.

Ist diese Entwicklung noch zu stoppen?

Dass im Sommer 2017 Tausende gegen die Justizreform auf die Straße gingen, zeigt, wie groß das Bewusstsein dafür ist, dass hier Unabhängigkeit herrschen muss. Das macht Mut. Insbesondere, weil es sich dabei um sehr technische Fragen handelt.

Kann man noch von einer unabhängigen Justiz ­sprechen?

Es gibt noch viele unabhängige Richter. Richter, die keine Angst davor haben, Recht zu sprechen in Übereinstimmung mit ihrem Gewissen. Sie zu unterstützen, ist unheimlich wichtig. Denn nur unabhängige Gerichte können Grundrechte wie ­Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit verteidigen.

Auch die staatlichen Medien stehen unter Beschuss.

Noch jede Regierung hat in der Vergangenheit Entscheidungsträger in den Staatsmedien ausgetauscht. Neu sind das Ausmaß und die Offenheit, mit der das geschieht. Deshalb ist auch die Meinung in den öffentlich-rechtlichen Medien so aufgeladen und nach rechts gerutscht. Von einer pluralistischen Debatte kann keine Rede mehr sein.

Würden Sie von systematischen Attacken sprechen?

Attacke ist vielleicht das falsche Wort, aber das Handeln der Regierung schwächt natürlich die Fähigkeit von unabhängigen Medien, zu einer freien Meinungsbildung beizutragen. So gelingt es der Regierung, die Kontrolle darüber zu übernehmen, was die Menschen denken. Viele kommerzielle Medien, die offen liberal sind, berichten weiterhin frei über die herrschenden Verhältnisse. Und es gibt Webseiten, die darauf achten, ob Politiker mit den richtigen Fakten hantieren. Das ist sehr wichtig, Denn die Sprache in den Medien hat sich geändert – als Folge der Verrohung der Debatten im Parlament.

Auch Nichtregierungsorganisationen geraten in Bedrängnis, weil ihre Finanzierung stärker kontrolliert wird.

Mit der Schaffung des Nationalen Freiheitsinstituts ist es der Regierung gelungen, direkt zu kontrollieren, welche zivil­gesellschaftlichen Gruppen künftig Gelder erhalten. Zwar sind im Beirat auch unabhängige Nichtregierungsorganisationen vertreten, doch die sind in der Minderheit. Dieses System sorgt dafür, dass die Finanzierung von NGOs zunehmend infrage ­gestellt wird.

Ist Amnesty davon betroffen?

Nicht direkt, aber Partnerorganisationen von uns schon. Auf Dauer können sie nicht überleben, weil das System, nach dem die Gelder verteilt werden, völlig intransparent ist. Eine der Aufgaben des Nationalen Freiheitsinstituts ist es, nationale und christliche Werte zu verteidigen – nicht aber Ideen von Gleichheit oder Nichtdiskriminierung. Das ist ein ­perfider Weg, die Kontrolle über die Zivilgesellschaft zu übernehmen.

Insofern lässt sich von einem konzertierten Angriff auf die freie Gesellschaft sprechen?

Es fällt jedenfalls sehr schwer, nicht davon auszugehen, dass die Versuche, die Versammlungsfreiheit, die Freiheit der Medien und die Unabhängigkeit der Gerichte einzuschränken, zusammengehören. Auch die Finanzierung von NGOs zu kontrollieren, passt in dieses Bild.

Zugleich unterstützt die Regierung faschistische Bewegungen.

So weit würde ich nicht gehen. Aber wer die Organisatoren ausländerfeindlicher und homophober Märsche gewähren lässt, signalisiert ihnen natürlich, dass sie keine Sanktionen von oben zu fürchten haben. Genau der gegenteilige Umgang, der mit der Zivilgesellschaft gepflegt wird.

Mut macht das nicht.

Der kommt aber von unten, aus kleineren Städten wie ­Konin. Sie dürfen nicht vergessen, dass es noch nicht so lange her ist, dass in Polen die ersten Pride-Paraden stattfanden. Dass es nun auch in der Provinz zu Protesten gegen Homo­phobie und Rassismus kommt, ist ein positives Zeichen. Die ­Bevölkerung wehrt sich dagegen, dass die Gesellschaft weiter nach rechts rutscht, nicht zuletzt durch das Engagement junger Leute.

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