Amnesty Journal 19. September 2025

Flüchtlingspolitik in Europa: Hauptsache weg

Mehrere junge Männer halten Transparente hoch mit Zeichnungen und dem Slogan "Afghanistan is not safe!", im Hintergrund ist eine Anzeigetafel zu sehen mit den Zeiten der Abflüge vom Flughafen

Demonstration am Frankfurter Flughafen gegen Abschiebungen nach Afghanistan

Die europäische Flüchtlingspolitik hält unbeirrt an gescheiterten Konzepten fest. Nichts ist absurd genug, um Abschiebungen um jeden Preis zu erreichen.

Ein Kommentar von Sophie Scheytt

Wie fühlt es sich an, gegen den eigenen Willen und ohne Vorankündigung in ein Land verbracht zu werden, in dem man noch nie war, dessen Sprache man nicht spricht und wo man niemanden kennt? 

Die Familie Kapoor aus Frankfurt am Main weiß seit den Osterferien 2025 ganz genau, wie sich das anfühlt. Die beiden Kinder der Familie, der 16-jährige Angad und der 12-jährige Gunit, gingen bis Mitte April in Frankfurt zur Schule. Nach den Ferien blieben ihre Plätze leer. Dass die beiden in Afghanistan geborenen Jungen nach Indien abgeschoben werden könnten, erschien ihren Mitschüler*innen so absurd, dass sie diese Information zuerst für einen schlechten Witz hielten. Aber es war kein Witz, es war bitterer Ernst.

Am 16. April hatte die Familie Kapoor einen Termin bei der Ausländerbehörde in Frankfurt. Acht Polizisten der Bundespolizei erwarteten sie dort bereits und eröffneten der afghanischen Familie, dass sie umgehend nach Indien abgeschoben werde. Sie hätten 20 Minuten Zeit, um ihre Sachen zu packen, dann gehe es los. Die Bundespolizei sah ihnen zu Hause beim Packen zu. "Wieso schicken Sie uns nach Indien?", fragte die Mutter der beiden Söhne noch. "Wir sind doch keine ­Inder!"

Rechtsgrundlage für Rückführungszentren

Diese Frage ist berechtigt, und sie wird auch auf europäischer Ebene derzeit diskutiert: In der neuen Rückführungsverordnung soll eine Rechtsgrundlage ­dafür geschaffen werden, Menschen in Drittstaaten abzuschieben, mit denen ein sogenanntes Rückführungsabkommen abgeschlossen wurde. Und selbst ohne ein solches Abkommen sollen künftig ­Abschiebungen in Drittstaaten möglich sein, die den Abgeschobenen unbekannt sind, wenn sie "einwilligen". Die neuen Regelungen sollen sogenannte Rückführungszentren in Drittstaaten ermöglichen. 

Die politische Debatte um Rückführungen in Drittstaaten ist eine Fortsetzung der schon länger geführten Debatte um die Auslagerung von Asylverfahren (siehe "Asyl in Nordeuropa? Bitte in Ostafrika warten", Amnesty Journal 03/23). Länder wie Dänemark, Großbritannien oder Australien diskutieren, wie sie die Verantwortung für Schutzsuchende in Länder des globalen Südens auslagern können, dabei leben die allermeisten Schutzsuchenden weltweit nicht in Europa oder Australien, sondern in Ländern des globalen Südens. 

Auch in Deutschland prüfte die Ampelregierung in der vergangenen Legislaturperiode, ob Asylverfahren in Drittstaaten stattfinden könnten. Die Meinung der 23 angehörten Sachverständigen, darunter auch Amnesty International, lautete nahezu einhellig: Die Auslagerung von Asylverfahren sei mit erheblichen rechtlichen und praktischen Hindernissen verbunden. Jeder Versuch einer Umsetzung führe zu schweren Menschenrechtsverletzungen. 

Zuletzt scheiterte Italien mit der Idee, Asylsuchende, die in internationalen Gewässern gerettet wurden, in Albanien "aufzubewahren", während ihr Asylverfahren in Italien läuft. Italienische Gerichte schoben diesen Versuchen mehrfach einen Riegel vor, woraufhin die italienische Regierung die beiden Zentren in Albanien in "Rückführungszentren" umwandelte. Nun sollen abgelehnte Asylsuchende dorthin überstellt werden.

Das Beispiel Italien verdeutlicht, wie sich die Auslagerungsdebatte entwickelt hat: Obwohl diese Ideen in der Vergangenheit immer wieder scheiterten, werden sie nicht begraben, sondern geistern weiterhin durch die europäische Asylpolitik – mittlerweile im Gewand sogenannter Rückführungszentren in Drittstaaten. Ziel ist es, Menschen einfach irgendwohin abzuschieben, egal wohin, Hauptsache weg.

Sophie Scheytt ist Fachreferentin für Asylrecht und -politik von Amnesty Deutschland.

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