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"Wegstrafen können wir die Klimakrise nicht"

Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs wird gegen die Klimabewegung und zivilgesellschaftliches Engagement eingesetzt. Katrin Höffler, Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig, kritisiert das.
Interview: Beate Streicher
Was besagt Paragraf 129, und welche Befugnisse gehen damit einher?
Der Paragraf kriminalisiert die Gründung bzw. Beteiligung an einer sogenannten kriminellen Vereinigung, also einer Vereinigung, die auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist. Erfasst ist normalerweise "organisierte Kriminalität von einigem Gewicht", etwa die Mafia oder rechtsextreme Gruppen. Es werden nicht einzelne, bereits begangene Taten bestraft, sondern man setzt im Vorfeld an. Zugleich ist Paragraf 129 StGB ein "Türöffner" für umfangreiche Ermittlungen wie Abhörmaßnahmen.
Welche Kritik gibt es daran?
Die Vorschrift darf nicht politisch instrumentalisiert werden. Bezüglich der Weite der Norm sehe ich Reformbedarf. Es gibt eine lange Geschichte des Einsatzes gegen Umweltaktivist*innen. Oft kommt es am Ende nicht zu einer Verurteilung, aber man konnte umfangreich ermitteln. Zudem werden potenzielle Unterstützer*innen eventuell davon abgehalten, sich zu engagieren, aus Sorge vor einer Kriminalisierung als "Mitglied/Unterstützer*in einer kriminellen Vereinigung". Gleichzeitig kann man bei Wirtschaftskriminalität im großen Stil mit dem Mikroskop nach Ermittlungen wegen Paragraf 129 StGB suchen. Obwohl die hierbei verursachten Milliardenschäden eine echte Gefahr für Demokratien sind.
Was bedeuten die Ermittlungen gegen die Letzte Generation für zivilgesellschaftliches Engagement?
Meines Erachtens fällt die Letzte Generation nicht unter die Norm, aber einzelne Staatsanwaltschaften wie München, Flensburg und Neuruppin sehen das anders. Durch die aufgeheizte Stimmung und die Ermittlungsverfahren kommt es zu einer Stigmatisierung von Protest und zivilgesellschaftlichem Engagement. Doch auch unbequemer Protest ist durch unsere Verfassung geschützt, funktionierende Demokratien leben davon. Klimaaktivist*innen möchten den Staat nicht ersetzen oder bekämpfen, haben also keine extremistischen Ziele, sondern fordern ihn vielmehr zum Handeln auf. Es gibt handfeste Indizien dafür, dass die Ermittlungen nach Paragraf 129 StGB der gesamten Klimabewegung schaden. Zivilgesellschaftliches Engagement kann so erstickt werden.
Was müssen die politisch Verantwortlichen tun, um das Recht auf Protest zu schützen?
Die Vorschrift müsste stärker konkretisiert werden, sodass sie nur auf Vereinigungen Anwendung findet, von denen eine Bedrohung für die Allgemeinheit ausgeht, zum Beispiel Organisierte Kriminalität. Bis zu einer Gesetzesreform ist es wichtig, Paragraf 129 StGB im Einklang mit der Verfassung eng auszulegen. Allgemein greift der Ruf nach härteren Strafen zu kurz. Deren Wirkung wird einerseits überschätzt, das wissen wir aus der kriminologischen Forschung, andererseits ist politischer Protest ein hohes Gut in einer Demokratie. Gerade bei Zielen wie dem Klimaschutz, die in unserer Verfassung festgelegt sind, geht der Ruf nach dem Strafrecht auch in die falsche Richtung. Eine gute Klimapolitik wäre die beste Kriminalpolitik, denn dann enden die Proteste. Auch die Medien sollten mehr über die Klimakrise selbst als über die Strafverfahren gegen die Klimaproteste berichten. Dass in Sachen Klimaschutz viel mehr getan werden muss, ist ja keine Einzelmeinung von Aktivist*innen, sondern wissenschaftlicher Konsens, und es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. "Wegstrafen" können wir die Klimakrise nicht.
Beate Streicher ist Fachreferentin für Polizei und Menschenrechte, sowie für Völkerstrafrecht.
Hier geht es zur E-Mail-Aktion: amnesty.de/petition-deutschland-protest-schuetzen
HINTERGRUND
Wann haben Sie zum letzten Mal protestiert? Und wussten Sie, dass Protest ein Menschenrecht ist und dass er durch die Versammlungsfreiheit geschützt ist?
Klar ist: Protest ist Voraussetzung für Veränderung. Seien es Pride-Veranstaltungen für LGBTI-Rechte, Demonstrationen für Antirassismus oder Aktionen für Klimagerechtigkeit.
Amnesty International beobachtet weltweit eine Einschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit, auch in Deutschland. Hierzulande wird der Paragraf 129 aus dem Strafgesetzbuch – die Bildung einer "kriminellen Vereinigung" – benutzt, um unliebsame Protestbewegungen zu überwachen und zu verfolgen. Davon sind aktuell Aktivist*innen der Letzten Generation betroffen.
Nach langen Ermittlungsverfahren wurden im Mai und Juni 2024 Anklagen gegen sechs Klimaaktivist*innen erhoben. Es drohen Haftstrafen. Amnesty International startete im Rahmen der Kampagne "Protect the Protest" eine E-Mail-Aktion, die sich an Justizminister Marco Buschmann richtet und fordert: Friedlicher Protest darf nicht kriminalisiert werden. Paragraf 129 StGB muss reformiert werden!
Warum ist der Paragraf aus menschenrechtlicher Sicht problematisch?
Schon ein anfänglicher Verdacht erlaubt es den Ermittlungsbehörden, einschneidende Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen oder Überwachungsmaßnahmen zu ergreifen. Diese sind außerdem nicht auf konkrete Tatverdächtige beschränkt, sondern können deren gesamte Umgebung betreffen. All das hat nicht nur extreme Konsequenzen für die unmittelbar Betroffenen, sondern wirkt abschreckend und einschüchternd auf ganze Bewegungen und ist damit ein Angriff auf die freie Zivilgesellschaft.
Es muss deshalb sichergestellt werden, dass Paragraf 129 StGB nicht gegen friedliche Protestierende angewandt wird. Das Justizministerium muss kriminalisierende Aussagen und Forderungen nach Strafverfolgung auf Grundlage dieses Paragrafen unterlassen und dafür sorgen, dass Protestierende nicht länger kriminalisiert werden.
Das Justizministerium muss außerdem einen Reformvorschlag vorlegen, der verhindert, dass Paragraf 129 StGB gegen friedlichen Protest eingesetzt werden kann.
Die Kriminalisierung von friedlichem Protest ist ein Angriff auf die freie Zivilgesellschaft und die Möglichkeit, sich politisch zu organisieren. Das dürfen wir nicht zulassen. Als Zivilgesellschaft müssen wir uns dafür einsetzen, dass Protestierende sich im Rahmen der Menschenrechte für Veränderungen stark machen können, ohne dafür Strafen befürchten zu müssen.