Amnesty Journal 28. März 2025

Freiheit statt Macht

Eine Frau mit schulterlangem Haar steht in der Natur und verschränkt ihre Arme vor dem Oberkörper.

Julia Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion

Zur Zeit erleben wir, wie der Begriff der Freiheit  von Menschenrechtsfeinden gekapert wird. Kolumne von Julia Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion.

Von Julia Duchrow

Die Menschenrechtsfeinde sind weltweit auf dem Vormarsch, und sie versuchen, einen Begriff zu kapern: Freiheit. "In ganz Europa ist die Meinungsfreiheit auf dem Rückzug", kritisierte US-Vizepräsident James David Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Als Beispiele nannte er "digitale Zensur" gegen Hasskommentare im Netz, die Strafverfolgung von Koran-Verbrennungen oder die Ausgrenzung menschenfeindlicher Parteien.

Ganz in diesem Sinne machte die AfD in Deutschland Wahlkampf mit dem Versprechen, "zur Freiheit zurückzukehren" und meinte damit auch, Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit freien Lauf zu lassen. Freiheit reklamiert auch der argentinische Präsident Javier Milei, wenn er gegen Journalist*innen hetzt oder mit der Kettensäge gegen Regulierungen bezüglich der Sorgfaltspflichten von Unternehmen vorgeht.

Sie alle verstehen Freiheit als Rücksichtslosigkeit, als Freibrief, andere zu ­bedrohen und zu beschädigen. Soziale Normen und gesetzliche Beschränkungen gelten ihnen als übergriffige Zumutung. Eine solche Vorstellung von Freiheit bezeichnete die Autorin und Philosophin Carolin Emcke jüngst treffend als "enthemmten Narzissmus".

Dieser Diskurs wurde besonders im Zuge der Coronapandemie populär. Er ­behauptet, der Staat handele unrecht­mäßig, wenn er die persönliche Freiheit einschränkt. Doch das ist falsch. Er darf es unter engen Voraussetzungen, und er tut es auch täglich, um unser Zusammen­leben zu ermöglichen.

Wer die Menschenrechte verteidigen will, muss die Freiheitslüge entlarven. 

Die wirtschaftspolitische Entsprechung dieser beschränkten Vorstellung von Freiheit ist die Huldigung eines völlig deregulierten, freien Marktes und des Rechts auf Eigentum, verbunden mit ­einer Verachtung des gesellschaftlichen Ausgleichs durch Steuern und Umver­teilung.

Es ist ein Freiheitsbegriff, der aus der Position der Macht heraus formuliert wird. Von eingebildeten oder tatsächlichen Mehrheiten gegenüber Minderheiten, von Vermögenden gegenüber Besitzlosen, von den Lauten gegenüber den ­Leisen und den Stärkeren gegenüber den Schwächeren. Allerdings stets in der Pose des vermeintlich Machtlosen, der oder die gegen "höhere Mächte" kämpft. Ein perfider populistischer Trick.

Es ist ein Trick, weil in einer Gesellschaft des "enthemmten Narzissmus" am Ende das Recht des Stärkeren zählt. Anspruch auf Teilhabe hat nur, wer sich durchsetzen kann, mit Geld und Einfluss – und im Zweifel mit Gewalt. Für eine Demokratie ist das fatal. Damit sich alle an der politischen Willensbildung beteiligen können, setzt das Verfassungsrecht dem Meinungskampf Grenzen, schreiben die Verfassungsrechtlerinnen Nora Markard und Eva Maria Bredler. "Es geht um die größtmögliche Verwirklichung von realer Freiheit insgesamt."

Wer "Freiheit" im Sinne der Menschenrechtsfeinde fordert, will sie für sich, selten für andere und niemals für alle. Das zeigt die Praxis: Die Regierung Trump erschwert seit ihrem Amtsantritt Journalist*innen Zugang zu Regierungsinformationen. Argentinien fiel seit der Amtsübernahme Mileis in der Rangliste der Pressefreiheit um 26 Plätze zurück. Und die AfD nutzt ihre bisherige Macht in Stadtparlamenten, um das Hissen der Regenbogenfahne zu verbieten. Von Freiheit keine Spur.

Wer die Menschenrechte verteidigen will, muss diese Freiheitslüge entlarven. Und ihr etwas entgegensetzen: Freiheit als Auftrag, sie für alle Menschen zu ­realisieren. Freiheit als Möglichkeit, sich im anderen zu erkennen. Freiheit und Gleichheit als sich bedingende und nicht ausschließende Kategorien, um respektvoll, solidarisch und gleichberechtigt ­zusammenzuleben.

Ein solches Freiheitsverständnis bieten die Menschenrechte, die universell und unteilbar sind. Heute müssen wir sie gegen jene verteidigen, die mit der Freiheit im Munde nur ein Ziel haben: ihre ­eigene unbeschränkte Macht. 

Julia Duchrow ist Generalsekretärin von ­Amnesty International in Deutschland

Weitere Artikel