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Langsamer Tod am süßen Fluss
Vergiftetes Heiligtum. Krenak bei einem Ritual am Ufer des Rio Doce, April 2017.
© Nicoló Lanfranchi
Die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte Brasiliens hat das Leben der indigenen Krenak für immer verändert.
Von Nicoló Lanfranchi
Am 5. November 2015 bricht eine rote Lawine aus toxischem Schlamm durch den Fundão-Damm des Minenunternehmens Samarco im Südosten von Brasilien. 55 Millionen Kubikmeter der tödlichen Masse bahnen sich ihren Weg durch die Landschaft des Bundesstaates Minas Gerais und fließen in den Rio Doce, der im nahegelegenen Espinhaço-Gebirge entspringt. Etwa zwei Wochen später wird das Gemisch aus Arsen, Quecksilber, Blei und anderen hochgiftigen Chemikalien den Atlantik erreichen. Auf dem Weg dorthin wird es 19 Menschen sowie zahllose Tiere und Pflanzen in den Tod gerissen, ganze Dörfer begraben haben. Der "süße Fluss" verwandelt sich in ein rotes, totes Gewässer.
Besonders fatale Auswirkungen hatte die wohl größte Umweltkatastrophe Brasiliens auf die indigenen Krenak, die etwa 400 Kilometer östlich des Unfallsortes Mariana am Rio Doce leben. Für sie ist der Fluss mehr als ein Gewässer: Sie nennen ihn "Watu", heiligen Fluss, bezeichnen ihn als Vater. Er bildet die Grundlage ihrer Kultur und Spiritualität, am Fluss finden traditionelle Rituale statt, wie zum Beispiel die Initiationsriten der jungen Männer. Die Krenak sind vom Rio Doce abhängig, denn sie fischen und jagen dort. Seit der Katastrophe sind sie gezwungen, Fleisch in Supermärkten zu kaufen. Sie können den Fluss nicht mehr zum Baden oder als Trinkwasserquelle nutzen. Das Absterben der Flora hat dazu geführt, dass sie ihr Einkommen durch Kunsthandwerk verloren haben.
Die Giftschlammlawine hat ihnen nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern auch einen Grundpfeiler ihrer Identität geraubt. Daran ändern auch die Entschädigungszahlungen nichts, zu denen ein Gericht das australisch-brasilianische Bergbauunternehmen 2016 verurteilte. Samarco muss über zehn Jahre hinweg umgerechnet 4,6 Milliarden Euro für die Schäden bezahlen, die durch den Dammbruch entstanden sind. Die Krenak-Familien erhalten nach eigenen Angaben jeweils rund 2.000 Euro monatlich, doch immer mehr Mitglieder der indigenen Gemeinschaft verfallen in Depressionen und Alkoholismus. Ohne Aussicht auf Besserung: Im Juli 2017 wurde der Prozess wegen Mordes und Umweltverbrechen gegen 22 Verantwortliche von Samarco und drei weiteren in die Katastrophe verwickelten Unternehmen wegen Verfahrensfehlern gestoppt.
Das Unglück trifft eine Gemeinschaft, die schon seit Jahrhunderten verfolgt wird. Unter der portugiesischen Kolonialherrschaft bezeichnete Portugals König Johann VI. sie als Kannibalen und erklärte 1808 die Vernichtung der Krenak zum "gerechten Krieg". Mehr als 150 Jahre später wurden die verbliebenen Mitglieder unter der Militärdiktatur in Arbeitslager gebracht oder zwangsumgesiedelt.
Erst 1997 erhielten die Krenak nach einem langen Rechtsstreit 4.000 Hektar Land zwischen den Dörfern Resplendor und Consilhero Pena zurück, wo sie heute leben. Dort hatten sie sich bereits Anfang des Jahrhunderts, vor ihrer Vertreibung und Internierung, niedergelassen. Die Gemeinschaft umfasst etwa 500 Menschen. Seit 2015 kämpfen die Krenak um ein weiteres Gebiet ihrer Vorfahren am anderen Ufer des Rio Doce, das in den Händen reicher Landbesitzer ist. Dort gibt es Wasserquellen, die nicht durch landwirtschaftliche Nutzung versiegt sind. Und sie kämpfen um weitere Kompensation für den Verlust des Rio Doce, ihrer Lebensader. Denn wann der Fluss wieder nutzbar sein wird, kann niemand sagen.