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Benefiz aus dem Underground
Die Compilation "Hope For Her Future" macht mit der ganzen Bandbreite und Power experimenteller
Popmusik auf die schwierige Lage von Mädchen in Afghanistan aufmerksam.
Von Thomas Winkler
Gut gemeint ist bekanntlich nicht immer gut gemacht. Gerade in der populären Musik herrscht bisweilen die Ansicht vor, die edle Absicht könne das musikalische Ergebnis retten. Wohltätige Musikprojekte wie Bob Geldof und Band Aid haben zweifellos ihre Verdienste, aber "Do They Know It’s Christmas?" bleibt trotzdem großer Kitsch. Das gilt auch für die deutsche Band für Afrika mit ihrem Lied "Nackt im Wind".
Die Gefahr, in die Falle der Gefühlsduseligkeit zu tappen, besteht bei "Hope For Her Future – A Compilation for Girls in Afghanistan" nicht. Das Projekt wurde vom Musiker*innen-Netzwerk Underground Institute initiiert und in Zusammenarbeit mit der in Hamburg ansässigen NGO Afghan Women’s Association umgesetzt. Die Compilation versammelt zwar unterschiedliche Stile und Künstler*innen aus vielen verschiedenen Ländern, wirft sie aber nicht nach Band-Aid-Vorbild zusammen, um den kleinsten gemeinsamen Nenner für einen Radiohit zu finden. Stattdessen steuern alle Beteiligten jeweils ein eigenes Stück bei – und die 25 Songs stehen zwar im Dienst der guten Sache, sind aber auch eine breit angelegte Demonstration dessen, was experimentelle Popmusik leisten kann.
Verträumter Elektropop, scheppernde Balladen
Zu den bekanntesten Namen, die dabei sind, gehören Gudrun Gut, Gründungsmitglied der Einstürzenden Neubauten und New-Wave Pionierin, und der legendäre Neue-Deutsche-Welle-Outsider Felix Kubin. Auch die kalifornische Experimental-Rockband Xiu Xiu wird weltweit von Kritiker*innen gefeiert. Die Reise, auf die uns "Hope For Her Future" entführt, geht aber noch weiter um die ganze Welt: El Khat aus Israel spielen wundervoll verqueren arabischen Pop. Die kanadische Singer/Songwriterin Michelle Gurevich sagt "Goodbve My Dictator", und es bleibt unklar, ob einer toxischen Beziehung eine Absage erteilt wird oder dem verbrecherischen Regime der Taliban. Die Irin Nina Hynes spielt kindlich-verträumten Elektropop, die Portugiesin Rita Braga eine melancholisch scheppernde Ballade, und Audrey Chen, US-Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln, erforscht in einer gewagten Klangcollage die Abgründe der menschlichen Stimme.
Im Vergleich zu diesen extrem experimentellen Tracks wirkt der Song der Burka Band geradezu brav. Aber die Frauenband aus Kabul, deren Mitglieder sich seit 2002 hinter der von den Taliban verordneten Ganzkörperverschleierung vor Verfolgung schützen, darf natürlich nicht fehlen. Ihr Song heißt "I Care For You", und genau darum geht es: dass die Situation in Afghanistan weiter im Bewusstsein bleibt. Die Songsammlung will darauf aufmerksam machen, dass die Lage von Frauen und Mädchen mit jedem Tag gefährlicher wird, was im schnell rotierenden Nachrichtengeschäft leider leicht in Vergessenheit gerät. "Hope For Her Future" ist mehr als eine gut gemeinte Benefizaktion: ein nicht immer leicht konsumierbarer, aber jederzeit spannender Ritt quer durch die internationale Underground-Musik.
"Hope For Her Future – A Compilation for Girls in Afghanistan" – hier hören auf Bandcamp.
Thomas Winkler ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
WEITERE MUSIKTIPPS
von Thomas Winkler
Könnte der Teppichboden im Spielzimmer der Kita, diese chaotische Mischung aus Bausteinen, Puppen und Plüschtieren, sein eigenes Lied singen, dann klänge das wohl wie die Musik von Kate NV. Die Sängerin, Produzentin und Musikerin, die eigentlich Ekaterina Shilonosova heißt, bezieht Teile ihrer Inspiration aus den heute surreal anmutenden Märchenfilmen ihrer russischen Heimat. Auch japanisch mutet die Klangwelt auf ihrem neuen Album "WOW" an, wenn naiv-bunte, aber trotzdem schräge Sounds über vertrackte Beats ausgestreut werden wie Legosteine. Folgerichtig singt Kate NV weder Russisch noch Englisch, sondern bloß sinnlose Silben, die sich, zusätzlich im Computer zerhackt, zu einer Fantasiesprache fügen.
Das Ergebnis ist weit abgerückt von der Realität. Doch ist sich Shilonosova durchaus im Klaren darüber, was um sie herum und im Rest der Welt passiert. Im Gegensatz zum Großteil der russischen Musikszene hat sich die weiter in Moskau lebende Musikerin deutlich positioniert. Die Einnahmen aus ihrem Album "Bouquet" von 2022 gehen an Geflüchtete des Ukraine-Krieges, und die von "WOW" zum Teil an die NGO "War Child". "Das sind nur kleine Gesten", sagte sie im Interview. "Aber dieser Krieg ist inhuman und verheerend. Er zerstört so viele Leben und Existenzen. Jeder normale Mensch würde etwas gegen den Krieg unternehmen."
Kate NVs Botschaft ist deutlich. Angst, ins Visier der Obrigkeit zu geraten, hat sie trotzdem nicht: "Ich bin eine Nischen-Künstlerin, ich ziehe nicht viel Aufmerksamkeit auf mich." Das könnte sich bald ändern, denn ihr nächstes Projekt ist international: Unter dem Namen Decisive Pink hat sie sich mit der US-Musikerin Angel Deradoorian zusammengetan – und ihren kindlich durchgeknallten Sound deutlich zugänglicher gestaltet.
Kate NV: "WOW" (RVNG Intl.)
Decisive Pink: "Ticket To Fame" (Fire/Cargo)