Amnesty Journal Ägypten 21. März 2018

Die Puppen sprechen lassen

Zeichnung einer aufgeschlagenen Zeitschrift

In Ägypten hat das Puppentheater eine lange Tradition. Abla Fahita, eine plappernde Handpuppe, erzielt im Fernsehen die höchsten Quoten. Und demokratische Aktivisten nutzen Marionetten, um politische Aufklärung zu betreiben.

Von Julia Gerlach

Ihr Markenzeichen ist das Zwinkern mit dem rechten Auge: Vielleicht soll es ihre vulgäre Ausstrahlung verstärken, vielleicht deutet es aber auch an, dass sie sich insgeheim lustig macht – über ihre Zuschauer, über den Rummel um ihre Person und die Entwicklung, die sie selbst, die Medien und Ägypten in den vergangenen Jahren genommen haben. Abla ­Fahita, Tante Fahita, ist Ägyptens größter TV- und YouTube-Star. Sie hat Millionen Fans. Freitagabend zur besten Sendezeit sitzt das halbe Land vor den Fernsehschirmen, um sie zu sehen. In ­ihrer Show "Aus dem Dublex", die mit viel Glamour und vielen Effekten im Privatsender CBC gezeigt wird, nimmt sie jeweils ­einen Prominenten aufs Korn. 1,3 Millionen Menschen folgen ihr auf Twitter und YouTube.

Dabei ist Abla Fahita eine tanzende und singende Handpuppe. Das Geheimnis ihres Erfolgs: Sie redet wie eine typische ägyptische Mittelklassefrau. Sie sagt, was auch sie sagen würde, und oft auch ein bisschen mehr. Legendär sind ihre Wortspiele, mit denen sie ständig die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet. Wer durch Abla Fahita spricht, ist nicht bekannt, angeblich nicht einmal ihrer Redaktion.

In Ägypten hat die Kunst des Puppentheaters eine lange ­Tradition – kein Heiligengeburtstag und kein Jahrmarkt kommt ohne die schnarrende Stimme des Kaspers aus, der wahlweise seine Frau, Diebe oder manchmal sogar Polizisten verdrischt. In den großen Städten gab es seit Anfang des 20. Jahrhunderts sogar angesehene Theater für Marionettenspiel. Heute lebt die Tradition jedoch nur noch in einigen vereinzelten Theatern fort und wird von wenigen Künstlern gepflegt.

Die Sendung von Abla Fahita ist ein gefundenes Fressen für die selbsternannten Tugendwächter und ganz besonders für jene, die im ägyptischen Parlament sitzen. Die Abgeordneten haben unter der Regierung immer weniger Befugnisse, deshalb stürzen sie sich geradezu auf Kampagnen gegen die vermeintlich verantwortungslosen Medien. Vor allem kritische Berichte über die Politik der Regierung und ihren bislang erfolglosen Kampf gegen den Terror sind der Regierung und ihren Anhängern ein Dorn im Auge. Eine Verordnung stellt falsche Bericht­erstattung über militärische Einsätze unter Strafe; und "Fact-Check Egypt", eine staatliche Medienagentur, kontrolliert ausländische Journalisten und setzt sie unter Druck.

Aus Angst halten sich viele Journalisten mit politischer ­Berichterstattung zurück. Die einst recht freien ägyptischen ­Medien sind nicht mehr wiederzuerkennen. Zunehmend gerät auch die Unterhaltungsbranche ins Visier, regelmäßig gibt es hierzu hitzige Debatten im Parlament. "Diese Medien sind ein großes Problem für den ägyptischen Staat", sagte Parlamentssprecher Ali Abdel Aal erst im Februar. Der Abgeordnete Mustafa Bakri, der eine erbitterte Kampagne gegen die ohnehin stark eingeschränkte Medienfreiheit führt, forderte die Regierung zu Härte auf: "Der Staat muss eingreifen, auch gegen solche Sendungen wie die von Abla Fahita, die ständig gegen Gesetz und Anstand verstoßen."

In der Folge wurde zwar eine andere Talkshow verboten – Abla Fahita blieb vorläufig verschont. Doch auch sie gerät zunehmend unter Druck: Erst im Dezember musste Vodafone einen Werbeclip mit der Puppe umschneiden – das staatliche Fernsehen hätte ihn sonst nicht ausgestrahlt. Die anzügliche Sprache sei für junge Zuschauer ungeeignet, hieß es zur Begründung. 2014 hatte ein Vodafone-Spot mit Abla Fahita sogar zu einem Gerichtsverfahren geführt. Angeblich enthielt der Clip eine verschlüsselte Aufforderung an islamistische Terroristen, einen Anschlag auf ein Einkaufszentrum zu verüben. Die Staatsanwaltschaft nahm sich des Falles an.

Zwar blieb den Machern von Abla Fahita das Gefängnis erspart. In der Folge verschwanden jedoch die letzten noch vorhandenen politischen Anspielungen aus den YouTube-Clips der Puppe. Seither stürzt sie sich voll auf das ägyptische Sozialleben und zeigt, wie absurd viele der gesellschaftlichen Normen sind: Dass etwa Sex das Tabuthema Nummer eins ist, zugleich aber alle ständig daran denken und darüber reden. So wie Abla Fahita. "Ich bin wie deine Mama!", lautete denn auch der Slogan, mit dem sie 2016 für den Start ihrer eigenen TV-Show warb. ­Diese zeigte sie im Negligé auf einem Diwan ruhend.

Als Abla Fahita auf Sendung ging, sahen viele darin einen Meilenstein der ägyptischen TV-Geschichte – allerdings nicht unbedingt im positiven Sinne. Ihre Show beweist vielmehr, wie sehr die Medienfreiheit in Ägypten in den vergangenen Jahren eingeschränkt wurde. Schließlich gehörte der Sendeplatz zuvor Bassem Youssef, der in seiner Sendung "Al Bernameg" die jeweilige Regierung auf die Schippe nahm. Die besten Witze machte er über den 2012 gewählten und 2013 gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi. Als mit Abdel Fattah al-Sisi das Militär wieder an die Macht kam, war bald Schluss mit lustig. 2014 ging Bassem Youssef ins US-amerikanische Exil. Kein Wunder, dass vielen nun das Geplapper der Handpuppe schal vorkommt.

"Abla Fahita ist typisch für die neue Art des Unterhaltungsfernsehens. Das hat mit traditionellem ägyptischen Puppen­theater nichts zu tun", sagt Rania Shahin, die selbst zu den bekanntesten Puppenspielerinnen am Nil gehört. Ihr Theater "La Pergola" hat sie über die Grenzen hinaus bekannt gemacht. Auch in Berlin hatte sie Auftritte. Rania Shahins Ansage, sie ­plane, Kulturministerin in einem demokratischen Ägypten zu werden, sorgte ebenfalls für Aufsehen.

"Puppentheater hat große Vorzüge. Man ist nicht so sehr von Schauspielern abhängig, und vor allem können Puppen ein bisschen mehr sagen als Menschen. Wir spielen vor allem in den armen Stadtvierteln und auf dem Land", erzählt die Mittdreißigerin. Da sie studierte Juristin ist, kombinierte sie Theater und Rechtsberatung. Ihr "Masrah al Qanuni", ihr juristisches Theater, wurde durch die Revolution 2011 richtig groß. "Nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak war in Ägypten plötzlich ­alles möglich. Wir spielten auf Straßen, an Bushaltestellen, überall", erzählt sie. Ihre Stücke handeln von Alltagsproblemen und den Rechten, von denen viele Menschen oft gar nicht wissen, wie sie sie einfordern können. Das Wichtigste aber: Es sind Mitmachstücke. "Für interaktives Theater sind Marionetten gut, denn viele Menschen haben Hemmungen, öffentlich ihre ­Meinung zu sagen. Wenn sie sich hinter der Puppe verstecken können, trauen sie sich viel mehr", sagt Rania Shahin. "Aber manche Themen lassen sich selbst im Mitmachtheater nur schwer aufgreifen. Ich mache viel zum Thema sexuelle Belästigung. Statt nun einen Jungen aus dem Publikum aufzufordern, die Mädchen anzugrapschen, stellen wir es lieber mit Marionetten dar", sagt sie.

Doch schon bald nach dem Aufstand gegen Hosni Mubarak nahm die Freiheit wieder ab. "Seitdem Sisi an der Macht ist, ist es fast unmöglich, öffentlich aufzutreten", sagt Rania Shahin. So könne sie eigentlich nur noch auf Einladung in Jugendclubs auftreten oder in den hintersten Armenvierteln, wo keine Polizei hinkommt. "Da sind die Zuschauer unser Schutz. Sie bilden einen Kreis um uns", sagt sie. Bei dem, was gespielt wird, müsse sie sich nach dem Geschmack ihres Publikums richten. "Bei solchen Aufführungen wünschen sich die Menschen eher Stücke mit derben Witzen. Etwas, worin sie sich wiedererkennen", sagt sie. "In Ägypten haben wir eine lange Tradition auch des politischen Puppentheaters", sagt Rania Shahin. Bei ihren Auftritten heute gehe es aber mehr um gesellschaftliche Themen. Also ergeht es ihren Puppen nicht besser als Abla Fahita? Solche Vergleiche mag Rania Shahin nicht. Abla Fahita stehe für viele Menschen in Ägypten eben nicht für den tapferen Kampf für mehr Meinungsfreiheit, sondern eher für den Rückzug in die Possenreißerei. Dass Abla Fahita dennoch von regimetreuen Politikern angegriffen wird, zeigt, wie wenig Spielraum selbst den Puppen geblieben ist. 

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