Aktuell 17. Oktober 2019

"Die traditionellen Viehzüchter werden ausgebeutet"

Interview mit dem Menschenrechtsverteidiger Pater Pio
Eine junge Viehhirtin steht im Vordergrund und schaut in die Kamera. Sie trägt einen Stock über ihre Schulter. Dahinter folgen ihr zwei Ochsen und hinter diesen folgt noch ein Mann. Sie befinden sich alle in einem ländlichen Gebiet, wo alle Sträucher und der Boden trocken sind. Die Sonne leuchtet sie an.

Eine junge Viehhirtin und ein Viehhirte führen in der Region Gambos in Angola Ochsen zu einem Feld

Durch die kommerzielle Nutzung von Weideland sind traditionelle Viehzüchter im Süden Angolas seit einigen Jahren Dürren, Lebensmittelknappheit und Hungersnöten ausgesetzt. Betroffen sind die Gemeinden der Vanyaneke und Ovaherero, ebenso wie die Viehzüchter im Gambos. Sie haben etwa Zweidrittel ihres Landes verloren und sind nun schlimmer denn je von Hungersnot betroffen. Der 54-jährige Pater Jacinto Pio Wacussanga unterstützt die Betroffenen. In Zusammenarbeit mit Amnesty International übt er Druck auf die angolanische Regierung aus, um das Recht auf angemessene Ernährung landesweit durchsetzen zu können. In diesem Interview erzählt er von seiner Arbeit.

Etwa 67% der Weideflächen in den betroffenen Regionen werden durch kommerzielle Farmer genutzt. Ursprüngliche gehörten diese Flächen traditionellen Gemeinschaften von Viehzüchtern. Wie ist es dazu gekommen, dass man ihnen ihr Land und ihre Weiden wegnahm?

Viele der kommerziellen Farmer sind Politiker, Geschäftsmänner oder hochrangige Angehörige der Armee. Menschen mit viel Geld und Einfluss, die bei der Vergabe von kommunalem Agrarland begünstigt wurden. Dabei wurden die Vorgaben der angolanischen Verfassung und Gesetze zum Schutz der traditionellen Gemeinschaften nicht eingehalten, viele Gemeinschaften wurden ohne Entschädigung enteignet. Zusätzlich gefördert wurde die Kommerzialisierung durch die Ölkrise und den einhergehenden wirtschaftlichen Abschwung 2014. Damals ermutigte die Regierung Unternehmerin Land und Weidefläche zu investieren, um die Wirtschaft in Angola anzukurbeln.

Viele der Unternehmer haben keinerlei landwirtschaftliche Kenntnisse und haben nicht einmal mit der Nahrungsmittelproduktion begonnen. Welche Folgen ergeben sich aus der Zunahme an kommerziellen Viehbauern? 

Die Menschen haben nicht genug zu essen, sie leiden unter extremer Hungersnot und Mangelernährung somit ist das Recht auf angemessene Ernährung nicht gegeben. Viele Kälber sterben, da sie nicht genügend Platz zum Weiden haben. Die Weideflächen sind durch Zäune getrennt, teilweise muss ein Kalb 25 Kilometer laufen, um zu einer Wasserquelle zu kommen. Folglich gehen die Nahrungsmittelproduktion sowie die Einnahmen der Bauern zurück. Ganze Gemeinden sind abhängig von den kommerziellen Farmer, da sie ihnen Arbeit verschaffen und Lebensmittel verkaufen. Allerdings decken die Löhne in keiner Weise die hohen Kosten für die zur Verfügung gestellten Lebensmittel. Viele nehmen Schulden bei den Farmern auf, um ihre Familien mit Nahrung versorgen zu können. Diese Menschen werden ausgebeutet, man kann sogar von Sklaverei sprechen.

Porträtaufnahme von Pater Pio, der vor einer Wand steht und in die Kamera lächelt.

Der angolanische Menschenrechtsverteidiger Pater Jacinto Pio Wacussanga im Berliner Amnesty-Sekretariat im Oktober 2019

Erst kürzlich hat Amnesty International in Zusammenarbeit mit Ihnen diese Erkenntnisse in dem Bericht "The End of Cattle’s Paradise" veröffentlicht. Wie genau sah die Zusammenarbeit aus?

Über einen Zeitraum von drei Wochen hat Amnesty International mit betroffenen Bauern und Gemeinden im südlichen Angola gesprochen. Ich arbeite seit etwa 23 Jahren in der Regionund kenne die Situation, die Sorgen und Nöte der Gemeinden. Ich konnte somit vieles zum Bericht beitragen. Auch in der Vergangenheit habe ich bereits mit Amnesty International gearbeitet, der Kontakt bestand also schon. Diese Zusammenarbeit schätze ich sehr. Sie hilft uns dabei, unsere Anliegen stärker in die Öffentlichkeit zu tragen. 

Der Bericht enthält ebenfalls Forderungen an die Regierung in Angola sowie die internationale Gemeinschaft. Wie genau sehen diese Forderungen aus? 

Unsere Hauptforderung ist, dass den traditionellen Viehzüchtern in Angola ihr Land zurückgegeben wird, damit sie sich und ihre Gemeinden versorgen können. Wir brauchen außerdem Maßnahmen zur Bekämpfung der unsicheren Ernährungslage. Konkret bedeutet das etwa: Ein endgültiger Vergabestopp von Agrarland zur kommerziellen Nutzung, ebenso wie finanzielle und technische Hilfe zur Behebung der Nahrungsmittelknappheit. Natürlich versuchen wir auch die internationale Gemeinschaft zu mobilisieren, um mehr Druck auf die Regierung ausüben zu können.

Seit etwa 25 Jahren arbeiten Sie als Priester und Menschenrechtsverteidiger mit schutzbedürftigen Gesellschaftsgruppen. Ursprünglich wollten Sie Lehrer werden. Wieso dann doch Priester?

Eigentlich wollte ich schon immer Priester werden, doch als meine Mutter erkrankte, dachte ich es sei besser Lehrer zu werden, damit ich sie finanziell unterstützen kann. Nachdem ich drei Monate als Lehrer gearbeitet hatte, verstarb meine Mutter. Somit war ich im Alter von 19 Jahren Vollwaise, da auch mein Vater bereits verstorben war. Der Priester meiner Gemeinde gab mir zu dieser schweren Zeit viel Mut und Unterstützung, er bedeutete mir sehr viel. Weil er sich für die Rechte benachteiligter Menschen stark machte, wurde er erschossen. Für mich war klar, dass ich seine Arbeit fortsetzen möchte - als Priester und als Menschenrechtsverteidiger. Manchmal sind wir erschöpft und haben wenig Energie, aber wir arbeiten weiterhin mit den benachteiligten Gemeinden, um sie zu stärken. 

 

Interview: Nicolina Zimmermann 

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