Memorandum für faire und sorgfältige Asylverfahren in Deutschland

Kundgebung am Vortag der EU-Sondersitzung der Innen- und Justizminister in Berlin im September 2015.
© Amnesty International Foto: Henning Schacht
Nach einer mehr als zwei Jahre andauernden Studie zu Asylverfahren in Deutschland hat Amnesty International mit anderen Vereinigungen und Initiativen nun zum zweiten Mal ein Memorandum herausgegeben, welches strukturelle Defizite in der Qualität von Asylverfahren aufzeigt. Nach wie vor herrschen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Mängel, welche zum Teil die Fehlentscheidungen bei Asylverfahren zur Folge haben. Amnesty und andere Organisationen fordern in dem Memorandum, dass es auch bei einer schnellen Bearbeitung von Asylanträgen keine Abstriche bei der Qualität geben darf.
Zehn Jahre nachdem ein Bündnis von Wohlfahrtsverbänden, Anwalts- und Richtervereinigungen und Menschenrechtsorganisationen ein Memorandum zum Stand der Asylverfahren in Deutschland veröffentlicht hatte, wurde nun erneut im Rahmen eines gemeinsamen Projekts das "Memorandum für faire und sorgfältige Asylverfahren in Deutschland" herausgegeben.
In den Jahren 2014 bis 2016 wurden Anhörungsprotokolle und Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dazugehörige Gerichtsurteile, Anmerkungen von Anwältinnen und Anwälten und andere asylverfahrensrelevante Unterlagen analysiert und ausgewertet.
Bereits beim 2005 erschienenen Memorandum wurden strukturelle Defizite im Asylverfahren festgestellt. Das vorliegende aktuelle Memorandum zeigt, dass viele dieser Mängel nach wie vor bestehen. Auch die Aufforderung der Bundesregierung an das BAMF, bis 2017 mehr als 500.000 anhängige Asylanträge zu bearbeiten, hat sich negativ auf die Qualität der Asylverfahren ausgewirkt.
Bei der Entscheidung eines Asylantrags kommt es maßgeblich auf die Glaubwürdigkeit der Asylsuchenden an, da oftmals keine eindeutigen Beweise für eine Verfolgung bestehen. Damit ist vor allem auch der persönliche Eindruck ausschlaggebend. Aktuell bewegt sich der Trend jedoch dahin, dass die Anhörung nicht von der Person geführt wird, welche auch später die Entscheidung trifft. Durch diese systematische Trennung von Anhörung und Entscheidung, hat der persönliche Eindruck keinen Einfluss mehr auf die Entscheidung, was leicht zu Fehlentscheidungen, z. B. einer Ablehnung des Asylantrages, führen kann.
Auch die Ausbildung der Mitarbeitenden wird vor dem Hintergrund hoher Antragzahlen zunehmend zu einem Problem, da diese viel zu kurz ist, um die Mitarbeitenden angemessen auf die Arbeit vorzubereiten. Die Ausbildung für Anhörerinnen und Anhörer, welche früher sechs Monate in Anspruch genommen hat, beträgt derzeit nur noch drei Wochen. Für Entscheiderinnen und Entscheider sind es vier Wochen. In vielen Fällen werden die Anhörungen voreingenommen geführt, gleichen einem Verhör und lassen die persönlichen Umstände der antragstellenden Person außer Acht. So kommt es immer wiedervor, dass Antragstellerinnen und Antragssteller ihre Asylgründe nicht vollständig vorbringen können.
Gleichzeitig kommt das BAMF nicht immer seiner Sachaufklärungspflicht nach. So wird die Situation im Herkunftsland oftmals nicht zu Genüge mit einbezogen. Auch die Entscheidungsbegründungen sind zum Teil unzureichend. Bei der Analyse fiel auf, dass immer wieder nur auf Textbausteine zurückgegriffen wird und sich nur unzureichend mit dem individuellen Fall auseinander gesetzt wurde.
Auch bei den Übersetzungstätigkeiten kamen in der Untersuchung einige Mängel zu Tage. Die vom BAMF beauftragten Dolmetscherinnen und Dolmetscher sind oftmals nicht ausreichend qualifiziert und übersetzen häufig ungenau, wenn nicht sogar falsch.
Die festgestellten Mängel im Asylverfahren wurden auch schon 2005 im ersten Memorandum aufgedeckt. Die Defizite gehen also nicht nur auf die hohen Antragszahlen zurück, sondern sind struktureller Natur. Verschärft werden die Mängel allerdings durch unzureichend geschulte Mitarbeitende und einen hohen politischen Druck.
Das Bündnis fordert in seinem Memorandum ausreichende Schulungen für die Mitarbeitenden, eine angemessen ausgestattete Qualitätssicherung, den Zugang zu einer kostenlosen und qualifizierten Verfahrensberatung, Unvoreingenommenheit in der Anhörung und ausreichend Gelegenheit für die antragstellende Person, alle Asylgründe vorzubringen.
Bei Widersprüchlichkeiten sollte nachgehakt oder darauf aufmerksam gemacht werden. Aktuelle Herkunftslandinformationen müssen unbedingt beachtet werden. Generell gilt, dass die Asylanträge schnell, bei dennoch hoher Qualität, bearbeitet werden sollten.
Hier können Sie das Memorandum für faire und sorgfältige Asylverfahren in Deutschland (PDF, deutsch, 60 Seiten) herunterladen.