UK: Mehr als 400 weitere friedlich Protestierende festgenommen

Eine Polizistin und drei Polizisten tragen eine Person weg.

Festnahme einer Person bei einem propalästinensischen Protest in der englischen Hauptstadt London (4. Oktober 2025)

Am 4. Oktober fand in London die vierte Massenaktion der basisdemokratischen Gruppe Defend Our Juries statt. Dabei wurden weitere 488 Protestierende festgenommen, weil sie friedlich gegen das Verbot der Gruppe Palestine Action demonstrierten. Damit stieg die Zahl aller Festnahmen im Vereinigten Königreich seit Inkrafttreten des Verbots Anfang Juli 2025 auf über 2100 an. Ungefähr 138 Personen sind seither unter den britischen Antiterrorgesetzen angeklagt worden, und vielen weiteren droht eine Anklage. Amnesty International fordert die zuständigen Behörden im Vereinigten Königreich auf, die bereits erhobenen Anklagen fallen zu lassen und keine weiteren Maßnahmen zu ergreifen, weder gegen diese noch gegen andere Personen, die lediglich wegen der Ausübung ihrer Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit festgenommen und angeklagt wurden.

Setzt euch für die Palastine-Action-Unterstützer*innen ein!

Appell an

Botschaft des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland
S. E. Herrn Andrew Jonathan Mitchell
Wilhelmstr. 70
10117 Berlin

Amnesty fordert:

  • Bitte handeln Sie entsprechend der menschenrechtlichen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs, indem Sie die Anklagen gegen all jene fallen lassen, die sich an den friedlichen Protesten gegen das Verbot von Palestine Action beteiligt haben, und indem Sie keine neuen Verfahren anstrengen.

Sachlage

Seit Palestine Action am 5. Juli 2025 als Terrororganisation eingestuft und verboten wurde, sind landesweit mehr als 2100 Menschen festgenommen worden, weil sie sich an friedlichen Protestaktionen gegen das Verbot beteiligt haben. Die meisten Festnahmen erfolgten im Zusammenhang mit Protestveranstaltungen, die von der basisdemokratischen Gruppe Defend Our Juries organisiert worden waren. 

Anlässlich der Jahreskonferenz der britischen Regierung in der nordenglischen Stadt Liverpool fand dort am 28. September die dritte Massenaktion von Defend Our Juries statt. Dabei wurden Personen festgenommen, die friedlich Schilder mit der Aufschrift "Ich bin gegen Völkermord, ich unterstütze Palestine Action" trugen. Der vierte Massenprotest von Defend Our Juries fand am 4. Oktober auf dem Londoner Trafalgar Square statt, wo es zu weiteren 488 Festnahmen kam.

Mit Stand vom 10. Oktober sind landesweit 138 Personen unter Paragraf 12 und 13 des Antiterrorgsetzes aus dem Jahr 2000 wegen terrorismusbezogener Straftaten angeklagt.

Am frühen Morgen des 2. September nahm die Polizei im Zuge von Razzien sieben Sprecher*innen von Defend Our Juries fest. Grundlage für die Festnahmen war Paragraf 12 des Antiterrorgesetzes. Die Festgenommenen kamen  gegen Kaution frei und warten nun auf ihren Prozess, der für den 22. Juni 2026 angesetzt wurde. Amnesty International entsandte Beobachter*innen zu den Protesten von Defend Our Juries in London am 9. August, 6. September und 4. Oktober sowie in Liverpool am 28. September. Bei jeder dieser Demonstrationen beobachtete Amnesty International, dass die Demonstrierenden, die Schilder mit der Aufschrift "Ich bin gegen Völkermord, ich unterstütze Palestine Action" trugen, sich völlig friedlich verhielten.

Die internationalen Menschenrechtsnormen, zu deren Einhaltung das Vereinigte Königreich verpflichtet ist, verlangen, dass Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung eindeutig gesetzlich verankert und für ein legitimes Ziel notwendig und verhältnismäßig sein müssen. Die Kriminalisierung von Äußerungen ist in diesem Zusammenhang nur dann zulässig, wenn mit diesen Äußerungen zu Gewalt, Hass oder Diskriminierung aufgerufen wird. Die Unterstützung von Palastine Action allein reicht nicht aus, um diese Schwelle zu erreichen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Defend Our Juries ist eine basisdemokratische Gruppe von Aktivist*innen im Vereinigten Königreich, die sich eindeutig gegen Gewalt positioniert. Seit Juli 2025 organisierten sie vier Massenaktionen des friedlichen Ungehorsams, um ihren Widerstand gegen das Verbot der Gruppe Palestine Action zum Ausdruck zu bringen – drei Aktionen fanden am 9. August, 6. September und 4. Oktober in London und eine in Liverpool am 28. September statt.

Bei den Protestveranstaltungen wurden Menschen verschiedener Altersklassen, Berufsgruppen und ethnischer Herkunft festgenommen. Ältere Menschen machten einen erheblichen Teil der Festgenommenen aus. Die Protestierenden hatten friedlich ihre Empörung über den anhaltenden Völkermord Israels an den Palästinenser*innen im Gazastreifen zum Ausdruck gebracht, ein Standpunkt, den sie gemäß internationaler Menschenrechtsnormen vertreten und friedlich zum Ausdruck bringen dürfen. Zahlreiche Menschenrechtsgruppen, darunter auch Amnesty International, haben den anhaltenden Völkermord Israels an den Palästinenser*innen im besetzten Gazastreifen ausführlich dokumentiert.

Eine Strafverfolgung im Rahmen der Terrorismusgesetze kann, auch wenn es nicht zu einer Verurteilung kommt, schwerwiegende und dauerhafte Folgen für den Einzelnen haben. Dazu gehören restriktive Kautionsbedingungen, Überwachung, Rufschädigung, Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und negative Folgen für Beschäftigung, Bildung und Reisen. Eine Verurteilung nach Gesetzen wie dem Terrorism Act 2000 hat sogar noch schwerwiegendere Folgen: eine lebenslange Registrierung als vorbestraft, Visa- und Einwanderungsprobleme, Verlust von Arbeitsmöglichkeiten, Berufszulassungen und Zugang zu Dienstleistungen sowie eine langfristige soziale Stigmatisierung und psychische Leiden. Wenn solche Strafverfolgungen aufgrund friedlicher Proteste und zivilen Ungehorsams erfolgen, haben sie eine abschreckende Wirkung – sie halten Menschen davon ab, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, Protest und politischen Aktivismus auszuüben, aus Angst, als "Terrorist*innen" kriminalisiert zu werden.

Die Rechtsgrundlage für den Einsatz von Antiterrorgesetzen zur Festnahme und Strafverfolgung von friedlichen Protestierenden ist fragwürdig, da der High Court einer gerichtlichen Überprüfung des Urteils gegen Palestine Action zugestimmt hat, was bedeutet, dass die Rechtmäßigkeit des Verbots noch in Frage steht. In Anbetracht dessen wären weitere Festnahmen als ein rücksichtsloser Einsatz von Polizeibefugnissen zu betrachten und möglicherweise rechtswidrig. Es gibt keine hinreichende Grundlage dafür, den Teilnehmenden der Protestaktionen Anstiftung zur Gewalt vorzuwerfen. Folglich ist ihre Festnahme nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch ein klarer Verstoß gegen die Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs unter internationalen Menschenrechtsnormen. Die Einstufung dieser Menschen als "Terrorist*innen" ist zutiefst unangemessen und absurd.

Es verstößt gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs zum Schutz der Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, friedlich protestierende Menschen festzunehmen, nur weil sie Plakate mit dem Slogan "Ich bin gegen Genozid, ich unterstütze Palestine Action" hochgehalten haben. Demonstrierende haben das Recht, ihre Empörung über den anhaltenden Völkermord Israels an den Palästinenser*innen in Gaza friedlich zum Ausdruck zu bringen. Internationale Menschenrechtsverträge, die für das Vereinigte Königreich gelten, geben vor, dass Regierungen die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung nur in einem gewissen Rahmen rechtmäßig einschränken dürfen, wenn dies zur Erreichung eines legitimen Ziels erforderlich und angemessen ist. Um dies auf eine Unterstützungsbekundung für eine verbotene Organisation anzuwenden, müsste nachgewiesen werden, dass diese Bekundung geeignet ist, um andere unmittelbar zur Gewaltanwendung anzustiften. Im Rahmen einer solchen Beurteilung müssen auch die besonderen Umstände der Meinungsäußerung sowie das Verbot und die Art der verbotenen Organisation berücksichtigt werden. In diesem Fall ist es nicht gerechtfertigt, Unterstützungsbekundungen für Palestine Action grundsätzlich und durchgehend als Anstiftung zur Gewalt zu betrachten. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geht hervor, dass Plakate als geschützte Formen der Meinungsäußerung gelten, sofern sie nicht unmittelbar und ausdrücklich zur Gewalt anstiften.