Vereinigtes Königreich: Strafverfolgung von friedlich Protestierenden einstellen
Festnahme eines Demonstranten in der englischen Hauptstadt London bei einem Protest gegen das Verbot der Gruppe "Palestine Action" (9. August 2025)
© IMAGO / ZUMA Press Wire
+++ Update 8. September 2025: Bei einer Demonstration zur Unterstützung von Palestine Action wurden am Wochenende 6.-7. September über 850 Personen in London festgenommen. +++
Am 9. August 2025 wurden in London 522 Menschen festgenommen, weil sie friedlich dagegen protestierten, dass die britische Regierung am 5. Juli die Gruppe Palestine Action als Terrororganisation hat verbieten lassen. In den Wochen zuvor waren in London und anderen Städten bereits mehr als 200 weitere Personen aus ähnlichen Gründen festgenommen worden. 70 Personen sind seither unter den britischen Antiterrorgesetzen angeklagt worden, und vielen weiteren droht die Anklage. Amnesty International verurteilt die Anwendung der Antiterrorgesetze gegen Demonstrierende und fordert die zuständigen Behörden im gesamten Vereinigten Königreich auf, die bereits erhobenen Anklagen fallen zu lassen und keine weiteren Maßnahmen zu ergreifen – weder gegen diese noch gegen andere Personen, die lediglich wegen der Ausübung ihrer Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit festgenommen und angeklagt wurden.
Bitte setzt euch für friedlich Demonstriende ein!
Appell an
Director of Public Prosecutions of England and Wales
Steven Parkinson
c/o
Botschaft des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland
S. E. Herrn Andrew Jonathan Mitchell
Wilhelmstr. 70
10117 Berlin
Fax: 030-2045 7571
Amnesty fordert:
- Bitte handeln Sie entsprechend der menschenrechtlichen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs, indem Sie die Anklagen gegen all jene fallen lassen, die sich an den friedlichen Protesten gegen das Verbot von Palestine Action beteiligt haben, und indem Sie keine neuen Verfahren anstrengen.
Sachlage
Mehr als 700 Personen, die friedlich gegen das kürzlich von der britischen Regierung verhängte Verbot der Gruppe Palestine Action protestierten, wurden in den vergangenen Wochen festgenommen und müssen mit Strafverfolgung rechnen.
Seit Palestine Action am 5. Juli 2025 als Terrororganisation ausgewiesen und verboten wurde, sind landesweit mehr als 700 Menschen festgenommen worden, weil sie sich an friedlichen Protestaktionen gegen das Verbot beteiligt hatten. Die meisten Festnahmen erfolgten bei Protestveranstaltungen, die von der basisdemokratischen Gruppe Defend Our Juries organisiert worden waren. Die Teilnehmenden hielten Plakate, auf denen stand: "I oppose genocide, I support Palestine Action" ("Ich bin gegen Genozid, ich unterstütze Palestine Action"). 522 Menschen wurden allein am 9. August 2025 festgenommen, als Defend Our Juries in London vor dem Parlament eine Protestaktion abhielt. Sie alle sind wieder gegen Kaution bzw. für die Dauer der Ermittlungen auf freiem Fuß. Mit Stand vom 22. August sind landesweit 70 Personen unter Paragraf 12 und 13 des Terrorismusgesetzes aus dem Jahr 2000 wegen terrorismusbezogener Straftaten angeklagt worden, und drei Personen sollen am 16. September vor Gericht erscheinen.
Es verstößt gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs zum Schutz der Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, friedlich protestierende Menschen festzunehmen, nur weil sie Plakate mit dem Slogan "Ich bin gegen Genozid, ich unterstütze Palestine Action" hochgehalten haben. Demonstrierende haben das Recht, ihre Empörung über den anhaltenden Völkermord Israels an den Palästinenser*innen in Gaza friedlich zum Ausdruck zu bringen. Internationale Menschenrechtsverträge, die für das Vereinigte Königreich gelten, legen fest, dass Regierungen die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung nur in einem gewissen Rahmen rechtmäßig einschränken dürfen, wenn dies zur Erreichung eines legitimen Ziels erforderlich und angemessen ist. Um dies auf eine Unterstützungsbekundung für eine verbotene Organisation anzuwenden, müsste nachgewiesen werden, dass diese Bekundung geeignet ist, um andere unmittelbar zur Gewaltanwendung anzustiften. Im Rahmen einer solchen Beurteilung müssen auch die besonderen Umstände der Meinungsäußerung sowie das Verbot und die Art der verbotenen Organisation berücksichtigt werden. In diesem Fall ist es nicht gerechtfertigt, Unterstützungsbekundungen für Palestine Action grundsätzlich und durchgehend als Anstiftung zur Gewalt zu betrachten. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geht hervor, dass Plakate als geschützte Formen der Meinungsäußerung gelten, sofern sie nicht unmittelbar und ausdrücklich zur Gewalt anstiften.
Die Rechtsgrundlage für den Einsatz von Antiterrorgesetzen zur Festnahme und Strafverfolgung von friedlichen Protestierenden ist fragwürdig, da der High Court einer gerichtlichen Überprüfung des Urteils gegen Palestine Action zugestimmt hat, was bedeutet, dass die Rechtmäßigkeit des Verbots noch in Frage steht. In Anbetracht dessen wären weitere Festnahmen als ein nicht angemessener Einsatz von Polizeibefugnissen zu betrachten und möglicherweise rechtswidrig. Es gibt keine hinreichende Grundlage dafür, den Teilnehmenden der Protestaktionen Anstiftung zur Gewalt vorzuwerfen. Folglich ist ihre Festnahme nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch ein klarer Verstoß gegen die Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs unter internationalen Menschenrechtsnormen. Die Einstufung dieser Menschen als "Terrorist*innen" ist somit unangemessen.
Hintergrundinformation
Defend our Juries ist eine basisdemokratische Gruppe von Aktivist*innen im Vereinigten Königreich, die sich eindeutig gegen Gewalt positioniert. Bei den Protestveranstaltungen wurden Menschen verschiedenster Altersklassen, Berufsgruppen und ethnischer Herkunft festgenommen. Ältere Menschen machten einen erheblichen Teil der Festgenommenen aus. Die Protestierenden hatten friedlich ihre Empörung über den anhaltenden Völkermord Israels an den Palästinenser*innen im Gazastreifen zum Ausdruck gebracht, ein Standpunkt, den sie gemäß internationaler Menschenrechtsnormen vertreten und friedlich zum Ausdruck bringen dürfen. Die nächste Protestveranstaltung von Defend our Juries ist für den 6. September geplant und es werden weitere Festnahmen befürchtet. Zahlreiche Menschenrechtsgruppen, darunter auch Amnesty International, haben den anhaltenden Völkermord Israels an den Palästinenser*innen im besetzten Gazastreifen ausführlich dokumentiert.
Im Vorfeld der Protestaktion vom 9. August in London hatte Amnesty International den Londoner Polizeipräsidenten aufgefordert, die Rechte der Demonstrierenden auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung zu respektieren und sie nicht wegen des Haltens von Plakaten festzunehmen. Amnesty International wandte sich in ähnlicher Weise an die Polizeichefs von Schottland und Nordirland sowie an die schottische Generalstaatsanwältin (Lord Advocate).
Fortsetzung (Auf Englisch)
Prosecutions under terrorism-related legislation, even without a conviction, can have serious and lasting consequences on individuals. These include restrictive bail conditions, surveillance, reputational damage, mental health impact, and negative consequences on employment, education and travel. A conviction under laws like the Terrorism Act 2000 brings even more severe consequences: a lifelong criminal record, visa and immigration issues, loss of job opportunities, professional licenses, and access to services, along with long-term social stigma and psychological harm. When such prosecutions target peaceful protest and civil disobedience, they create a chilling effect—deterring people from exercising their rights to free expression, protest, and political activism out of fear of being criminalized as 'terrorists’.