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Saudi-Arabien: 11 Jahre Haft für Feministin
Manahel al-Otaibi wurde am 16. November 2022 in Saudi-Arabien festgenommen, weil sie sich auf Social Media gegen die Unterdrückung von Frauen stark machte (undatiertes Foto).
© privat
Am 9. Januar 2024 verurteilte das berüchtigte Sonderstrafgericht Saudi-Arabiens Manahel al-Otaibi, eine 29-jährige Fitnesstrainerin und Frauenrechtsaktivistin, in einem Geheimprozess wegen "terroristischer Straftaten" zu elf Jahren Haft. Sie stand wegen Verstoßes gegen das Gesetz zur Bekämpfung von Cyberkriminalität unter Anklage, weil sie sich in ihren Tweets für Frauenrechte einsetzte und auf Snapchat Fotos von sich im Einkaufszentrum ohne Abaya (ein traditionelles, locker sitzendes, langärmeliges Gewand) postete. Manahel al-Otaibi fiel zwischen dem 5. November 2023 und dem 14. April 2024 dem Verschwindenlassen zum Opfer. Dann konnte sie ihre Familie kontaktieren und ihr mitteilen, dass sie mit einem gebrochenen Bein in Isolationshaft im al-Malaz-Gefängnis festgehalten wird. Sie sei brutal geschlagen worden und habe keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.
Appell an
Waleed Mohammed Al Smani
Minister of Justice
Postal Code 11472, P.O. Box 7775
Riad
SAUDI-ARABIEN
Sende eine Kopie an
Botschaft des Königreichs Saudi-Arabien
S. E. H. R. H. Prinz Abdullah Bin Khaled
Bin Sultan Al Saud
Tiergartenstr. 33-34
10785 Berlin
Fax: 030-889 251 79
E-Mail: deemb@mofa.gov.sa
Amnesty fordert:
- Ich fordere Sie auf zu veranlassen, dass Manahel al-Otaibi umgehend und bedingungslos freigelassen wird, da sie nur aufgrund der friedlichen Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung verurteilt wurde.
- Bis zu ihrer Freilassung muss ihr unverzüglich Zugang zu medizinischer Versorgung gewährt werden, und ihre Folter- und Misshandlungsvorwürfe müssen unparteiisch untersucht werden.
Sachlage
Das Sonderstrafgericht in Saudi-Arabien (Specialized Criminal Court – SCC) hat die 29-jährige Fitnesstrainerin und Frauenrechtsaktivistin Manahel al-Otaibi nach einem Geheimprozess wegen "terroristischer Straftaten" zu elf Jahren Haft verurteilt. Die Entscheidung wurde erst Wochen später in der förmlichen Antwort der saudischen Regierung auf ein Auskunftsersuchen von UN-Sonderberichterstatter*innen über ihren Fall bekannt. Am 9. Januar 2024 befand das SCC Manahel al-Otaibi gemäß Artikel 43 und 44 des Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus und seiner Finanzierung für schuldig. Die Familie von Manahel al-Otaibi hatte keinen Zugang zu ihren Gerichtsunterlagen oder den gegen sie vorgelegten Beweisen.
Manahel al-Otaibi war am 16. November 2022 festgenommen und wegen Verstoßes gegen das Gesetz zur Bekämpfung von Cyberkriminalität angeklagt worden, weil sie Hashtags zur Unterstützung der Frauenrechte getwittert und Fotos von sich selbst in "unanständiger" Kleidung in einem Einkaufszentrum gepostet hatte. Die erste Anhörung in ihrem Fall fand am 23. Januar 2023 vor dem Strafgericht in Riad statt, das den Fall dann an das SCC verwies. Laut den von Amnesty International eingesehenen Gerichtsdokumenten wurde Manahel al-Otaibi angeklagt, auf ihrem Twitter-Account "Inhalte zu veröffentlichen und zu verbreiten, die das Begehen öffentlicher Sünden beinhalten und Einzelpersonen und Mädchen in der Gesellschaft dazu anstiften, religiöse Grundsätze und soziale Werte zu verleugnen und gegen die öffentliche Ordnung und die öffentliche Moral zu verstoßen", was einen Verstoß gegen das Gesetz zur Bekämpfung von Cyberkriminalität darstellt. Die Anschuldigungen gegen sie beruhen auf ihren Posts in den Soziale Medien, die sich "gegen Vorschriften und Gesetze, die Frauen betreffen" richteten, unter anderem durch den Hashtag #EndMaleGuardianship.
Manahel al-Otaibi war mehr als fünf Monate "verschwunden". Am 14. April 2024 konnte sie ihre Familie anrufen und sie darüber informieren, dass sie mit einem gebrochenen Bein in Isolationshaft im al-Malaz-Gefängnis festgehalten wird. Sie sei brutal geschlagen worden und habe keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.
Ihre Schwester Fawzia al-Otaibi sagte gegenüber Amnesty International, dass sie glaubt, dass der einzige Grund, warum Manahel al-Otaibi schließlich ein Telefonat erlaubt wurde, der war, ihrer Familie die Botschaft zu übermitteln, sich nicht mehr öffentlich über ihre Inhaftierung zu äußern. Ihre Familie gab an, dass Manahel al-Otaibi "Monate" in Einzelhaft unter isolierten Bedingungen verbracht habe. Dabei stützte sie sich auf Informationen von ehemaligen Gefangenen, die im selben Gefängnis inhaftiert waren. Das Festhalten von Personen in Einzelhaft, die länger als 15 Tage dauert, verstößt gegen das absolute Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung.
Hintergrundinformation
Das SCC ist dafür bekannt, vage Bestimmungen aus den Gesetzen zur Bekämpfung von Internetkriminalität und Terrorismus anzuwenden, in denen friedliche Äußerungen mit "Terrorismus" gleichgesetzt werden. Amnesty International hat dokumentiert, dass alle Phasen eines Gerichtsverfahrens vor dem SCC durch Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet sind. Seit 2018 haben die saudischen Behörden immer wieder willkürlich Frauenrechtsaktivistinnen inhaftiert, die sich für die Abschaffung des männlichen Vormundschaftssystems und das Recht auf Autofahren einsetzen. Die inhaftierten Feministinnen sollen während der Verhöre sexuell belästigt, gefoltert und in anderer Weise misshandelt worden sein. Gegen die freigelassenen Personen wurde ein Reiseverbot verhängt, und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ist eingeschränkt.
Die beiden Schwestern von Manahel al-Otaibi wurden ebenfalls wegen ihres Einsatzes für die Rechte von Frauen angeklagt. In dem Verfahren gegen Manahel al-Otaibi, das die Staatsanwaltschaft vor dem Strafgerichtshof in Riad eingeleitet hatte, beschuldigt sie auch ihre Schwester Fawzia, "eine Propagandakampagne zu führen, die saudische Mädchen dazu anstiftet, religiöse Grundsätze zu verleugnen und gegen die Sitten und Gebräuche der saudischen Kultur zu rebellieren" und einen Hashtag zu verwenden, "der für die Befreiung und den Fall der männlichen Vormundschaft wirbt". In dem von Amnesty International eingesehenen Gerichtsdokument heißt es, dass für Fawzia al-Obaidi ein gesonderter Haftbefehl ergehen würde. Ihre andere Schwester Mariam, eine prominente Kämpferin gegen die männliche Vormundschaft im Königreich, wurde wegen ihres Engagements für Frauenrechte bereits früher angeklagt und inhaftiert und unterliegt derzeit einem Reiseverbot.
In einem ähnlichen Fall wie dem von Manahel al-Otaibi verurteilte das SCC am 25. Januar 2023 Salma al-Shehab, eine Doktorandin der Universität Leeds und Mutter von zwei Kindern, im Rechtsmittelverfahren erneut zu 27 Jahren Haft, gefolgt von einem 27-jährigen Reiseverbot. Das SCC sprach Salma al-Shehab in einem grob unfairen Gerichtsverfahren wegen terrorismusbezogener Vorwürfe schuldig, weil sie auf Twitter Beiträge zur Unterstützung von Frauenrechten veröffentlicht hatte.
Fast alle Menschenrechtsverteidiger*innen, Frauenrechtler*innen, unabhängige Journalist*innen, Schriftsteller*innen und Aktivist*innen im Land waren schon einmal oder sind willkürlich inhaftiert, haben langwierige und unfaire Gerichtsverfahren – meist vor dem SCC – durchlaufen oder sind unter Bedingungen freigelassen worden, die Reiseverbote und andere willkürliche Einschränkungen ihrer Grundrechte, wie z. B. des Rechts auf friedlichen Aktivismus, beinhalteten.
Bis Januar 2024 hat Amnesty International die Fälle von 69 Personen dokumentiert, die wegen der Ausübung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung strafrechtlich verfolgt wurden, darunter Menschenrechtsverteidiger*innen, friedliche politische Aktivist*innen, Journalist*innen, Dichter*innen und Geistliche. Unter ihnen waren 32 Personen, die wegen ihrer friedlichen Meinungsäußerung in den Sozialen Medien strafrechtlich verfolgt wurden. Amnesty International ist bewusst, dass die tatsächliche Zahl derartiger Strafverfolgungen vermutlich wesentlich höher ist.