Amnesty Journal Deutschland 06. Januar 2017

"Der Preis hat uns weitergebracht"

"Der Preis hat uns weitergebracht"

Regisseur und Jurymitglied des Deutschen Menschrechts-Filmpreises Pagonis Pagonakis

Pagonis Pagonakis hat als Juror über die Vergabe des Deutschen Menschenrechts-Filmpreises entschieden, der im vergangenen Jahr zum zehnten Mal vergeben wurde. Worauf es dabei ankommt, weiß er sehr genau: Er hat ihn selbst schon gewonnen.

Interview: Jürgen Kiontke

Was ist ein guter Menschenrechtsfilm?
Für mich ist wichtig: Da ist ein echtes Anliegen! Und dass ich das Gefühl habe, dass der Regisseur auch die richtigen filmischen Mittel gesucht hat. Wir suchen nach Filmen, die nicht nur inhaltlich, sondern auch qualitativ überzeugen – die optischen Mittel müssen optimal eingesetzt werden. Wir schauen, welcher Film am meisten Wirkung entfaltet und dabei auch noch gut recherchiert ist. Einfache Parteinahme propagandistischer Art ist schlecht. "Iran Elections" von Ali Samadi Ahadi, den Gewinner von 2010, fand ich gelungen: Ein Genre-Mix mit Handy-Videos, Straßenszenen, Animationen.

Sie haben den Menschenrechts-Filmpreis selbst bekommen, und zwar für ihre Recherchen über den Tod von Oury Jalloh, der 2005 im Polizeigewahrsam in Dessau verbrannt ist. Welche Wirkung hatte die Verleihung?
Dieser Film lief ein Jahr nach dem Tod Jallohs, damals gab es kaum noch Berichterstattung zu dem Fall. Die Ausstrahlung in der ARD hatte schon viel Gewicht; und als dann noch der Preis kam, hat das den Fall noch mal richtig aufgerollt. Der Richter regte sich darüber auf, dass die Menschenrechtsgruppen mit ihren Anfragen sein Fax blockierten. Man hatte das Gefühl, dass das Verfahren vor dem Landgericht in Dessau letztendlich nur auf vereinten Druck von Menschenrechtlern und Medien zustande kam. Da hat der Menschenrechts-Filmpreis eine ganz konkrete Wirkung gehabt.

Ist Film ein besonderes Medium?
Ja! Wenn ein Film gut gemacht ist, kann er mehr Druck entfalten als ein Artikel, wenn der auch noch so gut recherchiert ist. Denn die Bilder bleiben den Leuten im Kopf hängen. Ich erinnere mich, dass viele die Szenen in der Zelle, die Nachstellung der Abläufe in unserem Film nicht vergessen hatten. Dass man sich ganz konkret vorstellen konnte, da ist ein Mensch verbrannt, und zwar gefesselt an allen vier Gliedmaßen. Im Gedächtnis bleiben – das ist die Stärke, die Film entfalten kann, gerade zu Menschenrechtsthemen.

Man könnte sagen, die Organisationen haben damals mit der Filmauswahl auch ihr eigenes Thema gesetzt…
Der Preis hat uns weitergebracht, keine Frage. Er lief dann sogar im Beweisaufnahmeverfahren des Gerichts. Auch im Ausland wurde man auf den Fall aufmerksam, bis nach Südafrika. Oury Jallohs Fall taucht im Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums auf. Eine Reporterin fragte uns, ob wir den Film gemacht hätten, um den Film zu machen oder um den Preis zu bekommen.

Und?
Als mein Kollege Marcel Kolvenbach und ich den Film gemacht haben, haben wir an so etwas natürlich nicht gedacht. Wir haben noch nie einen Film mit Hinblick auf irgendwelche Auszeichnungen gemacht.

Was ist effektiver: Dass die Filme eher der Wahrheit verpflichtet sind? Oder doch eher der Massenkompatibilität, um möglichst große Aufmerksamkeit zu erreichen?
Vorsicht: Wenn man nicht im Detail gegenrecherchiert hat, kann man sich ganz ungewollt angreifbar machen, was dem ganzen Film schaden kann. Wir hatten vor zwei Jahren den Film "Camp 14" über ein Straflager in Nordkorea, bei dem der Protagonist in einigen Punkten später eingeräumt hat, falsche Angaben zu seiner Lebensgeschichte gemacht zu haben. Zunächst war das eine heikle Situation für die Jury, da man das kaum überprüfen kann. Der Protagonist, der schwer traumatisiert war, hat sich dafür entschuldigt. Ihm war bewusst, dass das die ganze Geschichte in Misskredit bringen kann. Denn es stimmte zwar einiges nicht, aber das brutale Straflagersystem existiert ja. Eine heikle Situation ist dies auch, weil solche Unstimmigkeiten propagandistisch ausgenutzt werden können. Jedoch wurden die Angaben dann korrigiert. Ich finde, man darf im Film ruhig erzählen, dass man nicht alle Fragen beantworten kann. Leerstellen und Grauzonen sollte man ruhig benennen, denn die Realität ist selten Schwarz-Weiß.

Was wünschen Sie sich für den Preis für die nächsten Jahre?
Dass er weiter von engagierten Leuten getragen wird. Was mir in Nürnberg immer gefallen hat, ist, dass hier nicht unbedingt die mit allen Wassern gewaschenen Medienprofis gewinnen, sondern dass es auch den Amateurpreis gibt und den Hochschulpreis. Neben dem Profi-Filmemacher sitzt hier der Schüler. Dieses Prinzip sticht in der Preislandschaft richtig heraus. Denn das heißt auch: Hier kommen Leute, die machen das nicht, um Preise zu bekommen, Geld oder großes Publikum. Hier wird oft aus einer ehrlichen Empörung heraus gehandelt. Aber man kann nicht unbedingt vorher sagen, was kommt: Dieses Jahr hatten wir ein sehr starkes Wettbewerberfeld, zum Teil kinotaugliche Großproduktionen.

Hier finden Sie weitere Informationen zur Langen Nacht des Menschenrechts-Films am 17. Januar 2017 in Berlin

Hier finden Sie weitere Informationen zu Langen Nacht des Menschenrechts-Films am 31. Januar 2017 in Buchholz

Weitere Artikel