Amnesty Journal Indien 13. April 2016

"Der Kampf muss weitergehen"

"Gefahr für die nationale Sicherheit." Teesta Setalvad (Mitte)

"Gefahr für die nationale Sicherheit." Teesta Setalvad (Mitte)

Für Menschenrechtsaktivisten wird die Lage in Indien immer schwieriger.
Doch einschüchtern lassen wollen sie sich nicht.

Von Stefan Wirner

Der ungebetene Besuch sollte lange bleiben: Im Juli 2015 durchsuchten 16 Beamte der indischen Polizeibehörde 22 Stunden lang das Haus von Teesta Setalvad und Javed Anand in Mumbai. Dabei beschlagnahmten sie rund 700 Seiten an Dokumenten. Die Behörde wirft dem Ehepaar unter anderem die nicht genehmigte Annahme von Spenden aus dem Ausland und Veruntreuung von Spendengeldern vor. Vieles spricht jedoch dafür, dass es sich dabei um einen Vorwand handelt, um die bekannteste indische Menschenrechtlerin zum Schweigen zu bringen.

Die 54-jährige Journalistin stammt aus einer renommierten Juristenfamilie. Setalvads Vater ist Rechtsanwalt in Mumbai, ihr Großvater, M.C. Setalvad, war der erste Generalstaatsanwalt Indiens. Vielleicht rührt daher ihr ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit. Setalvad ist Gründerin der Organisation "Citizens for Justice and Peace"(CJP), die eine strafrechtliche Verfolgung derjenigen fordert, die für ein Massaker im Bundesstaat Gujarat im Jahr 2002 verantwortlich sind. Nachdem damals bei einem Anschlag auf einen Zug 59 Hindus getötet worden waren, kam es im ganzen Bundesstaat zu Übergriffen auf Muslime. Bei den Ausschreitungen wurden nach offiziellen Angaben 1.044 Menschen getötet. Für die Morde werden insbesondere nationalistische Hindus verantwortlich gemacht.

Menschenrechtsarbeit, die Früchte trägt

Setalvad kämpft dafür, dass die Täter nicht straflos davonkommen. Unter anderem organisiert sie den Schutz von Zeugen der Massaker. Viele von ihnen widerriefen ihre Aussagen, weil sie mit dem Tode bedroht wurden. Doch Setalvads Menschenrechtsarbeit trägt Früchte: Mehr als 120 Verurteilungen konnte die CJP bereits bewirken, nie zuvor gab es in Indien so viele Urteile wegen religiös motivierter Gewalt.
Aber das genügt ihr nicht. Sie wirft auch Regierungsmitgliedern eine Verantwortung für die Gewalttaten vor, unter anderem dem indischen Premierminister Narendra Modi von der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP), der als damaliger Regierungschef von Gujarat zu wenig unternommen habe, um die Gewaltausbrüche zu beenden. Insbesondere geht es dabei um ein Massaker in der Metropole Ahmedabad. Dort waren 60 Menschen vor einem Lynchmob in das Haus des früheren Abgeordneten Ehsan Jafri geflüchtet. Dieser soll mehrere Politiker um Hilfe angefleht haben, auch Modi. Doch niemand half, und es kam zu einem bestialischen Massaker, bei dem auch Jafri ermordet wurde.

Zusammen mit dessen Witwe beharrt Setalvad darauf, dass die Ereignisse aufgeklärt werden, was ihr den Vorwurf einbrachte, eine "Gefahr für die nationale Sicherheit" zu sein. Hiervon wurde sie zwar vom High Court in Mumbai entlastet. Inzwischen aber versuchen die Behörden auf anderem Wege, sie auszubremsen. Zu Hilfe kommt ihnen dabei das Gesetz zur Finanzierung aus dem Ausland, das die Arbeit von Nichtregierungs­organisation in Indien erheblich erschwert. Es besagt, dass NGOs die Annahme von Spenden aus dem Ausland von der Regierung genehmigen lassen müssen. 10.000 Organisationen wurde unter Anwendung dieses Gesetzes bereits die Genehmigung entzogen.

Nun wollen die Behörden das Gesetz gegen Setalvad in Anschlag bringen. In der gegen sie und ihren Mann laufenden Untersuchung geht es insbesondere darum, dass ihre Organisation "Sabrang Communications" nicht genehmigte Spenden von der Ford-Foundation in Höhe von 18 Millionen Rupien (rund 240.000 Euro) erhalten habe. Das Ehepaar hat alle Vorwürfe zurückgewiesen und seine Konten offengelegt. Setalvad lässt sich nicht einschüchtern. "Der Kampf muss weitergehen", sagte sie der BBC. Es gebe eine "bewusste Amnesie" in Indien, was Verbrechen der Vergangenheit betreffe.

Attentat in Chhattisgarh

Ramesh Agrawal saß gerade an einem Computer in einem Internetcafé in Raigarh, als zwei Männer hereinkamen und ihn ansprachen. Sie sagten, er solle damit aufhören, den Konzern "Jindal Steel" zu bekämpfen, und setzten ihm eine Pistole auf die Brust. Es kam zu einem Handgemenge und Agrawal wurde in den Oberschenkel geschossen. Er überlebte den Angriff schwerverletzt, die Männer konnten unerkannt entkommen.
Nach diesem Attentat im Juli 2012 erhob die von Ramesh Agrawal gegründete Umweltschutzorganisation "Jan Chetna" schwere Vorwürfe. Es wurde vermutet, er sei auf Geheiß von "Jindal Steel" angegriffen worden, weil er seine Stimme gegen die Bauvorhaben des Konzerns im Bundesstaat Chhattisgarh erhebe. Dem widersprach das Unternehmen zwar vehement. Tatsächlich aber sind dem Konzern Umweltschutzaktivitäten ein Dorn im Auge. Der drittgrößte Stahlproduzent Indiens hat ambitionierte Pläne in dem rohstoffreichen Bundesstaat, die jedoch immer wieder mit den Interessen der ortsansässigen Bevölkerung kollidieren. Umweltschützer kritisieren, dass bei Kraftwerksbauten Umweltschutzstandards nicht eingehalten und die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen verletzt würden.

Ramesh Agrawal

Ramesh Agrawal

Agrawal, der früher Sozialarbeiter war, nutzt für seine Menschenrechtsarbeit geschickt die Möglichkeiten des Internets, um die Landbevölkerung über neue Bauprojekte aufzuklären und auf ihr gesetzlich verbrieftes Recht auf Information aufmerksam zu machen. Ab 2008 organisierte er den Widerstand gegen den geplanten Bau einer Kohlemine durch "Jindal Steel". Er verfasste zahlreiche Petitionen und wies immer wieder auf fehlerhafte öffentliche Anhörungen hin.

In der Folge ermittelte die Polizei gegen ihn wegen "übler Nachrede", "Störung der öffentlichen Ordnung" und "Erzeugung von Unruhe und Panik". Am 28. Mai 2011 wurde er zusammen mit Harikar Patel, einem Arzt, der indigene Heilmethoden anwendet, festgenommen und inhaftiert. Da Agrawal an Bluthochdruck leidet, musste er in ein Krankenhaus verlegt werden, wo er kurzerhand ans Bett gekettet wurde. Amnesty International verurteilte die unmenschliche Behandlung und veröffentlichte eine Eilaktion, in der Agrawals Freilassung verlangt wurde. Zwei Monate später kam er wieder auf freien Fuß.

Der Widerstand gegen den Bau der Kohlemine war erfolgreich. Im April 2012 zog das oberste Umweltgericht die Genehmigung für das Vorhaben zurück und bezog sich dabei auch auf die Regelverstöße seitens "Jindal Steel", die Agrawal aufgedeckt hatte. Das in Indien herrschende inoffizielle Bündnis aus Politik, Bürokratie und Wirtschaft gab sich aber nicht geschlagen. 2014 veröffentlichte der indische Geheimdienst einen Bericht, demzufolge vom Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen wie etwa Greenpeace nur Werkzeuge westlicher Regierungen seien, um den Ausbau von Kohlekraftwerken oder Atomkraftwerken in Indien zu verhindern. Die NGOs, die sich auch eines Netzwerkes lokaler Initiativen bedienten, hätten so das Wirtschaftswachstum Indiens um zwei bis drei Prozent vermindert.

Agrawal wundert der Bericht nicht. "Vor Ort arbeitende Umweltschützer wurden schon immer als Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung gebrandmarkt", sagt er. Für sein Engagement erhielt er 2014 den "Goldman Environmental Prize", ­einen der bedeutendsten Umweltschutzpreise weltweit. Ein Grund mehr für ihn, nicht nachzulassen in seinem Engagement für Umwelt und Menschenrechte.

Der Autor ist Journalist und Lyriker.

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