Amnesty Journal Thailand 17. September 2014

Ein Monarch heiligt alle Mittel

Ein böses Wort über den König kann in Thailand zu einer harten Gefängnisstrafe führen. Nach dem Militärputsch im Mai nutzt die Junta das Gesetz gegen Majestätsbeleidigung, um Kritikern den Mund zu verbieten.

Von Somchai Fauzi

Nach dem Militärputsch in Thailand am 22. Mai 2014 hat die Junta schnell zu verstehen gegeben, dass sie keinen Widerstand duldet. Bereits kurz nach dem Staatsstreich marschierten in Bangkoks Innenstadt mit Sturmgewehren bewaffnete Soldaten auf, um erste spontane Proteste im Keim zu ersticken. Am "Victory Monument", einem großen Kreisel im Norden des Zentrums, sah es einige Tage nach dem Putsch ebenfalls so aus, als wäre Krieg: Mehr als tausend Soldaten und Polizisten sicherten den Platz. Der Grund: In den Tagen zuvor hatten sich dort immer wieder Gegner des Putsches zu Protesten getroffen. Versammlungen von mehr als fünf Personen sind unter dem verhängten Kriegsrecht jedoch verboten, ebenso jede Kritik an der Militärjunta.

Vor allem Kritiker des Königshauses haben harte Sanktionen zu befürchten. Fälle von sogenannter "Majestätsbeleidigung" sollen gemäß einer Anordnung der Junta künftig vor Militärgerichten verhandelt werden. Wer von einem solchen Gericht wegen Majestätsbeleidigung verurteilt wird, hat keine Möglichkeit, in Berufung zu gehen. Dabei hatte Thailand bereits vor dem Staatsstreich eines der weltweit schärfsten Gesetze gegen "Lèse Majesté" (Majestätsbeleidigung). Nach Artikel 112 des Strafgesetzbuchs drohen einer Person, die den König, die Königin oder den Thronfolger "diffamiert, beleidigt oder bedroht" drei bis 15 Jahre Gefängnis. Thailands Gerichte legen das Gesetz oft derartig weit aus, dass es praktisch unmöglich ist, über die königliche Familie überhaupt öffentlich zu sprechen. Frank La Rue, der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Meinungsfreiheit, hatte Thailand bereits vor einiger Zeit aufgefordert, das Gesetz zu ändern. Das Land verstoße damit gegen internationale Menschenrechtsverpflichtungen, die es verbindlich unterzeichnet hat.
Doch bereits die Kritik am Gesetz ist gefährlich. Seit dem Staatsstreich hat das Militär Hunderte kritischer Journalisten, Akademiker und Aktivisten vorgeladen. Viele von ihnen sprechen sich seit Jahren für eine Reform des drakonischen Gesetzes aus. Sie wurden mehrere Tage lang festgehalten und dabei zum Teil stundenlang zu ihren politischen Ansichten befragt. Viele mussten die Zugangsdaten ihrer E-Mail-Konten und sozialen Netzwerkseiten preisgeben. Gegen etwa ein Dutzend von ihnen leitete die Armee anschließend Verfahren wegen Majestätsbe­leidigung ein, da in ihren E-Mails oder Beiträgen auf sozialen Netzwerkseiten angeblich monarchiekritische Äußerungen ­gefunden worden waren.

Der Akademiker Somsak Jeamteerasakul, ein bekannter ­Kritiker des "Lèse Majesté"-Gesetzes, floh nach dem Putsch ins Ausland. Aus gutem Grund: Armeechef und Putschistenführer Prayuth Chan-ocha hatte Somsak zuvor als "geisteskranken Akademiker" bezeichnet, der die Monarchie abschaffen wolle. Wegen seiner Kritik am Gesetz war Somsak bereits vor dem Putsch eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung angedroht worden. Doch selbst im Ausland sind die Dissidenten nicht mehr vor den Fängen des thailändischen Staates sicher: Die Junta hat die Pässe von Somsak und rund zwei Dutzend weiteren Kritikern annullieren lassen. Auf diese Weise sollen sie dazu gezwungen werden, nach Thailand zurückzukehren.

Nach Ansicht von David Streckfuss, einem US-Forscher, der in Khon Kaen im Nordosten Thailands lebt, zeigt das Durchgreifen der Armee gegen vermeintliche Kritiker des Königshauses, dass ein Putsch einen Feind braucht, um erfolgreich zu sein: "Die Junta versucht Beweise dafür zu sammeln, dass Verstöße gegen das 'Lèse Majesté'-Gesetz weit verbreitet sind, um von ­einer Antimonarchie-Bewegung sprechen zu können."

Die Zahl der Anklagen unter Artikel 112 hat seit 2006 dramatisch zugenommen. Damals putschten monarchietreue Generäle Premierminister Thaksin Shinawatra aus dem Amt. Thaksin hatte das Land stark polarisiert: Der Telekommunikationsmilliardär aus dem Norden Thailands sicherte sich in den fünf Jahren seiner Amtszeit im Norden eine große Anhängerschaft. Bangkoks Mittelschicht empörte sich hingegen über seinen autokratischen Führungsstil und seine offene Vetternwirtschaft. Die traditionelle Elite, zu der unter anderem die Beamtenschaft, die Armee und die Justiz gehören, sah durch den Aufsteiger ihre Sonderstellung bedroht. Nach Protesten in Bangkok entmachtete die Armee den Politiker. Die Vertreter der traditionellen Elite stürzten auch sämtliche folgenden, demokratisch gewählten Pro-Thaksin-Regierungen: Gerichte entfernten wegen angeblicher Verfehlungen drei gewählte Premierminister und eine Regierung aus dem Amt. Im Mai dieses Jahres putschte das Militär erneut.

Dem Konflikt liegt eine gesellschaftliche Verschiebung zugrunde, die Bangkoks Mittelschicht und die traditionelle Elite offenbar nicht zu verstehen in der Lage sind. Infolge des Wirtschaftsbooms entstand seit den achtziger Jahren eine neue Schicht "urbaner Dorfbewohner": Menschen, die aus den ärmeren Landesteilen im Norden stammen, aber in Bangkok leben und arbeiten. Zugleich ist auch auf dem Land eine neue Mittelschicht entstanden. Vertreter dieser beiden Schichten, die es zum Teil zu erheblichem Wohlstand gebracht haben, fordern seit einigen Jahren immer stärker ihr Recht auf politische Partizipation ein. Thaksin erkannte diese Entwicklung und ging auf Forderungen der aufsteigenden Mittelschicht ein. Angehörige der alten Mittelschicht und der Elite Bangkoks zeigten sich empört: Thaksins Politik sei nichts anderes als "Populismus". Die Menschen vom Land seien zudem "ungebildet" und verstünden nicht, was gut für Thailand sei.

Auf der Gegenseite steht eine Elite, die sich nicht davor scheut, ihren immensen Reichtum offen zur Schau zu stellen. In Bangkoks Innenstadt gehören die neuesten und teuersten ­Luxuslimousinen und Sportwagen zum Straßenbild. Thailand hat eine der hierarchischsten Sozialstrukturen der Welt, die noch aus den Zeiten des Feudalismus stammt. Das Wohlstandsgefälle zwischen Bangkok und dem Rest des Landes ist unübersehbar. Die Elite begründet ihre Sonderstellung mit ihrer Nähe zum Königshaus. Und verteidigt die gegenwärtige Gesellschaftsordnung daher mit aller Macht.

Dabei steht die Verfolgung Andersdenkender im Kontrast zu einer Rede, die Thailands König Bhumibol Adulyadej 2005 gehalten hat. Damals begrüßte er Kritik, da diese dabei helfe, die Monarchie informiert zu halten und Fehler zu korrigieren.

Die Justiz trieb die Strafverfolgung tatsächlicher oder angeblicher Kritiker des Königshauses trotzdem weiter voran. Seit 2006 gab es Hunderte von Anklagen wegen Majestätsbeleidigung. Wie viele Menschen derzeit wegen "Lèse Majesté" unter Anklage stehen oder inhaftiert sind, ist nicht bekannt. Amnesty International betrachtet einige der wegen "Lèse Majesté" Verurteilten als gewaltlose politische Gefangene.

2012 sorgte der Fall des Gefangenen Amporn Tangnoppakhun für Aufsehen. Er war wegen Majestätsbeleidigung verurteilt und starb in der Haft an einer Krebserkrankung. Mitgefangene berichteten, Amporn sei trotz starker Schmerzen nicht ­angemessen medizinisch behandelt worden. Ein Gericht hatte den 61-Jährigen ein Jahr zuvor aufgrund sehr dünner Beweise zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er soll vier monarchiekritische SMS-Nachrichten an einen konservativen Politiker geschickt haben.

Der Autor ist freier Journalist.

100 Tage Kriegsrecht
In den ersten 100 Tagen seit dem Militärcoup im Mai 2014 gab es nach Recherchen von Amnesty International Hunderte willkürliche Festnahmen, unfaire Verfahren vor Militärgerichten, Berichte von Folter und Misshandlungen bis hin zu Scheinhinrichtungen und eine massive Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Dadurch wird auch die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen wie der thailändischen Sektion von Amnesty stark behindert oder gar eingeschränkt. "Wir beobachten eine systematische politische Verfolgung kritischer Stimmen, durch die ein Klima der Angst geschaffen wird", sagt ­Richard Bennett, Asien-Experte von Amnesty.

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