Albtraum in Ketten

Die Sudanesin Meriam Yehya Ibrahim ist dank weltweiter Proteste wieder in Freiheit.
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Meriam Yehya Ibrahim war hochschwanger, als sie im Sudan wegen Abkehr vom islamischen Glauben zum Tode verurteilt wurde. Durch internationalen Druck, der unter anderem von Amnesty mit mehr als einer Million Appelle aufgebaut wurde, konnte die Hinrichtung verhindert werden.
Von Daniel Kreuz
Entsetzen. Empörung. Fassungslosigkeit. So reagierten wohl die meisten Menschen, als sie das erste Mal von Meriam Yehya Ibrahim erfuhren, an deren Schicksal weltweit Millionen Menschen Anteil nahmen. Denn was die 27-jährige Sudanesin durchmachen musste, klang wie eine Geschichte aus dem finstersten Mittelalter: Am 15. Mai wurde die hochschwangere Christin von einem Gericht in der Hauptstadt Khartum wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs zu hundert Peitschenhieben und wegen Abkehr vom islamischen Glauben zum Tod durch Erhängen verurteilt.
Bei der Bekanntgabe des Urteils war die Ärztin im achten Monat schwanger. Ihr erster Sohn, gerade einmal 20 Monate alt, wurde mit ihr inhaftiert. Im Gefängnis musste sie ununterbrochen Fußketten tragen.
Das Verfahren gegen sie hatte bereits im August 2013 begonnen, nachdem ein Familienangehöriger ihre Heirat mit einem Christen bei den Behörden gemeldet hatte. Derartige Eheschließungen werden nicht anerkannt, denn nach dem im Sudan geltenden islamischen Recht darf eine Muslimin keinen andersgläubigen Mann heiraten. Meriam Ibrahim wurde daraufhin wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs angeklagt.
Nach sudanesischem Recht gilt die Tochter eines muslimischen Mannes als Muslimin. Im Februar 2014 versicherte Meriam Ibrahim jedoch, dass sie Christin und keine Muslimin sei. Sie sei als orthodoxe Christin aufgewachsen, nach der Religion ihrer Mutter, weil ihr muslimischer Vater in ihrer Kindheit nicht anwesend gewesen sei. Daraufhin fügte die Staatsanwaltschaft die Anklage "Abkehr vom Glauben" hinzu, worauf die Todesstrafe steht. Nachdem Meriam Ibrahim sich geweigert hatte, ihrem Glauben abzuschwören, verhängte das Gericht in Khartum am 15. Mai das Todesurteil gegen sie.
Am 27. Mai musste sie mit Ketten an den Füßen auf der Krankenstation des Frauengefängnisses von Omdurman ihr zweites Kind zur Welt bringen. Währenddessen hatte Amnesty International damit begonnen, sich für Meriam Ibrahim einzusetzen. Innerhalb weniger Tage beteiligten sich weltweit mehr als eine Million Menschen an der Kampagne und schickten E-Mails, Briefe und Faxe an die sudanesischen Behörden. In vielen Ländern machte der Fall Schlagzeilen, auch andere Organisationen wurden aktiv. Dieser internationale Druck verhinderte die Hinrichtung und führte dazu, dass Meriam Ibrahim mit ihren beiden Kindern am 23. Juni freigelassen wurde, nachdem ein Berufungsgericht das Urteil aufgehoben hatte.
Am darauffolgenden Tag wollte Meriam Ibrahim in die USA ausreisen, zusammen mit ihren Kindern und ihrem Ehemann, der auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt. Doch etwa 40 Angehörige des Geheimdienstes NISS fingen sie ab und warfen ihr vor, gefälschte Papiere verwendet zu haben. Die Familie fand Schutz in der Botschaft der USA, deren Regierung sich bei Redaktionsschluss um die sichere Ausreise bemühte. "Einerseits will ich ausreisen, aber ein Teil von mir will bleiben", sagte Meriam Ibrahim in einem Interview. "Aber meine aktuelle Lage zwingt mich dazu, das Land zu verlassen. Jeden Tag tauchen neue Probleme auf."