Amnesty Journal Saudi-Arabien 14. Mai 2012

Der Kunde ist König

Saudi-Arabien schließt milliardenschwere Waffengeschäfte mit den USA und Europa. Auch deutsche Firmen liefern Kriegsgerät an den Golf – die kritische ­Menschenrechtslage wird von der Politik ausgeblendet.

Von Hauke Friederichs

Alle Staaten auf der Welt versuchten, ihre Bürger zu beschützen – auch an der Grenze, sagt der Mann in der khakifarbenen Uniform. Bei Datteln, süßem Gebäck und Golfkaffee kommt er schnell zur Sache: Mit der Berliner Mauer habe das neue Grenzprojekt nun wirklich nichts zu tun, versichert der hochrangige Offizier der saudi-arabischen Grenztruppe seinem Gast aus Deutschland. Die Zäune stünden nicht unter Strom, es gebe auch keine Selbstschussanlagen, sagt der General. "Wir haben nur Sensoren, Radar und Kameras." Er sitzt in einem tiefen Sessel, über ihm hängen drei Ölgemälde der saudi-arabischen Herrscher aus dem Hause Saud. Erneut versichert der General, dass die Anlage, die mit Hilfe der Deutschen errichtet werde, sich nicht von anderen Grenzsystemen unterscheide. Auch die Vereinigten Staaten hätten an der Grenze zu Mexiko einen Zaun aufgebaut.

Sein Gast, der deutsche Bundestagsabgeordnete Jan van Aken, schaut skeptisch, fragt nach. Schließlich ist der Bau einer der modernsten Grenzanlagen der Welt einer der Gründe, warum van Aken, ehemaliger Biowaffenkontrolleur der Vereinten Nationen, heute Rüstungsexperte der Linkspartei, nach Saudi-Arabien reiste. Denn die Grenzanlage wird mit deutscher Technik aufgebaut und die saudi-arabischen Grenzer werden von der deutschen Bundespolizei ausgebildet. Im Innenministerium in Riad hat sich van Aken einige Modelle der Grenze angeschaut. Zu sehen bekam er eine Grenzsicherungsanlage mit drei Lagen Stacheldraht, Fahrzeugrampen, Wachtürmen, Fahrzeugkorridoren und Bodenradaranlagen. Am nächsten Tag flog er in die Grenzregion, um sich das System vor Ort anzusehen.

In Arar, einer Stadt in der Nähe zur irakischen Grenze, traf der Politiker in einer Kaserne der Grenztruppen die deutschen Ausbilder. Einige schlichte weiße Container, die rund um einen Kasernenhof stehen, bilden das Ausbildungszentrum. Der Unterricht bestehe aus viel Theorie, es gebe aber auch praktische Übungen, sagt ein deutscher Polizist. Dazu gehöre auch der Umgang mit Waffen – aber kein Schusstraining. Deutsche Waffen verwendet der saudi-arabische Grenzschutz seit Jahren, darunter das Sturmgewehr G3 von Heckler & Koch. Zwei gekreuzte G3 zieren das Wappen des Grenzschutzes.

Errichtet wird die Grenzanlage von einem saudi-arabischen Bauunternehmen gemeinsam mit Cassidian, einer Tochter des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS. Für das Unternehmen, an dem unter anderem der deutsche Autobauer Daimler, der französische Mischkonzern Lagardère und Spanien beteiligt sind, geht es um ein Milliardengeschäft. Wie wichtig die Grenzprojekte in der Golf-Region sind, zeigt ein Blick in die Unternehmensziele von EADS für das Jahr 2012. Ein Schwerpunkt lautet: "Erfolgreiche Ausführung der Grenzsicherungsaufträge sicherstellen". 2007 erhielt EADS den Auftrag, die Grenzen Katars zu sichern. Kurz darauf folgte Saudi-Arabien. EADS hofft auf weitere Aufträge in dem Segment.

Das Projekt in Saudi-Arabien gilt als besonders ambitioniert. 2009 begannen die Bauarbeiten, in diesem Jahr soll der Nordabschnitt fertig werden. Dann wird es im Süden weitergehen, mit der Grenze zum Jemen, später folgen die Küstenabschnitte. Es geht um insgesamt 8.561 Kilometer. Der General der Grenztruppe zeigt sich begeistert von den neuen technischen Möglichkeiten: Schmuggel und illegaler Grenzverkehr würden im Norden bald der Vergangenheit angehören.

Neben dem Bodenradar könnten später im Süden auch noch Drohnen zum Einsatz kommen, berichtet ein saudi-arabischer Ingenieur. Die Saudis kauften nur das Beste, sagt ein deutscher Polizist. Geld spiele keine Rolle. Die Kritik in Deutschland an dem Projekt sei übertrieben: "Moderne Sensortechnik verletzt keine Menschenrechte."
Das Regime, das die Technik einsetzt, schon. Das berichten Amnesty International, Human Rights Watch und andere Menschenrechtsorganisationen. Der greise Monarch Abdallah bin Abdulaziz Al Saud herrscht absolut über sein feudales Reich. Er ernennt die Regierung und die Mitglieder der beratenden Versammlung. Ein Parlament gibt es nicht, Parteien und Gewerkschaften sind verboten. Mit Repressionen und großen Investitionen in die Sicherheit gelang es dem Regime bislang, den Arabischen Frühling außerhalb des Landes zu halten.

"Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist schlecht", bringt es auch das Internationale Konversionszentrum aus Bonn (BICC) auf den Punkt. "Grundlegende Menschen- und Bürgerrechte werden missachtet. Frauen werden als Bürger zweiter Klasse behandelt. Folter ist weit verbreitet, die Todesstrafe wird oft verhängt und ausgeführt. Ebenso sind harte physische Strafen (Auspeitschen, Amputationen) ein häufig benutztes Instrument des Regimes." Auch das Auswärtige Amt findet in seinem Menschenrechtsbericht eine deutliche Sprache: "Dissidenten werden inhaftiert, Geständnisse erzwungen, Frauen werden wesentliche Menschenrechte vorenthalten, minderjährige Mädchen zwangsverheiratet, freie Meinungsäußerung ist nur teilweise möglich, die Religionsausübung für nicht-muslimische Religionen verboten, die schiitische Minderheit im Osten des Landes wird diskriminiert und ausländische Arbeitnehmer sind weitgehend rechtlos."

Die Bundesregierung lässt umfangreiche Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien zu, obwohl die "Politischen Grundsätze" zu Rüstungsexporten – im Jahr 2000 von Rot-Grün erlassen und bis heute gültig – den Menschenrechten eine gewichtige Rolle einräumen: "Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden."

Grüne und Linkspartei beantragten im Bundestag im vergangenen Jahr, dass keine Waffen mehr nach Saudi-Arabien exportiert werden sollen. Denn Saudi-Arabien liegt außerdem in einem "Spannungsgebiet", in das nach den Politischen Grundsätzen ebenfalls nicht geliefert werden soll. Im Nachbarland Bahrain protestierten während des Arabischen Frühlings Tausende gegen das Regime. Mit Hilfe saudi-arabischer Truppen wurden die Proteste niedergeschlagen – die Saudis setzten dabei unter anderem amerikanische M-60-Panzer ein. Und auch im Jemen griff die saudi-arabische Armee in innere Unruhen ein: Sie kämpfte auf Seiten der Zentralregierung in Sanaa gegen den Clan der Huthi, die mit Waffen für mehr Autonomie stritten. Auch dabei sollen die Saudis im Westen gekaufte Rüstungsgüter eingesetzt haben.

Der zerfallende Jemen und auch Irak unter Saddam Hussein dienten den Saudis jahrelang als Rechtfertigung für ihre massive Aufrüstung. Heute nennt Saudi-Arabien vor allem das iranische Nuklearprogramm als Grund für seine Waffenkäufe. Um ein Gegengewicht zum Mullah-Regime in Teheran zu schaffen, unterstützen die Amerikaner und ihre europäischen Verbündeten die Regierung in Riad bei deren ambitionierten Aufrüstungsplänen.

Dabei gelten die saudi-arabischen Streitkräfte bereits heute als hochgerüstet und der gesamte Nahe Osten als eine der am stärksten militarisierten Regionen der Welt. Ein Wettrüsten läuft nicht nur zwischen dem schiitischen Iran und den mehrheitlich sunnitischen Staaten des Golf-Rates – auch Israel investiert Milliarden in neue Waffensysteme. Der Irak, der unter Saddam Hussein ebenfalls gigantische Summen für Kriegsgerät ausgab, beginnt nun ebenfalls wieder bei den Rüstungsschmieden der USA einzukaufen. Ägypten, das auch nach der Absetzung von Mubarak weiterhin von den Vereinigten Staaten jährlich einen großen Betrag als Militärhilfe erhält, wird nicht ins Hintertreffen geraten wollen. Die Rüstungsspirale im Nahen Osten dreht sich munter weiter.

Und Dank der sprudelnden Erdölquellen kann der saudi-arabische König Milliarden in teure Waffensysteme investieren. Einkäufer aus Saudi-Arabien gehören auf den Rüstungsmessen in London, Paris oder Abu Dhabi zu den begehrtesten Gesprächspartnern. Denn die Nato-Mitglieder geben immer weniger Geld für neue Waffensysteme aus. Den westlichen Staaten setzt die Finanzkrise zu. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Deutschland senken die Wehretats. Diesen Einbruch im Rüstungsgeschäft gleichen andere Kunden aus: Schwellenländer – vor allem die in Asien – gelten bei den Waffenherstellern als neue Hot-Spots. Alle großen Rüstungsschmieden unterhalten in den Golfstaaten eigene Niederlassungen.

Besonders erfolgreich warben die US-Waffenhersteller für ihre Produkte. 2010 verkündete das Königreich, seine Luftwaffe mit 84 amerikanischen F-15-Kampfjets für rund 30 Milliarden US-Dollar erweitern zu wollen. Alte Flugzeuge sollen modernisiert werden. Dazu kommen 72 Hubschrauber vom Typ Black­hawk und 36 vom Typ Little Bird. Außerdem orderte Saudi-Arabien in den USA umfangreiche Radartechnik und Raketen. Das gesamte Kriegsgerät wird zusammen mindestens 60 Milliarden US-Dollar kosten. US-Präsident Obama bestätigte den Deal Ende 2011 – auch der Kongress hat zugestimmt. Der amerikanische Rüstungskonzern Lockheed verkündete jüngst zudem, dass Saudi-Arabien Interesse am Kauf von Kriegsschiffen signalisiert habe. Es gehe um bis zu 20 Milliarden Dollar.

Von solchen großen Geschäftsabschlüssen träumt auch die deutsche Wehr- und Sicherheitsindustrie, wie die Branche sich selber nennt. Sie setzt immer stärker auf den Export. Deutschland rückte hinter den USA und Russland auf Platz drei der größten Rüstungsexporteure vor, errechnete das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI. Neun Prozent der weltweit ausgeführten Großwaffensysteme sind "Made in Germany". ­Besonders im Fahrzeugbau sind deutsche Waffenschmieden ­erfolgreich. Im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass Riad mit der deutschen Rüstungsschmiede Krauss-Maffei Wegmann über die Lieferung von 270 Kampfpanzern des Typs Leopard 2 A7+ verhandelt. Dabei verfügt das Land bereits über 910 schwere Kampfpanzer überwiegend aus amerikanischer Produktion, von denen 345 eingelagert sind. Auch andere deutsche Firmen profitieren vom Rüstungswahn am Golf: Heckler & Koch verkaufte den Saudis eine Lizenz für den Nachbau des Sturmgewehres G36 und half beim Aufbau der Produktion.

Und für EADS gehört Saudi-Arabien nicht nur wegen der Grenzanlage zu den wichtigsten Kunden. Das Königreich ist das einzige Land außerhalb Europas, das den Kampfjet Eurofighter Typhoon gekauft hat. 72 Maschinen bestellte das Land insgesamt beim Eurofighter-Konsortium, zu dem auch Europas größtes Rüstungsunternehmen gehört, BAE Systems aus Großbritannien. Die Saudis orderten zudem bei der EADS-Tochter Airbus sechs Militärtransportflugzeuge. Und sie schafften zudem das Luftaufklärungssystem Luna der deutschen Firma EMT an, das auch bei der Bundeswehr im Einsatz ist. Die Bundeswehr unterstützte den Export: Drei deutsche Soldaten wurden nach Saudi-Arabien entsandt, um "Ausbildungsunterstützung" für die "Erst­inbetriebnahme" zu leisten, teilte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen mit.

Als Ausbildungsunterstützung läuft auch der Einsatz der Bundespolizisten in Arar. Einen direkten Zusammenhang mit dem Milliardendeal von EADS sieht die Bundesregierung nicht. Man helfe einem wichtigen Verbündeten in der Region bei der Modernisierung seiner Grenztruppe. Ohne die deutschen Ausbilder hätten sich die Saudis jedoch nicht für das Angebot von EADS entschieden, heißt es in Riad. Mit dem Projektverlauf sind die Auftraggeber sehr zufrieden. Im Untergeschoss des Innenministeriums in Riad hängen Urkunden von EADS für saudi-arabische Kursteilnehmer an den Wänden und Fotos von Delegationen, die Deutschland besucht haben.

Die Offiziere des Grenzschutzes und Beamte des Innenministeriums bringen Jan van Aken schließlich von der Kaserne aus zur Grenze. Auf einer staubigen Straße geht es durch die Wüste. Die kleine Kolonne hält an einem der neu errichteten Überwachungszentren. Der Grenzschutz präsentiert dort einen großen Kontrollraum voller Bildschirme. Damit ließe sich auch eine deutsche Großstadt managen, sagt ein Polizist. Streckenweise funktioniere die Überwachung bereits. Ein Mitarbeiter des Innenministeriums berichtet, dass jüngst Alarm ausgelöst wurde. Auf den Bildschirmen im Kontrollzentrum in der Nähe der Grenze tauchte jedoch nicht das Bild eines Schmugglers auf, sondern das eines Hasen. Die Saudis ließen ihn laufen.

Der Autor ist Journalist und lebt in Hamburg.

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