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Abends Folter
Die "Asyl-Monologe" der Bühne für Menschenrechte geben den Opfern von Menschenrechtsverletzungen eine Stimme.
Von Georg Kasch
Es gibt Sätze, die wirken wie Stromschläge. Sätze wie diese: "Tagsüber waren wir in einem normalen Gefängnis. Die Folter war eher abends." So beiläufig, so banal kommt das Grauen oft in Safiyes Erzählung daher. Die 1970 geborene Kurdin verbrachte elf Jahre in türkischen Gefängnissen, weil sie sich politisch engagierte. Nach ihrer Entlassung floh sie zu Verwandten nach Deutschland, aus Angst, wieder festgenommen zu werden. Hier begann ein neues Bangen, Warten, Eingesperrtsein.
Von Safiyes langem Weg bis zur Anerkennung als politisch Verfolgte erzählen die "Asyl-Monologe", ein dokumentarisches Theaterprojekt der Bühne für Menschenrechte. Deshalb sitzt vorne auf der kahlen Bühne nicht Safiye selbst, sondern die blonde Schauspielerin Meri Koivisto. Obwohl sie Safiyes Geschichte vom Blatt liest und nahezu akzentfrei spricht, verschmilzt sie mit ihrer Rolle – und bleibt doch Herrin des Geschehens. So spricht sie den Satz "Das interessiert uns nicht" knapp, kühl, leise – ein Urteil, gerade in seiner Untertreibung vernichtend. Ein Urteil auch, das symptomatisch ist für eine Bürokratie, die sich stärker für Zahlen interessiert als für Gesichter.
Die "Asyl-Monologe" sind das erste Projekt der Bühne für Menschenrechte, die ein deutschlandweites Netzwerk an Schauspielern aufbauen will. Sie sollen von jenen erzählen, deren Menschenrechte verletzt werden und die als Minderheiten Unterdrückung erleben. Und zwar als Dokumentartheater: "Darunter verstehe ich, die Worte zu hören, mit denen die Geschichte erzählt worden ist", sagt Bühnengründer Michael Ruf. Im vergangenen Jahr haben er und seine Mitstreiter Interviews mit Menschen aus Togo, Burkina Faso, Tschetschenien und anderen Ländern geführt. Aus diesem Pool wählten sie die stärksten Geschichten aus und verdichteten sie zu einem Protokoll. Neben Safiye kommen zwei weitere Asylsuchende zu Wort: Ali, ein togolesischer Oppositioneller aus Hamburg, und Felleke aus Coburg, der aus Äthiopien stammt und erfolgreich gegen mehrere Abschiebeversuche gekämpft hat. Wichtig war Ruf beim Zusammenstellen der Texte, dass die Spontaneität des sprachlichen Ausdrucks erhalten blieb, deshalb wurden die Fassungen mit den Interviewpartnern abgestimmt.
Angeregt wurde der Filmregisseur und -dramaturg zur Bühnengründung, als er in Großbritannien eine Vorstellung der "Actors for Human Rights" (Schauspieler für Menschenrechte) erlebte. Nach der Vorstellung kam er mit der Gründerin Christine Bacon ins Gespräch: "Ich war erstaunt, wie effektiv dieses Theater war, wie viel mit wenigen Mitteln erreicht wurde." Innerhalb von wenigen Jahren haben sich die "Actors for Human Rights" zu einem Netzwerk von über 600 Schauspielern und Musikern entwickelt, das politische Zusammenhänge durch individuelle Geschichten vermittelt. Mit ihren neun Produktionen haben sie bislang mehrere zehntausend Zuschauer erreicht.
Das Konzept soll jetzt auch in Deutschland funktionieren: überschaubarer Aufwand, große Wirkung. Bei der Generalprobe im Audimax der Berliner Alice-Salomon-Hochschule kommt Safiyes Geschichte mit nur zwei Stühlen – für die Schauspielerin und eine Musikerin – sowie etwas Licht aus. Das reicht, um ein intensives, oft schmerzliches, aber für Momente auch erstaunlich komisches und warm-menschliches Kopfkino anzuwerfen. Unter dem guten Dutzend Studierenden wird es sehr still, als Koivisto von Safiyes Zeit im Asylbewerberheim erzählt: "Ich hab’ gesagt: 'Hier ist es genauso wie im Gefängnis. Und ich hab Angst vor diesem Zaun, vor diesem eisernen Zaun. Und ihr macht mir psychischen Druck.' Ich hab’ eine Übersetzerin organisiert und sie hat das gesagt. Sie haben gesagt: 'Das interessiert uns nicht.'"
Geschickt schlüpft Koivisto in die Rolle von Safiye, spricht leise, zurückhaltend. Oft schaut sie das Publikum an, blickt nachdenklich in die Ferne, deutet hin und wieder ein Lächeln an, wenn sie von etwas Erfreulichem berichtet. Koivisto stammt aus Finnland und manchmal, selten, hört man bei einigen Worten ein leichtes Stolpern, ein Zögern – ein schöner Effekt, weil hier die Fremdheit in einer anderen Kultur, einem neuen Leben deutlich wird, ohne die Geschichte mit einer "echten" Kurdin zu bebildern. Auch die Musik verfremdet, reflektiert, setzt Zäsuren – es sind kurze, oft dissonante Miniaturen von Michael Edwards, die Katja Kerstiens ihrem Cello abtrotzt.
Die "Asyl-Monologe" sind Dokumentartheater. Das ist wieder salonfähig geworden, seit die Performance-Truppe Rimini Protokoll vor einigen Jahren die deutschen Bühnen eroberte. Plötzlich hatte der Begriff, den man mit zeitgeschichtlich wichtigen, aber ästhetisch überholt wirkenden Stücken wie Rolf Hochhuths "Der Stellvertreter" oder Heinar Kippardts "In der Sache J. Robert Oppenheimer" verband, allen Staub verloren. Auch politisch wird das Dokumentartheater wieder gefüllt, wobei der erhobene Zeigefinger in Arbeiten von Regisseuren wie Hans-Werner Kroesinger und Clemens Bechtel unten bleibt – hier spricht die Macht des Faktischen, ohne das Pathos des Rechthabens.
Die "Asyl-Monologe" erzählen aus höchst subjektiven Blickwinkeln Etliches über die jeweiligen Herkunftsgesellschaften, aber mehr noch über unser Land. Die Befragung bei der Behörde, die für Asylanträge zuständig ist, erinnert Safiye an ein Verhör: "Was mich gewundert hat, das waren diese langen und unterschiedlich wechselnden Fragen über das Gefängnis. Sie haben immer wieder Fragen gestellt, die gleichen Fragen. Als ob ich lüge, als ob ich die wahre Information nicht gebe. Sie haben immer wieder die Sätze verändert und mit unterschiedlichen Worten gefragt. Es war mir nicht bewusst, dass sie Widersprüche herausfinden wollten." Ihr Asyl-Antrag wird zunächst abgelehnt, unter anderem weil es Zweifel gab an der korrekten Beschreibung der Bomben, die auf das Gefängnis abgefeuert wurden, in dem Safiye saß – als ob sich jemand in dieser Situation auf solche Details konzentrieren würde. Dass Safiyes Geschichte ein leises Happy End besitzt, nimmt ihr nichts von ihrer Wucht.
Mit den drei "Asyl-Monologen" hat die Bühne für Menschenrechte Ende Mai in Münster und Köln Premiere gefeiert. Seitdem wurde das Stück in Berlin, München und Freiburg gezeigt. Noch aber fehlt es an Kooperationspartnern – und an Geld. Das Projekt finanziert sich über Spenden, es gibt eine Anschubförderung von drei kleinen Stiftungen, weitere Förderanträge laufen. "Meine Hoffnung ist, dass das Projekt bald professionalisiert werden kann", sagt Ruf. Die "Actors for Human Rights" haben zweieinhalb feste Stellen – ein Luxus, von dem Ruf im Moment nur träumen kann. Zwar braucht es nur wenig, um die "Asyl-Monologe" aufzuführen, doch muss man Honorare zahlen und einen Ort organisieren, damit die Erlebnisse der Interview-Partner gehört werden können. "Wir wollen ja bewusst nicht nur in die Theater, sondern auch in Gemeindezentren und Kirchen, also überall dorthin, wo wir Menschen erreichen", sagt Ruf. "Wir wollen auch die Leute gewinnen, die nicht den klassischen Vortrag besuchen oder einen entsprechenden Text lesen."
www.buehne-fuer-menschenrechte.de
Der Autor ist Theaterkritiker und lebt in Berlin.