Amnesty Journal Irland 20. September 2010

Ein Modell für alle

Seit 2005 untersucht in Irland eine unabhängige Kommission Anzeigen
gegen Polizeibeamte. Sie gilt europaweit als vorbildlich.

Von Alexander Bosch

Ein 39-jähriger Mann osteuropäischer Herkunft wird Anfang Juni in Dublin festgenommen und stirbt wenig später auf einer Polizeiwache. Sofort beginnt eine unabhängige Kommission zu ermitteln. Sie veröffentlicht noch am selben Tag eine Presseerklärung, in der sie den Vorfall beschreibt und eine eigene Untersuchung ankündigt. Wenn bei einem Polizeieinsatz Personen schwer verletzt werden oder gar zu Tode kommen, schaltet sich die "Irish Garda Ombudsman Commission (IGOC)" automatisch ein. Ein Vorgang, der in Deutschland bislang nicht vorstellbar ist. In Irland ist er längst alltäglich.

Die Untersuchungskommission wurde 2005 in Irland eingerichtet, um alle Beschwerden gegen Polizisten zu überprüfen. In dem Gremium arbeiten so genannte "Commissioners", die vom Präsidenten ernannt und vom Obersten Gerichtshof überwacht werden. Keiner von ihnen darf über ein aktuelles Parlamentsmandat verfügen oder im Polizeidienst stehen. Unterstützt werden sie durch eine eigene Verwaltung und ein eigenes Ermittlungsteam. Die Kommission soll Bürgerbeschwerden gegen die Polizei untersuchen, aber auch selbst Untersuchungen initiieren, wenn sie dies für erforderlich hält. Außerdem überprüft sie polizeiliche Verordnungen und Verfahrensweisen.

Die Kommission ermittelt nicht immer autonom, sondern greift je nach Schwere des Falls auch auf polizeiliche Untersuchungen zurück. Bei minderschweren Fällen untersucht die Kommission die Vorfälle selbst und verfasst anschließend einen Bericht für die zuständige Polizeistelle, die dann gegebenenfalls disziplinarische Maßnahmen ergreift. Liegen schwere Vorwürfe vor, verfügt das Ermittlungsteam der Kommission über alle polizeilichen Befugnisse, wie Spurensicherung, Verhöre oder Festnahmen. Nur wenn eine Polizeidienststelle durchsucht werden soll, ist eine gesonderte Erlaubnis erforderlich. Bei strafrechtlich relevanten Fällen werden die Untersuchungsergebnisse der Staatsanwaltschaft übermittelt.

In der Öffentlichkeit genießt die Behörde hohe Zustimmungswerte, und auch wenn die Polizei ihr noch kritisch gegenübersteht, so wird sie doch selbst dort zunehmend akzeptiert. Im vergangenen Jahr gingen bei der Kommission rund 2.000 Beschwerden ein.

Dass die Arbeit der IGOC wegweisend ist, wird deutlich, wenn man sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ansieht. Er hat immer wieder betont, dass alle Vorwürfe wegen polizeilicher Misshandlung unabhängig untersucht werden müssen. Das gleiche gilt, wenn eine Person im Polizeigewahrsam ums Leben kommt.

Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, hat die Arbeit der Kommission daher unlängst als vorbildlich bezeichnet. Entsprechend empfiehlt auch er unabhängige Gremien einzuführen. Denn, wenn Polizisten gegen Kollegen ermitteln, können die Ergebnisse fehlerhaft sein. Die Untersuchungen sollten nicht nur unmittelbar, umfassend, unabhängig und unparteiisch sein, sondern auch der öffentlichen Kontrolle unterliegen und die Opfer einbeziehen. Zudem sollte ein solches Gremium institutionell unabhängig von der Polizei und der Staatsanwaltschaft agieren und in der Lage sein, auch strukturelle Defizite zu untersuchen und Empfehlungen auszusprechen.

Amnesty International fordert schon seit langem einen solchen Untersuchungsmechanismus auch für Deutschland, bislang jedoch ohne Erfolg. Dass diese Forderung alles andere als utopisch ist, zeigt nicht nur das Beispiel Irland. In zahlreichen Ländern existieren bereits unabhängige Untersuchungsmechanismen, die Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen ­gegen Polizisten überprüfen. So gibt es in Australien, Belgien, ­Irland, Kanada, Südafrika und in Großbritannien unabhängige Untersuchungskommissionen speziell zur Überwachung der ­Polizei. Und in Frankreich, Portugal sowie den Niederlanden wurden ebenfalls unabhängige Untersuchungskommissionen eingeführt, damit öffentliche Einrichtungen besser kontrolliert werden können.

Der Autor ist Sprecher der Amnesty-Themengruppe Polizei und ­Menschenrechte.

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