Amnesty Journal Japan 27. Mai 2014

Lebenslänglich Todesstrafe

Später Sieg. Hakamada (links) mit seiner Schwester Hideko bei einem Treffen der japanischen Anwaltskammer.

Später Sieg. Hakamada (links) mit seiner Schwester Hideko bei einem Treffen der japanischen Anwaltskammer.

Fast ein halbes Jahrhundert saß er unschuldig in der Todes­zelle: Als der japanische Boxer Iwao Hakamada wegen Mord­verdachts verhaftet wurde, gingen die Beatles noch auf Welttournee und der deutsche Bundeskanzler hieß Ludwig Erhard. 45 Jahre musste Hakamada täglich mit seiner Hinrichtung rechnen, nun wurde der 78-Jährige auf freien Fuß gesetzt.

Von Ramin M. Nowzad

Iwao Hakamada war einst ein aufstrebender Profiboxer. Im ­Japan der fünfziger Jahre sorgte der drahtige junge Mann im Federgewicht für Aufsehen. Heute findet sich sein Name im Guinness-Buch der Rekorde – doch nicht wegen seiner sportlichen Triumphe: Hakamada saß 45 Jahre in einer Todeszelle, ein trauriger Weltrekord. Er soll 1966 eine Familie ausgeraubt und ermordet haben. Dabei spricht alles dafür, dass der heute 78-Jährige unschuldig ist, neue DNA-Tests entlasten ihn eindeutig. Nun hat der Fall eine überraschende Wende erfahren: Das Bezirksgericht im zentraljapanischen Shizuoka entschied am 27. März, dass der Prozess neu aufgerollt werden müsse. Richter Hiroaki Murayama deutete in seiner Urteilsbegründung an, was Hakamadas Unterstützer schon seit jeher vermuten:
Die Ermittler hatten im Jahr 1968 womöglich zentrale Beweisstücke gefälscht, um den Kriminalfall, der ganz Japan schockierte, schnell zum Abschluss zu bringen.

Iwao Hakamada durfte seine Todeszelle noch am selben
Tag verlassen. Schwer gezeichnet humpelte der Greis aus dem Tokioter Hochsicherheitsgefängnis, wo er in den vergangenen Jahrzehnten täglich damit rechnen musste, den nächsten Morgen nicht mehr zu erleben. Todeskandidaten erfahren in Japan nicht, wann man sie hinrichten wird. Amnesty spricht von "psychischer Folter".

Hakamadas Fall dürfte als einer der größten Justizskandale Japans in die Geschichtsbücher eingehen. Nachdem Iwao Hakamada seine Boxkarriere Anfang der sechziger Jahre beendet hatte, heuerte er in einer Fabrik an, die Sojapaste herstellte. Im Haus des Fabrikdirektors wohnte er zur Untermiete. Dann kam der Tag, der sein Leben für immer verändern sollte: Am 30. Juli 1966 brannte das Haus seines Chefs ab, am nächsten Morgen entdeckten die Polizisten in den Trümmern vier verkohlte Leichen – den Direktor, seine Frau und deren beiden Kinder. Alle vier waren erstochen worden. Weil auch Bargeld entwendet worden war, geriet der hochverschuldete Hakamada rasch ins Visier der Ermittler.

Was folgte, wirft ein grelles Licht auf die Schattenseiten des japanischen Rechtssystems: In dem Inselstaat werden mehr als 99 Prozent aller Angeklagten verurteilt. Experten kritisieren, dass sich die Justiz dabei zu stark auf Geständnisse verlässt, die unter zweifelhaften Umständen zustande gekommen sind. So auch im Fall Hakamadas: Ermittler verhörten ihn 23 Tage lang, bis zu 16 Stunden täglich. Sie verweigerten ihm Schlaf, zudem soll er immer wieder geschlagen worden sein. Zum Schluss war der Druck zu groß: Hakamada unterschrieb ein ­vorformuliertes Geständnis. Er widerrief es schon am nächsten Tag, doch das schien die Richter nicht mehr zu interessieren: Hakamada wurde zum Tode durch den Strang verurteilt.
Nun ist der 78-Jährige wieder in Freiheit, aber bangen muss er noch immer: Die Staatsanwaltschaft hat gegen seine Freilassung Rechtsmittel eingelegt. Sie sieht in ihm einen Mörder. Trotz aller Gegenbeweise.

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