Amnesty Report Frankreich 23. Mai 2018

Frankreich 2017/18

Report Cover 17/18

Der 2015 verhängte Ausnahmezustand wurde im Spätherbst 2017 aufgehoben. Ein neues Gesetz erweiterte die Befugnisse der Behörden, Antiterrormaßnahmen zu ergreifen, die nur vage begründet sein müssen und keiner vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Afghanische Asylsuchende wurden nach wie vor unter Verstoß des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement-Prinzip) in ihr Herkunftsland abgeschoben. Es trat ein neues Gesetz in Kraft, das Großunternehmen zu Wachsamkeit verpflichtet, was ihre geschäftlichen Aktivitäten angeht.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Im Juli 2017 billigte das Parlament den Vorschlag der Regierung, den Ausnahmezustand, der seit den Anschlägen in Paris am 13. November 2015 in Kraft war, noch einmal – bis zum 1. November – zu verlängern und ihn dann zu beenden. 

Im Oktober 2017 verabschiedete das Parlament einen Gesetzentwurf der Regierung, der Antiterrormaßnahmen in die allgemeine Gesetzgebung überführte. Der Innenminister und die Präfekten erhielten größere Befugnisse, um Verwaltungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn die Beweislage für ein Strafverfahren gegen eine Person nicht ausreichte. Die Maßnahmen umfassten Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Hausdurchsuchungen, die Schließung von Gotteshäusern und die Einrichtung von Sicherheitszonen, in denen die Polizei erweiterte Kontroll- und Durchsuchungsbefugnisse besaß. Nur für Durchsuchungen benötigen die Präfekten einen richterlichen Beschluss. 

Die UN-Sonderberichterstatterin über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus hatte im September Bedenken geäußert, dass der Begriff "Bedrohung der nationalen Sicherheit" in dem Gesetzentwurf sehr vage definiert sei und damit Notmaßnahmen in allgemeines Recht umgewandelt würden. 

Recht auf Versammlungsfreiheit

Auch 2017 schränkten die Präfekten das Recht auf Versammlungsfreiheit unter Verweis auf den Ausnahmezustand ein. In Dutzenden von Fällen ergriffen sie Maßnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit und verhinderten damit, dass bestimmte Personen an öffentlichen Versammlungen teilnehmen konnten. Die Maßnahmen wurden mit vagen Begründungen verhängt und auch gegen Personen, bei denen es keinen ersichtlichen Bezug zu terroristischen Straftaten gab. Nach der mutmaßlichen Vergewaltigung eines jungen Mannes durch einen Polizisten am 2. Februar 2017 verhängten die Präfekten 17 Maßnahmen, um Personen von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen abzuhalten, auf denen gefordert wurde, die Verantwortlichen der Polizei zur Rechenschaft zu ziehen. Der Polizeipräfekt von Paris verhängte zehn Maßnahmen, um Menschen daran zu hindern, an der Kundgebung zum 1. Mai teilzunehmen. 

Am 5. Januar 2017 wurde gegen einen Polizisten Anklage erhoben, der den Protestierenden Laurent Théron 2016 mit einem Gummigeschoss so schwer verletzt hatte, dass dieser auf einem Auge erblindet war. Das Verfahren gegen den Polizisten war Ende des Jahres noch nicht beendet. Die Ermittlungen zur mutmaßlichen exzessiven Gewaltanwendung gegen zahlreiche Protestierende bei Kundgebungen gegen die Reform des Arbeitsrechts im Jahr 2016 waren Ende 2017 noch nicht abgeschlossen.

Im März 2017 trat ein neues Gesetz über Waffeneinsatz und Gewaltanwendung der Polizei in Kraft, das bestimmte Waffen wie z. B. Gummi- oder Plastikgeschosse erlaubte. Die Regelung, in welchen Situationen der Einsatz dieser Waffen erlaubt war, stimmte nicht vollständig mit internationalen Standards überein.

Im Juni 2017 entschied das Verfassungsgericht, dass die Notstandsmaßnahme, die es Präfekten ermöglichte, die Bewegungsfreiheit einer Person einzuschränken, verfassungswidrig sei. Dennoch nahm das Parlament diese Maßnahme im Juli in das Gesetz auf, mit dem der Ausnahmezustand verlängert wurde. Vom 16. Juli bis zum 30. Oktober verhängten die Präfekten diese Maßnahme 37-mal.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Im ersten Halbjahr 2017 griffen die Behörden des Departement Alpes-Maritimes 28000 Flüchtlinge und Migranten auf, die aus Italien über die Grenze gekommen waren. 95 % von ihnen, darunter unbegleitete Minderjährige, wurden nach Italien zurückgeschickt, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, in Frankreich Asyl zu beantragen. 

Im Zeitraum Januar bis August 2017 brachten die Behörden 1600 afghanische Flüchtlinge in Haftzentren, um sie von dort aus entweder in ihr Heimatland abzuschieben oder in den EU-Mitgliedstaat zu überstellen, den sie zuerst betreten hatten und der gemäß der Dublin-III-Verordnung für das Asylverfahren zuständig ist. Nach Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen wurden im gleichen Zeitraum etwa 300 Afghanen in andere EU-Mitgliedstaaten gebracht und mindestens zehn nach Afghanistan abgeschoben. 2016 hatten die französischen Behörden 640 afghanische Staatsangehörige in ihr Herkunftsland abgeschoben. Angesichts der prekären Sicherheits- und Menschenrechtslage in Afghanistan verstießen alle Rückführungen in dieses Land gegen den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement-Prinzip), wonach niemand in ein Land abgeschoben werden darf, in dem ihm Menschenrechtsverletzungen drohen. 

Nach der Räumung der als "Dschungel von Calais" bekannten informellen Siedlung im November 2016 ergriffen die Behörden Strafmaßnahmen gegen Hunderte von Migranten und Flüchtlingen, die wieder nach Calais zurückkehrten. Die Polizei verstärkte ihre Kontroll- und Durchsuchungsmaßnahmen, was Anlass zur Besorgnis bot, dass sie Persönlichkeitsprofile nach ethnischen Kriterien erstellen könnte. Im März verbot die Stadtverwaltung von Calais humanitären Organisationen die Verteilung von Mahlzeiten an Migranten und Asylsuchende in der Stadt. Ende des Monats urteilte ein Gericht, die Entscheidung komme unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleich, und setzte sie aus. Die Stadtverwaltung weigerte sich, den Gerichtsbeschluss vollständig umzusetzen, und erlaubte lediglich die Verteilung einer Mahlzeit pro Tag. Im Juni äußerte sich die Ombudsperson besorgt über die Menschenrechtsverletzungen an Migranten und Asylsuchenden in Calais und forderte die Behörden auf, die sozialen und wirtschaftlichen Rechte der Betroffenen sicherzustellen, sie vor allem mit Trinkwasser und angemessenen Unterbringungsmöglichkeiten zu versorgen und ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Asylantrag in Frankreich zu stellen. 

Auch 2017 wurden Bürger, die Flüchtlingen und Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus bei der Einreise halfen oder sie während ihres Aufenthalts in Frankreich unterstützten, indem sie ihnen z. B. Lebensmittel zukommen ließen oder Unterkunft boten, strafrechtlich verfolgt und vor Gericht gestellt. Im August verurteilte ein Berufungsgericht den an der französisch-italienischen Grenze lebenden Bauern Cédric Herrou zu einer Bewährungsstrafe von vier Monaten, weil er Migranten und Flüchtlingen beim Grenzübertritt geholfen und ihnen Unterkunft gewährt hatte.

Diskriminierung

Im Januar 2017 trat ein Gesetz in Kraft, mit dem das seit 2014 geltende Räumungsmoratorium in den Wintermonaten auch auf informelle Siedlungen ausgeweitet wurde. Die Behörden nahmen dennoch rechtswidrige Zwangsräumungen vor, die vor allem Roma-Migranten galten. Nach Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen waren davon allein in der ersten Jahreshälfte 2689 Menschen betroffen. 

Am 14. März 2017 schwächte der Europäische Gerichtshof das Recht muslimischer Frauen auf Nichtdiskriminierung ab, indem er einem französischen Arbeitgeber recht gab, der eine Frau entlassen hatte, weil sie am Arbeitsplatz ein Kopftuch getragen hatte. Nach Ansicht der Richter stellte die Entlassung keine unmittelbare Diskriminierung im Sinne der entsprechenden EU-Richtlinie dar.

Unternehmensverantwortung

Im März 2017 trat ein Gesetz in Kraft, das Großunternehmen verpflichtet sicherzustellen, dass ihre geschäftlichen Aktivitäten und die ihrer Tochtergesellschaften und Geschäftspartner keine schweren Menschenrechtsverstöße und Umweltschäden verursachen. Um dies zu gewährleisten, müssen sie einen entsprechenden Plan erstellen und umsetzen. Bei Menschenrechtsverstößen, die darauf zurückzuführen sind, dass das Gesetz nicht eingehalten wurde, können die Opfer vor einem französischen Gericht auf Schadenersatz klagen.

Waffenhandel

Die Regierung genehmigte auch 2017 die Lieferung von Waffen an Staaten, bei denen die Möglichkeit bestand, dass sie mit ihnen schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht verüben würden. Die Regierung erlaubte weiterhin Waffenverkäufe an Ägypten und andere Mitglieder der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition im Jemen.

Im Mai 2017 empfahl der Senat den Streitkräften, bewaffnete Drohnen einzusetzen, um die Wirksamkeit militärischer Operationen zu erhöhen. Die Verteidigungsministerin bestätigte, dass es konkrete Pläne gebe, diese Waffen von 2019 an einzusetzen. Bis dahin müssten die Behörden jedoch noch eindeutige Richtlinien für deren Verwendung und Weitergabe ausarbeiten.

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