Amnesty Report Usbekistan 21. Mai 2017

Usbekistan 2017

Amnesty Report 2016 / 2017

In den Hafteinrichtungen und Gefängnissen des Landes war Folter nach wie vor an der Tagesordnung. Die Behörden sorgten dafür, dass Hunderte Personen, die sie verdächtigten, kriminellen Aktivitäten nachzugehen, in Opposition zur Regierung zu stehen oder eine Bedrohung der nationalen Sicherheit darzustellen, aus dem Ausland nach Usbekistan zurückkehrten. Teilweise geschah dies durch geheime rechtswidrige Überstellungen. Nach ihrer Rückkehr liefen die Betroffenen Gefahr, gefoltert zu werden. Zwangsarbeit war weit verbreitet. Die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit blieben weiter stark eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger waren nach wie vor routinemäßig Schikanen und gewaltsamen Angriffen ausgesetzt.

HINTERGRUND

Am 2. September 2016 starb Präsident Islom Karimov, der das Amt 27 Jahre lang innehatte. Die Behörden kontrollierten sämtliche Informationen in Bezug auf seinen Tod und nutzten soziale Medien für fortgesetzte Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Medien, die die Menschenrechtsbilanz des verstorbenen Präsidenten kritisch bewerteten.

Ministerpräsident Shavkat Mirziyoyev führte das Land ab September 2016 als Interimspräsident und gewann am 4. Dezember die Präsidentschaftswahl.

FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN

Die Behörden wiesen Berichte über systematische Folter und andere Misshandlungen durch Staatbedienstete mit Polizeibefugnissen nach wie vor kategorisch zurück. Im Oktober 2016 erklärte der Direktor des Nationalen Zentrums für Menschenrechte, die Foltervorwürfe beruhten auf fingierten Beweisen und seien "eindeutig als Mittel der Falschinformation gedacht", um "unangemessenen Druck" auf Usbekistan auszuüben.

Menschenrechtsverteidiger, frühere Gefangene sowie Angehörige von Inhaftierten lieferten nach wie vor glaubwürdige Informationen darüber, dass Polizei und Angehörige des Nationalen Sicherheitsdienstes (SNB) routinemäßig Folter einsetzten, um Verdächtige, Untersuchungshäftlinge und Strafgefangene zu zwingen, Straftaten zu "gestehen" oder andere Personen zu belasten.

Nach wie vor ignorierten Richter Vorwürfe, die Folter und andere Misshandlungen betrafen, bzw. wiesen diese als unbegründet zurück, selbst dann, wenn glaubhafte Beweise vorlagen.

Im Februar 2016 sprach das Strafgericht der Region Dschizak den Fischzüchter Aramais Avakian und vier weitere Angeklagte wegen Planung von Aktivitäten, die sich gegen die Verfassung richteten, und Mitgliedschaft in einer "extremistischen Organisation" schuldig und verurteilte sie zu Haftstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren. Aramais Avakian bestritt die Vorwürfe vehement und erklärte vor Gericht, er sei von Angehörigen des SNB entführt, einen Monat lang ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten, gefoltert und zu "Geständnissen" gezwungen worden. Man habe ihm dabei mehrere Rippen gebrochen und ihm Elektroschocks versetzt. Mehrere Zeugen der Anklage gaben vor Gericht an, sie seien von SNB-Angehörigen inhaftiert und gefoltert worden mit dem Ziel, Aramais Avakian und seine Mitangeklagten zu belasten. Während der Berufungsverhandlung im März 2016 sagte der Mitangeklagte Furkat Dzhuraev dem Richter, er sei ebenfalls gefoltert worden. Doch sowohl die Richter des erstinstanzlichen Gerichts als auch die des Berufungsgerichts ignorierten sämtliche Foltervorwürfe und ließen erzwungene "Geständnisse" der Angeklagten als Beweismittel gegen sie zu.

ANTITERRORMAßNAHMEN UND SICHERHEIT

Die Behörden sorgten nach wie vor durch Auslieferungsverfahren oder in anderer Form für die Rückführung zahlreicher usbekischer Staatsangehöriger aus dem Ausland, die sie krimineller Aktivitäten verdächtigten oder als Oppositionelle bzw. als Bedrohung der nationalen Sicherheit einstuften.

Rückführungen

Im Oktober 2016 gaben die Behörden an, dass zwischen Januar 2015 und Juli 2016 insgesamt 542 Personen aus dem Ausland nach Usbekistan ausgeliefert oder überstellt worden seien.

Die Regierung bot den Behörden der ausliefernden Staaten Zusicherungen, wonach unabhängige Kontrollorgane und Diplomaten freien und vertraulichen Zugang zu den überstellten Personen hätten und die Betreffenden ein faires Gerichtsverfahren erhalten würden. Tatsächlich war der Zugang jedoch beschränkt, und in manchen Fällen dauerte es mehr als ein Jahr, bis Diplomaten die Erlaubnis erhielten, einen Inhaftierten zu besuchen. Zudem wurden die Diplomaten bei ihren Besuchen grundsätzlich von Sicherheitskräften begleitet, was vertrauliche Gespräche unmöglich machte.

SNB-Angehörige nahmen weiterhin geheime rechtswidrige Überstellungen aus dem Ausland vor und entführten gesuchte Personen. In den seltenen Fällen, in denen die russischen Behörden einem Auslieferungsantrag nicht nachkamen, beteiligten sich lokale russische Sicherheitsdienste an diesen Praktiken.

Die entführten oder in anderer Weise rückgeführten Personen wurden oft in geheimen Einrichtungen ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten und gefoltert oder anderweitig misshandelt, um "Geständnisse" oder belastende Aussagen über andere Personen zu erzwingen. In vielen Fällen setzten die Sicherheitskräfte die Angehörigen der Inhaftierten unter Druck, sich nicht an Menschenrechtsorganisationen zu wenden und keine Anzeige wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen zu erstatten.

Am 4. März 2016 ergriffen russische Geheimdienstagenten den Asylsuchenden Sarvar Mardiev bei seiner Entlassung aus einem russischen Gefängnis und fuhren mit ihm davon. Sein Aufenthaltsort war unbekannt, bis die usbekischen Behörden im Oktober 2016 bestätigten, dass er am Tag nach seiner Freilassung aus dem russischen Gefängnis in der usbekischen Region Kaschkadarja inhaftiert wurde. Den Angaben zufolge befand er sich aufgrund einer Anklage wegen staatsfeindlicher Straftaten in Untersuchungshaft. Einen Monat lang erhielt er keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand.

Verfolgung von Angehörigen

Die Behörden erhöhten den Druck auf Familienangehörige von Personen, die wegen staatsfeindlicher Straftaten verdächtigt wurden oder deshalb angeklagt oder verurteilt worden waren. Dies galt auch für Angehörige von Personen, die im Ausland arbeiteten oder dort Schutz gesucht hatten. Um die Angehörigen davon abzuhalten, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und sich an einheimische und/oder ausländische Menschenrechtsorganisationen zu wenden, drohten die Behörden damit, inhaftierte Angehörige wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen islamistischen Gruppe anzuklagen.

Örtliche Nachbarschaftskomitees (Mahalla-Komitees) arbeiteten nach wie vor mit den Sicherheitskräften sowie mit lokalen und nationalen Behörden zusammen, indem sie die Bewohner der jeweiligen Nachbarschaft streng überwachten und prüften, ob deren Verhaltensweisen und Aktivitäten als unerwünscht, verdächtig oder illegal einzustufen seien. Mahalla-Komitees erhoben öffentlich Anschuldigungen gegen Anwohner und deren Familien und ergriffen Strafmaßnahmen gegen sie.

Im Februar 2016 informierten Mitglieder eines Mahalla-Komitees die Frau von Aramais Avakian darüber, dass die Anwohner beschlossen hätten, sie und ihre Kinder aus dem Stadtviertel zu vertreiben. Der Grund hierfür seien die "terroristischen Taten ihres Ehemanns" und die Tatsache, dass sie ausländischen Journalisten Interviews gegeben, lokale Staatsbedienstete verleumdet und Usbekistan in ein schlechtes Licht gerückt habe.

Zwangsarbeit

In der Baumwollindustrie war weiterhin Zwangsarbeit üblich. Internationale Institutionen schätzten, dass die Behörden mehr als eine Million Menschen, die im öffentlichen Dienst beschäftigt waren, dazu zwangen, bei der Vorbereitung der Felder im Frühling und bei der Ernte im Herbst auf den Baumwollfeldern zu arbeiten. Laut dem Global Slavery Index 2016 lag Usbekistan an zweiter Stelle weltweit, was den Einsatz moderner Sklaverei betraf.

MEINUNGSFREIHEIT – MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER

Die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit blieben nach wie vor stark eingeschränkt.

Engagierte Bürger, die Zwangsarbeit auf den Baumwollfeldern dokumentieren wollten, wurden wiederholt festgenommen und durchsucht.

Am 8. Oktober 2016 nahmen Polizisten und SNB-Angehörige im Bezirk Bo'ka der Region Taschkent Elena Urlaeva, die Leiterin der unabhängigen NGO Human Rights Defenders’ Alliance of Uzbekistan, und den freien Fotografen Timur Karpov sowie zwei französische Aktivisten fest. Sie waren dabei, medizinisches Personal und Lehrkräfte zu interviewen, die zur Arbeit auf die Baumwollfelder geschickt worden waren. Elena Urlaeva berichtete, sie sei von einer Gruppe von Frauen zu einem Vernehmungsraum der Polizeiwache von Bo'ka eskortiert worden, von denen sie zwei an den Haaren gezogen, geschlagen und beleidigt hätten. Die Polizisten sollen die Frauen nicht daran gehindert haben, sondern bedrohten stattdessen Elena Urlaeva und weigerten sich, medizinische Hilfe für sie zu holen. Nach sechs Stunden ließ man sie ohne Anklage frei. Timur Karpov wurde zehn Stunden lang festgehalten und bedroht. Aufnahmegeräte, Kameras und das dokumentarische Material wurden beschlagnahmt.

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