Amnesty Report Brasilien 15. Mai 2017

Brasilien 2017

Amnesty Report 2016 / 2017

Nach wie vor wandte die Polizei unnötige und exzessive Gewalt an, meist um Proteste zu unterbinden. Junge Menschen und afro-brasilianische Männer, vor allem Bewohner von Favelas (städtische Armenviertel), sowie andere marginalisierte Bevölkerungsgruppen wurden überproportional häufig Opfer von Gewalt durch Staatsbedienstete mit Polizeibefugnissen. Menschenrechtsverteidiger waren zunehmend Drohungen und Angriffen ausgesetzt, insbesondere, wenn sie sich für Land- und Umweltrechte einsetzten. Menschenrechtsverletzungen gegen und Diskriminierung von Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten nahmen zu.

HINTERGRUND

Am 31. August 2016 wurde Präsidentin Dilma Rousseff nach einem langen Verfahren im Kongress ihres Amtes enthoben und Vize- und Interimspräsident Michel Temer zum Präsidenten ernannt. Die neue Regierung kündigte zahlreiche Maßnahmen und Gesetzesänderungen mit möglichen Folgen für die Menschenrechte an. Dazu gehörte auch eine Verfassungsänderung (PEC 241/55), die eine Begrenzung der Staatsausgaben für die nächsten 20 Jahre vorsieht und sich negativ auf die Investitionen in Bildung, Gesundheit und andere Bereiche auswirken könnte. Die Verfassungsänderung wurde vom Abgeordnetenhaus bewilligt; sie wurde vom UN-Sonderberichterstatter über extreme Armut und Menschenrechte heftig kritisiert.

Im Kongress standen mehrere Gesetzesänderungen zur Diskussion, welche die Rechte von Frauen, indigenen Bevölkerungsgruppen und Kindern sowie Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen und Intersexuellen (LGBTI) gefährden würden. Im September 2016 befürwortete eine Sonderkommission des Abgeordnetenhauses Änderungen des Familiengesetzes, durch die Familie als eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau definiert würde.

Brasilien hat bisher weder das internationale Waffenhandelsabkommen ratifiziert noch das Abkommen über Streubomben unterzeichnet. Eine wichtige Rolle spielte Brasilien bei laufenden Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot, die 2017 zum Abschluss kommen sollen.

Im Dezember kam der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte zu dem Urteil, dass Brasilien im Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen von Landarbeitern im nördlichen Bundesstaat Pará Sklavenarbeit und Menschenhandel zugelassen habe.

ÖFFENTLICHE SICHERHEIT

Die Anzahl der Tötungsdelikte und Fälle von Waffengewalt blieb unverändert hoch. Schätzungen zufolge fielen im Jahr 2015 mehr als 58000 Personen einem Tötungsdelikt zum Opfer. Die Behörden legten keinen Plan zur Verbesserung der Situation vor.

Am 29. Januar 2016 wurden in der Stadt Londrina im Bundesstaat Paraná zehn Personen von bewaffneten Männern getötet und 15 weitere verletzt. Sechs der sieben Personen, die bei den Ermittlungen zu diesem Vorfall festgenommen wurden, waren Angehörige der Militärpolizei.

Im März 2016 legte die UN-Sonderberichterstatterin für Minderheitenfragen im Anschluss an ihren Besuch in Brasilien dem UN-Menschenrechtsrat ihre Empfehlungen vor. Diesen zufolge sollte sowohl die Militärpolizei abgeschafft werden als auch die automatische Klassifizierung von Tötungen durch die Polizei als "Widerstand mit Todesfolge". Bei dieser Praxis wird vorausgesetzt, dass die Polizei generell in Notwehr handelt, so dass etwaige Ermittlungen entfallen.

Im August 2016 genehmigte die brasilianische Regierung den Einsatz von Streitkräften zur Unterstützung der Polizei im Bundesstaat Rio Grande do Norte, nachdem kriminelle Banden mehrfach Überfälle auf Busse und öffentliche Gebäude verübt hatten. Mindestens 85 Personen wurden wegen mutmaßlicher Beteiligung an den Überfällen festgenommen.

Am 18. November 2016 wurden in Imperatriz im Bundesstaat Maranhão sieben Männer erschossen, nachdem ein dienstfreier Militärpolizist, dem man versuchten Raubüberfall und Körperverletzung vorwarf, angegriffen worden war.

OLYMPISCHE SPIELE 2016

Die Behörden und die Organisatoren der Olympischen Spiele 2016 versäumten es, notwendige Maßnahmen zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen vor und während der Sportveranstaltung umzusetzen. Dies führte zu Menschenrechtsverletzungen, wie sie bereits bei anderen sportlichen Großereignissen in Rio de Janeiro vorkamen, so bei den Panamerikanischen Spielen 2007 und der Fußballweltmeisterschaft 2014.

Zehntausende Militär- und Sicherheitskräfte wurden in Rio de Janeiro und Umgebung eingesetzt. Im direkten Vorfeld der Olympischen Spiele zwischen April und Juni 2016 stieg die Anzahl der von der Polizei getöteten Personen in der Stadt Rio de Janeiro um 103 % gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum an.

Während der Olympischen Spiele vom 5. bis 21. August 2016 intensivierte die Polizei ihre Aktivitäten in bestimmten Stadtteilen von Rio de Janeiro, darunter in den Favelas Acari, Cidade de Deus, Morro do Borel, Manguinhos, Complexo do Alemão, Maré, Del Castilho und Cantagalo. Bewohner berichteten über stundenlange intensive Schusswechsel und über Menschenrechtsverletzungen wie z. B. die rechtswidrige Durchsuchung von Wohnungen sowie Drohungen und tätliche Angriffe. Die Polizei räumte ein, während der Spiele mindestens zwölf Personen in der Stadt Rio de Janeiro getötet zu haben und an 217 Schusswechseln bei Einsätzen im Bundesstaat Rio de Janeiro beteiligt gewesen zu sein.

Bei friedlichen Protesten in Angra dos Reis und Duque de Caxias (beide im Bundesstaat Rio de Janeiro) während des olympischen Fackellaufs durch Brasilien wandte die Polizei unnötige und exzessive Gewalt an. Dabei kam es zum wahllosen Einsatz von Gummigeschossen, Blendgranaten und Tränengas gegen friedliche Demonstrierende und Passanten, darunter auch Kinder.

Am 10. Mai 2016 unterzeichnete Präsidentin Dilma Rousseff das sogenannte Allgemeine Gesetz der Olympischen Spiele (13284/2016) trotz herrschender Bedenken angesichts darin enthaltener Bestimmungen, die gemäß internationalen Menschenrechtsstandards möglicherweise als unzulässige Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung gelten könnten. So wurden Dutzende von Personen an den ersten Tagen der Spiele vom Besuch der Sportstätten ausgeschlossen, weil sie T-Shirts mit Slogans trugen oder Fahnen oder andere Zeichen des Protests mit sich führten. Am 8. August 2016 befand ein brasilianisches Gericht das Verbot friedlicher Proteste innerhalb der olympischen Sportstätten für rechtswidrig.

Am 5. August, dem Tag der Eröffnungsfeier, fand in der Nähe des Maracanã-Stadions in Rio de Janeiro eine friedliche Demonstration gegen die negativen Auswirkungen der Olympischen Spiele statt. Dabei wandte die Polizei unnötige Gewalt in Form von Tränengas an, um die Demonstrierenden auf einem Platz, auf dem auch Kinder spielten, auseinanderzutreiben und die Protestveranstaltung aufzulösen. In den meisten Fällen waren die an diesem Einsatz beteiligten Polizisten nicht eindeutig als solche zu identifizieren.

Am 12. August 2016 wurde eine weiterere Protestaktion in der Nähe des Maracanã-Stadions, die von Studierenden organisiert worden war, von der Militärpolizei durch die Anwendung unnötiger und exzessiver Gewalt unterbunden. Etwa 50 Demonstrierende, die meisten von ihnen unter 18 Jahre alt, wurden festgenommen. Eine Person wurde verletzt. Zum Jahresende 2016 wurde gegen einige der inhaftierten Personen im Rahmen des Fangesetzes ermittelt, das die Störung der Ordnung oder Anstiftung zur Gewalt im Umkreis von fünf Kilometern um eine Sportstätte untersagt.

RECHTSWIDRIGE TÖTUNGEN

Auch 2016 blieb die Anzahl der Tötungen bei Polizeieinsätzen hoch und stieg in einigen Bundesstaaten weiter an. Im Bundesstaat Rio de Janeiro kamen zwischen Januar und November 811 Personen durch polizeiliche Gewalt ums Leben. Es gab Berichte über Todesfälle bei mehreren Polizeieinsätzen, die meisten davon in Favelas. In Rio de Janeiro wurden einige Maßnahmen zur Bekämpfung der Polizeigewalt eingeführt, die jedoch wirkungslos blieben. Nach einem Beschluss des Nationalrats der Staatsanwaltschaft rief die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Rio de Janeiro am 5. Januar 2016 eine Arbeitsgruppe zur Überwachung der Polizeiaktivitäten und Untersuchung von Tötungen durch Polizeikräfte ins Leben. Die Zivilpolizei kündigte an, alle Untersuchungen zu Tötungen durch Polizeikräfte nach und nach an die zuständige Mordkommission zu übergeben.

Die meisten Tötungen durch die Polizei blieben ungeahndet. Auch 20 Jahre nach der rechtswidrigen Tötung eines Zweijährigen während eines Einsatzes der Militärpolizei 1996 in der Favela Acari in Rio de Janeiro war noch immer niemand zur Verantwortung gezogen worden. Am 15. April 2016 lief die Verjährungsfrist für dieses Verbrechen ab. Im Oktober kam es vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte zur ersten öffentlichen Anhörung im Fall der Tötung von 26 Personen bei Polizeieinsätzen in der Favela Nova Brasília von Rio de Janeiro im Oktober 1994 und im Mai 1995. Die Untersuchung der Todesfälle stand noch aus, und bisher war noch niemand vor Gericht gestellt worden.

Im Juli 2016 beantragte der Generalstaatsanwalt die Übertragung der Ermittlungen zur Tötung von zwölf Personen durch die Polizei im Februar 2015 in Cabula im Bundesstaat Bahia an eine Bundesbehörde.

Am 6. November 2016 wurden fünf Männer in Mogi das Cruzes in der Metropolregion São Paulo tot aufgefunden. Sie waren am 21. Oktober von Sicherheitskräften angesprochen worden und kurz darauf "verschwunden". Die Leichname wiesen Hinrichtungsspuren auf. Erste behördliche Ermittlungen deuteten darauf hin, dass Angehörige der Gemeindepolizei in den Fall verwickelt waren. Am 17. November wurden in Jabaquara in São Paulo vier junge Männer von Angehörigen der Militärpolizeieinheit ROTA (Rondas Ostensivas Tobias de Aguiar) erschossen.

VERSCHWINDENLASSEN

Am 1. Februar 2016 wurden zwölf Angehörige der Militärpolizei wegen Folterung mit Todesfolge, Prozessbetrug und "Verstecken eines Leichnams" im Fall des Verschwindenlassens von Amarildo de Souza in Rio de Janeiro schuldig gesprochen.

Im April 2016 wurden bei polizeilichen Ermittlungen 23 Militärpolizisten als Verdächtige im Fall des Verschwindenlassens des 16-jährigen David Fiuza in Salvador im Bundesstaat Bahia im Oktober 2014 genannt. Der Fall wurde jedoch nicht an die Staatsanwaltschaft übergeben, so dass bis Ende 2016 noch keinem der Verdächtigen der Prozess gemacht worden war.

HAFTBEDINGUNGEN

In brasilianischen Gefängnissen herrschte nach wie vor massive Überbelegung, und es gab Berichte über Folter und andere Misshandlungen. Dem Justizministerium zufolge befanden sich Ende 2015 mehr als 620000 Personen im Gefängnis, obwohl die Gesamtkapazität bei nur etwa 370000 Personen lag. Im ganzen Land kam es zu Gefängnisunruhen. Im Oktober 2016 wurden in einem Gefängnis im Bundesstaat Roraima zehn Männer geköpft oder lebendig verbrannt. Acht Männer erstickten bei einem Gefängnisbrand im Bundesstaat Rondônia in ihren Zellen.

Am 8. März 2016 kritisierte der UN-Sonderberichterstatter über Folter u. a. die schlechten Bedingungen in brasilianischen Gefängnissen und die routinemäßige Anwendung von Folter und anderen Misshandlungen durch Polizei und Gefängnispersonal.

Im September 2016 erklärte ein Berufungsgericht ein Verfahren gegen 74 Polizisten wegen eines 1992 verübten Massakers im Gefängnis Carandiru für nichtig, ebenso wie die entsprechenden Urteile. Bei dem Massaker waren 111 Männer von Angehörigen der Polizei getötet worden.

RECHT AUF VERSAMMLUNGSFREIHEIT

2016 kam es in ganz Brasilien zu einer Reihe weitgehend friedlicher Proteste im Zusammenhang mit dem Amtsenthebungsverfahren von Dilma Rousseff sowie wegen der Bildungsreform, der Gewalt gegen Frauen, den negativen Folgen der Olympischen Spiele 2016 und der Kürzung der öffentlichen Ausgaben für Gesundheit und Bildung. Die Polizei ging häufig massiv gegen die Protestierenden vor, was zu exzessiver und unnötiger Gewaltanwendung führte.

Fast 1000 öffentliche Schulen wurden von Schülern friedlich besetzt. Sie protestierten damit gegen die Bildungsreform und von der Regierung vorgeschlagene Finanzmittelkürzungen. Im Juni 2016 wandten die städtischen Behörden von Rio de Janeiro unnötige und exzessive Gewalt an, um eine friedliche Protestaktion von Schülern im Bildungsministerium zu unterbinden.

In mehreren Bundesstaaten wandte die Polizei unnötige Gewalt an, um Demonstrationen gegen die neue Regierung und eine vorgeschlagene Verfassungsänderung (PEC 241/55) zur Kürzung öffentlicher Mittel aufzulösen. In São Paulo verlor eine Schülerin das Sehvermögen auf ihrem linken Auge, nachdem in ihrer Nähe eine von Polizisten geworfene Blendgranate explodierte.

Im Januar 2016 wurde Rafael Braga Vieira, ein Mann, der nach einem Protest in Rio de Janeiro 2013 festgenommen worden war, erneut in Haft genommen, diesmal wegen konstruierter Anklagen im Zusammenhang mit Drogenhandel.

Am 10. August 2016 wies ein Gericht im Bundesstaat São Paulo die Verantwortung der bundesstaatlichen Behörden im Fall von Sergio Silva zurück, der 2013 bei einer Demonstration in São Paulo von einem Projektil der Polizei am Auge getroffen wurde und seither auf diesem blind ist. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass er durch seine Teilnahme an der Demonstration das Risiko, von der Polizei verletzt zu werden, in Kauf genommen habe.

Im März 2016 wurde das Antiterrorgesetz (13260/2016) vom Kongress bewilligt und von der Präsidentin verabschiedet. Das Gesetz stieß wegen seiner vagen Formulierungen und des Spielraums, den es für seine willkürliche Anwendung bei sozialen Protesten ließ, auf weitverbreitete Kritik.

MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER

Gegen Menschenrechtsverteidiger gerichtete Drohungen, Angriffe und Tötungen nahmen im Vergleich zum Jahr 2015 weiter zu. Mindestens 47 Menschenrechtsverteidiger, die für den Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen kämpften, wurden zwischen Januar und September 2016 getötet. Dazu gehörten Bauern, Kleinbauern, Landarbeiter, Angehörige indigener Gemeinschaften wie den Quilombola sowie Fischer, Flussanwohner und Anwälte. Diese Angriffe, Drohungen und Tötungen wurden nur selten untersucht und blieben weitestgehend ungeahndet.

Aufgrund mangelnder Umsetzung sowie fehlender finanzieller Mittel sorgte das nationale Programm zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern nicht für den Schutz, den seine Bestimmungen vorsahen, und Menschenrechtsverteidiger wurden nach wie vor getötet und bedroht. Im Juni 2016 wurde die Wirksamkeit des Programms durch die Aussetzung mehrerer Vereinbarungen zu seiner Umsetzung zwischen der Bundesregierung und den bundesstaatlichen Regierungen sowie durch Finanzmittelkürzungen weiter untergraben.

Im April 2016 jährte sich das Massaker von Eldorado dos Carajás zum 20. Mal. Damals wurden bei einem brutalen Einsatz der Polizei mit mehr als 150 Staatsbediensteten im Südosten des Bundesstaates Pará 19 landlose Landarbeiter getötet und 69 weitere verletzt. Nur zwei Befehlshaber des Einsatzes wurden wegen Mordes und Körperverletzung für schuldig befunden. Weitere Angehörige der Polizei oder anderer Behörden wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Seit dem Massaker wurden allein in Pará mehr als 271 Landarbeiter und Sprecher ländlicher Gemeinden getötet.

RECHTE INDIGENER BEVÖLKERUNGSGRUPPEN

Der Prozess zur Demarkation des Landes indigener Gemeinschaften kam auch weiterhin nur äußerst schleppend voran, obwohl die von der Verfassung vorgegebene Frist dafür bereits seit 23 Jahren abgelaufen war. Dem Kongress lag eine Verfassungsänderung (PEC 215) zur Abstimmung vor, die es der Legislative ermöglichen würde, Landdemarkationen zu blockieren und damit effektiv ein Veto gegen die in der Verfassung und dem Völkerrecht verankerten Rechte indigener Bevölkerungsgruppen einzulegen. In einigen Fällen wurde die Demarkation von Land durch Großgrundbesitzer blockiert, die das Land für die Produktion von Exportgütern nutzten.

Das Überleben der Guarani-Kaiowá-Gemeinschaft von Apika’y im Bundesstaat Mato Grosso do Sul war ernsthaft gefährdet. Im Juli 2016 wurde die Gemeinschaft von ihrem angestammten Land vertrieben. Zwar war die Gemeinschaft über die Räumung informiert worden, doch hatte man sie weder konsultiert noch ihr Alternativen zur Umsiedlung angeboten. Die Familien von Apika’y lebten nunmehr am Rande einer Schnellstraße mit begrenztem Zugang zu Wasser und Nahrung.

Im Oktober 2016 ergab eine Untersuchung der Bundesstaatsanwaltschaft, dass der Indigene Terena Oziel Gabriel bei einem Einsatz der Bundespolizei 2013 auf der Buriti-Farm im Bundesstaat Mato Grosso do Sul durch eine Kugel der Polizei getötet wurde.

Bei einem Besuch im März 2016 kritisierte die UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte der indigenen Völker Brasilien wegen des Versagens bei der Demarkation indigenen Landes und der Schwächung staatlicher Institutionen, die mit dem Schutz der Rechte indigener Bevölkerungsgruppen betraut sind.

FLÜCHTLINGE, ASYLSUCHENDE UND MIGRANTEN

Die Zahl der in Brasilien lebenden Flüchtlinge, Asylsuchenden und Migranten lag im Oktober 2016 bei ungefähr 1,2 Mio. Die Regierung stellte weder ausreichende Ressourcen bereit, noch unternahm sie angemessene Anstrengungen, um den Bedürfnissen der Asylsuchenden, beispielsweise in Bezug auf die Bearbeitung von Asylanträgen, gerecht zu werden. Im Durchschnitt dauerte die Bearbeitung eines Asylantrags mindestens zwei Jahre. In dieser Zeit befanden sich die Asylsuchenden in einer ungeklärten Rechtslage.

Im Dezember 2016 billigte das Abgeordnetenhaus ein neues Migrationsgesetz zum Schutz der Rechte von Asylsuchenden, Migranten und staatenlosen Personen. Das Gesetz lag zum Jahresende noch dem Senat zur Prüfung vor. Es gab Berichte über die Diskriminierung von Asylsuchenden und Migranten, die versuchten, Zugang zu öffentlichen Gesundheits- oder Bildungsleistungen zu erhalten.

GEWALT GEGEN FRAUEN UND MÄDCHEN

Im Mai 2016 löste die brasilianische Übergangsregierung das Ministerium für Frauen, ethnische Gleichstellung und Menschenrechte auf und machte daraus eine dem Justizministerium unterstellte Abteilung. Dies ging mit einer beträchtlichen Reduzierung von Ressourcen und Programmen für den Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen einher.

Wie eine Reihe von Studien aus dem Jahr 2016 zeigte, war das Ausmaß tödlicher Gewalt gegen Frauen in den vergangenen zehn Jahren um 24 % angestiegen. Damit gehörte Brasilien weiterhin zu den Ländern Lateinamerikas, in denen es von besonders großem Nachteil war, als Mädchen geboren zu sein. Dies lag vor allem an den extrem hohen Raten von geschlechtsspezifischer Gewalt und Schwangerschaften von Minderjährigen sowie einer geringen Abschlussrate von Mädchen an weiterführenden Schulen.

Die Gruppenvergewaltigung eines Mädchens am 21. Mai und einer Frau am 17. Oktober 2016 im Bundesstaat Rio de Janeiro sorgten landesweit für Entsetzen und waren weitere Belege für das Versagen des Staates bei der Einhaltung, dem Schutz und der Gewährleistung der Rechte von Frauen und Mädchen. Zwischen Januar und November 2016 wurden im Bundesstaat Rio de Janeiro 4298 Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht; 1389 dieser Fälle ereigneten sich in der Stadt Rio de Janeiro.

2016 jährte sich die Einsetzung eines Gesetzes gegen häusliche Gewalt zum zehnten Mal. Allerdings wurde das Gesetz nicht entschieden umgesetzt, so dass familiäre Gewalt nach wie vor weit verbreitet war und die Täter größtenteils straffrei ausgingen.

KINDERRECHTE

Im August 2016 wurden bei einem Brand in einer Jugendhaftanstalt in der Stadt Rio de Janeiro ein Jugendlicher getötet und sechs weitere schwer verletzt. Im September erlag einer der Jugendlichen, der nach dem Vorfall ins Krankenhaus gebracht worden war, seinen Verletzungen. Die Zahl der inhaftierten Jugendlichen stieg 2016 in Rio de Janeiro um 48 % an. Dies bedeutete eine weitere Verschlechterung der angesichts von Überbelegung, unzureichenden Lebensbedingungen sowie Folter und anderen Misshandlungen bereits kritischen Zustände in den Jugendhaftanstalten.

Eine Verfassungsänderung, mit der die Strafmündigkeit von Jugendlichen von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt werden soll, lag Ende 2016 noch dem Senat vor, obwohl sie bereits 2015 vom Abgeordnetenhaus gebilligt worden war.

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