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Israel und besetzte palästinensische Gebiete 2011
- Hintergrund
- Blockade des Gazastreifens – humanitäre Krise
- Einschränkungen im Westjordanland
- Recht auf Wohnen – Zwangsräumungen
- Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt
- Straffreiheit
- Justizsystem
- Folter und andere Misshandlungen
- Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit
- Gewaltlose politische Gefangene – Israelische Wehrdienstverweigerer
Amtliche Bezeichnung: Staat Israel Staatsoberhaupt: Schimon Peres Regierungschef: Benjamin Netanyahu Todesstrafe: für gewöhnliche Straftaten abgeschafft Einwohner: 7,3 Mio. (Israel); 4,4 Mio. (besetzte Gebiete) Lebenserwartung: 80,3 Jahre (Israel); 72,9 Jahre (besetzte Gebiete) Kindersterblichkeit (m/w): 6/5 pro 1000 Lebendgeburten (Israel); 23/18 pro 1000 Lebendgeburten (besetzte Gebiete)
Der im Januar 2009 zwischen den israelischen Streitkräften und bewaffneten palästinensischen Gruppierungen vereinbarte Waffenstillstand wurde 2010 weitgehend eingehalten. Die israelische Armee hielt an der drakonischen Einschränkung der Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten fest. Die Blockade des Gazastreifens verschlimmerte die humanitäre Krise und schnitt die gesamte Bevölkerung von 1,5 Mio. Menschen praktisch von der Außenwelt ab. Die israelischen Behörden verweigerten oder verzögerten die Anträge auf Ausreisegenehmigung von Hunderten von Palästinensern, die eine spezielle medizinische Behandlung benötigten. Einige von ihnen starben, während sie darauf warteten, aus dem Gazastreifen ausreisen zu dürfen. Der Großteil der Einwohner des Gazastreifens war auf internationale Hilfslieferungen angewiesen, die jedoch durch die Blockade stark behindert wurden. Im Mai töteten israelische Streitkräfte in internationalen Gewässern neun Männer an Bord einer kleinen Flotte mit Hilfsgütern, die versuchte, die Blockade zu durchbrechen. Im Westjordanland war die Bewegungsfreiheit der Palästinenser durch Hunderte von israelischen Straßensperren und Kontrollpunkten erheblich eingeschränkt. Die mehr als 700 km lange Mauer bzw. der Zaun, die bzw. den Israel zum Großteil auf dem Gebiet des Westjordanlands weiterbaute, tat ein Übriges. Bei der Zerstörung palästinensischer Häuser, Zisternen und anderer öffentlicher Einrichtungen im Westjordanland durch israelische Sicherheitskräfte war 2010 eine deutliche Steigerung zu verzeichnen. Die Auswirkungen betrafen Tausende von Palästinensern. Im Süden Israels rissen die Behörden Häuser in Beduinendörfern ab. Der befristete teilweise Baustopp israelischer Siedlungen auf illegal beschlagnahmten palästinensischen Grundstücken lief am 26. September aus, und die Bauarbeiten wurden wieder aufgenommen. Israel führte noch immer keine zufriedenstellenden Untersuchungen von mutmaßlichen Kriegsverbrechen und anderen schweren Verletzungen des Völkerrechts während der Operation "Gegossenes Blei" (Cast Lead) durch. Bei der 22-tägigen Offensive in Gaza im Dezember 2008 und Januar 2009 waren fast 1400 Palästinenser ums Leben gekommen, darunter mehr als 300 Kinder.
Israelische Soldaten und Siedler, die sich schwerer Übergriffe gegen Palästinenser wie ungesetzlicher Tötungen, Körperverletzung und Zerstörung von palästinensischem Eigentum schuldig gemacht hatten, gingen in der Regel straflos aus. Unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt durch die israelischen Sicherheitskräfte führte zum Tod von 25 Palästinensern, unter ihnen sechs Kinder. Hunderte von Palästinensern wurden von den israelischen Streitkräften festgenommen und inhaftiert. Mehr als 250 Gefangene befanden sich ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Verwaltungshaft, einige von ihnen bereits seit mehr als zwei Jahren. Berichte von Folterungen und anderen Misshandlungen waren weiterhin an der Tagesordnung. Eine Untersuchung entsprechender Vorwürfe fand jedoch nur selten statt. Etwa 6000 Palästinenser verbüßten Haftstrafen in israelischen Gefängnissen, zu denen sie nach vielfach unfairen Prozessen von Militärgerichten verurteilt worden waren. Gegen israelische Kriegsdienstverweigerer ergingen erneut Freiheitsstrafen.
Hintergrund
Die Lage in der Grenzregion zwischen Israel und dem Libanon blieb angespannt. Am 3. August kam es zu einem Schusswechsel zwischen israelischen und libanesischen Soldaten, bei dem mindestens drei Soldaten und ein libanesischer Journalist starben.
Obwohl der Waffenstillstand zwischen den israelischen Streitkräften und bewaffneten palästinensischen Gruppierungen 2010 weitgehend eingehalten wurde, feuerten Letztere immer wieder wahllos Raketen und Mörsergranaten auf Südisrael ab (siehe Länderbericht Palästinensische Gebiete). Die Zahl der Angriffe ging jedoch im Vergleich zu den Vorjahren zurück. Israelische Streitkräfte töteten mehrere Palästinenser, die sie für Angriffe verantwortlich gemacht hatten. Am 31. August wurden vier israelische Siedler im Westjordanland erschossen. Zu der Tat bekannten sich die Izz-al-Din-al-Qassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, die seit ihrem Wahlsieg 2006 den Gazastreifen verwaltet.
Im September 2010 lud die US-Regierung zu Verhandlungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) ein, die Hamas war jedoch ausgeschlossen. Kurze Zeit später wurden die Verhandlungen jedoch bereits abgebrochen, als der zehnmonatige teilweise Baustopp für israelische Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten am 26. September auslief. Die Palästinensische Autonomiebehörde sagte daraufhin ihre Teilnahme an den Gesprächen ab. Der Baustopp hatte keine Gültigkeit für Ost-Jerusalem und Umgebung. Auch im Westjordanland waren "aus Sicherheitsgründen" geplante Bauvorhaben und die Errichtung öffentlicher Gebäude unvermindert fortgeführt worden.
Blockade des Gazastreifens – humanitäre Krise
Die seit Juni 2007 anhaltende Blockade des Gazastreifens durch Israel brachte die Wirtschaft in dem Gebiet zum Erliegen und trieb die Bewohner noch tiefer in die Armut. Anhaltende Engpässe im Gesundheitswesen, bei der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung sowie Armut und Unterernährung machten rund 80% der Bewohner des Gazastreifens abhängig von humanitärer Hilfe aus dem Ausland, die jedoch durch die Blockade des Gazastreifens erheblich behindert wurde. Die gravierenden Engpässe führten zu Preiserhöhungen. Auch die meisten UN-Projekte zum Wiederaufbau von Krankenhäusern und Schulen wurden dadurch verzögert. So mussten im September rund 40000 palästinensische Kinder abgewiesen werden, die die UN-Schulen besuchen wollten.
Nahezu die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens war in der kleinen Enklave praktisch eingeschlossen. Davon betroffen waren auch schwerkranke Personen, die dringend medizinische Hilfe benötigten, die in den Kliniken des Gazastreifens nicht verfügbar war. Studierende und Berufstätige, die im Ausland studieren oder arbeiten wollten, konnten die Region nicht verlassen. Nur wenige bekamen eine Ausreiseerlaubnis.
Im Mai stoppten die israelischen Streitkräfte gewaltsam eine internationale Flotte mit Hilfsgütern, die versuchte, die Blockade zu durchbrechen. Dabei wurden neun Menschen an Bord der Schiffe getötet und mehr als 50 verletzt, einige davon schwer. Einige israelische Soldaten erlitten Verletzungen. Es gab mehrere Untersuchungen des Vorfalls, darunter zwei der UN. Eine vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte Untersuchungskommission stellte im September fest, dass "die israelischen Soldaten auf breiter Front und in willkürlicher Art und Weise tödliche Gewalt einsetzten, die unnötig viele Personen das Leben kostete und schwere Verletzungen verursachte". Einer von der israelischen Regierung eingesetzten Untersuchungskommission mangelte es an Unabhängigkeit und Transparenz.
Nach internationaler Kritik an dem Angriff kündigte die Regierung eine teilweise Lockerung der Blockade an. Diese Maßnahme war jedoch nicht ausreichend, um die Situation in Gaza spürbar zu verbessern. Bis 8. Dezember 2010 blieb der Export von Produkten aus Gaza vollständig verboten. Eine angekündigte Lockerung des Ausfuhrverbots war bis zum Jahresende noch nicht erfolgt. Nach Ansicht von Amnesty International stellte die Blockade eine Kollektivstrafe für die Bewohner des Gazastreifens dar und verstieß damit gegen das humanitäre Völkerrecht. Die Organisation rief wiederholt zur Aufhebung der Blockade auf.
Einschränkungen im Westjordanland
Hunderte von israelischen Militärkontrollpunkten und Straßensperren schränkten die Bewegungsfreiheit der Palästinenser im Westjordanland erheblich ein. Ihr Weg zur Arbeit, zu Schulen und Ausbildungsstätten sowie der Zugang zu medizinischer Versorgung und anderen Einrichtungen waren weiterhin stark beeinträchtigt oder vollkommen blockiert.
Ende 2010 waren etwa 60% des geplanten mehr als 700 km langen Zauns bzw. der Mauer fertiggestellt. Mehr als 85% der gesamten Anlage verlaufen auf palästinensischem Gebiet innerhalb des Westjordanlands. Der Zaun/die Mauer verwehrte Tausenden von Palästinensern den direkten Zugang zu ihren Feldern und Wasserstellen. Palästinenser aus dem Westjordanland konnten nur an drei von 16 Kontrollpunkten am Zaun/an der Mauer nach Ost-Jerusalem gelangen und benötigten eine Einreisegenehmigung. Dies hatte insbesondere für Patienten und medizinisches Personal der sechs palästinensischen Spezialkliniken in Ost-Jerusalem oft schwerwiegende Auswirkungen.
Palästinenser erhielten weiterhin keinen Zutritt zu ausgedehnten Landstrichen in der Nähe israelischer Siedlungen, die unter Verstoß gegen das Völkerrecht errichtet worden waren und aufrechterhalten wurden. Die Zahl der israelischen Siedler im Westjordanland und in Ost-Jerusalem war 2010 auf über 500000 Menschen angestiegen. Palästinensern war es nach wie vor untersagt, die rund 300 km "Umgehungsstraßen" der israelischen Siedler zu benutzen. Immerhin verkürzte sich für viele Palästinenser die Reisezeit zwischen den meisten Städten – vor allem im Norden – im Berichtsjahr etwas, weil Israel einige Straßensperren abbaute. Auch das Straßennetz für Autos mit palästinensischen Kennzeichen wurde etwas verbessert. Trotzdem waren Reisen nach wie vor zeitraubend und beschwerlich.
Recht auf Wohnen – Zwangsräumungen
Palästinenser, die im Westjordanland oder in Ost-Jerusalem lebten, waren mit so strengen Einschränkungen beim Bau ihrer Häuser konfrontiert, dass ihr Recht auf angemessenen Wohnraum verletzt wurde. Im Westjordanland und in Ost-Jerusalem fanden Zwangsräumungen statt. Begründet wurden diese Maßnahmen damit, dass die Häuser ohne Baugenehmigung errichtet worden seien. Entsprechende Genehmigungen wurden den palästinensischen Bewohnern jedoch von den israelischen Behörden weiterhin systematisch verweigert. Im Normalfall rückten die Abrissfirmen zusammen mit Sicherheitskräften ohne Vorankündigung an und gaben den Familien nur wenig Zeit, ihre Habseligkeiten aus den Häusern zu bergen. Das israelische Militärrecht, dem die Palästinenser im größten Teil des Westjordanlands unterstehen, sieht keine Wiederansiedlung oder Entschädigung von Familien vor, deren Häuser zwangsgeräumt wurden. Den Palästinensern in Ost-Jerusalem erging es unter den zivilen israelischen Behörden kaum besser. 2010 zerstörten die israelischen Behörden in Ost-Jerusalem und im Westjordanland 431 Häuser und andere Bauwerke; dies bedeutete einen Anstieg von 59% gegenüber dem Vorjahr. Mindestens 594 Palästinenser – die Hälfte davon Kinder – wurden obdachlos, nachdem ihre Häuser auf Anordnung der israelischen Behörden dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Die Zerstörung von Zisternen, Brunnen und anderen Einrichtungen wirkte sich auf die Lebensgrundlagen von mehr als 14000 Palästinensern aus.
- In Khirbet Tana, einem Dorf im Westjordanland in der Nähe des Jordantals, zerstörten die israelischen Streitkräfte zwei Mal Häuser und andere Einrichtungen. Das Dorf liegt in einem Gebiet, das die israelische Armee zur "militärischen Sperrzone" erklärt hat. Am 10. Januar 2010 zerstörten die Streitkräfte die Häuser von 100 Palästinensern, die Dorfschule und zwölf Gehege, in denen Tiere gehalten wurden. Am 8. Dezember wurden zehn Häuser, 17 Ställe und die wiederaufgebaute Schule dem Erdboden gleichgemacht. Im Jahr 2005 war die Ortschaft schon einmal zerstört worden. Die israelischen Behörden verweigerten den Dorfbewohnern seit den 1970er Jahren Baugenehmigungen, während in unmittelbarer Nähe die israelischen Siedlungen Mekhora und Itamar gebaut wurden.
Die Beduinenbevölkerung in der Negev-Wüste im Süden Israels wurde verstärkt Opfer von rechtswidrigen Zwangsräumungen und Zerstörungen. Zahlreiche Dörfer, in denen Zehntausende von Beduinen mit israelischer Staatsbürgerschaft leben, wurden von den israelischen Behörden nicht offiziell genehmigt. Diesen Dörfern mangelt es an grundlegenden Versorgungseinrichtungen, und ihre Bewohner leben in ständiger Furcht vor der Zerstörung ihrer Häuser und der Vertreibung von ihrem Land.
- Das "ungenehmigte" Dorf al-Araqib in der Negev-Wüste, in dem rund 250 Beduinen leben, wurde zwischen dem 27. Juli und dem 23. Dezember acht Mal von der israelischen Landverwaltung und Polizeikräften zerstört. Nach jeder Zerstörung errichteten die Bewohner erneut provisorische Unterkünfte.
Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt
Israelische Streitkräfte gingen 2010 mit exzessiver Gewalt gegen palästinensische Zivilpersonen vor. Dies betraf friedliche Demonstrierende im Westjordanland und im Gazastreifen, aber auch Bauern, Fischer und andere, die in der von Israel deklarierten "Sperrzone" (exclusion zone) im Gazastreifen und vor der Küste des Gazastreifens ihrer Arbeit nachgingen. Nach Angaben des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten wurden im Berichtsjahr in den besetzten palästinensischen Gebieten 33 palästinensische Zivilpersonen von den israelischen Streitkräften getötet, darunter acht Kinder. Bei der gewaltsamen Durchsetzung der 1500m breiten "Sperrzone" innerhalb der Nord- und Ostgrenze des Gazastreifens und der Sperrzone vor der Küste tötete die israelische Armee 15 palästinensische Zivilpersonen, darunter vier Kinder. Mehr als 100 Personen wurden dabei verletzt.
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Zwei palästinensische Jugendliche starben, nachdem israelische Sicherheitskräfte am 20. März nach einer Demonstration im Dorf Iraq Burin im Westjordanland mit scharfer Munition auf sie geschossen hatten. Muhammed Qadus wurde in der Brust getroffen, Usaid Qadus starb an einem Kopfschuss. Nach einer Untersuchung des Vorfalls durch die israelische Militärpolizei erhielten zwei hochrangige israelische Offiziere wegen der Tötungen einen Verweis.
- Im September wurden drei palästinensische Schäfer – der 91-jährige Ibrahim Abu Sa’id, sein 16-jähriger Enkel Hosam Abu Sa’id und der 17-jährige Isma’il Abu Oda – von israelischen Panzergranaten getötet, während sie in einer "Sperrzone" bei Beit Hanoun im Gazastreifen ihre Schafe weideten. Die Behörden räumten später ein, bei den drei Opfern habe es sich um Zivilpersonen und nicht, wie ursprünglich verlautbart, um "Terroristen" gehandelt. Es wurde eine Untersuchung des Vorfalls angekündigt. Über die Ergebnisse war bis Ende 2010 nichts bekannt.
Straffreiheit
Israelische Soldaten, Angehörige der Sicherheitskräfte und israelische Siedler verübten weiterhin schwere Menschenrechtsverstöße an Palästinensern, darunter ungesetzliche Tötungen. Sie wurden dafür in der Regel nicht bestraft. Siedler schossen auf Palästinenser und zerstörten ihr Eigentum. Nur in extrem seltenen Fällen wurden die Verantwortlichen für ihr Vorgehen zur Rechenschaft gezogen.
Ein ausführlicher Bericht über Straflosigkeit, der von der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem im Oktober veröffentlicht wurde, stellte fest, dass das israelische Militär in den Jahren 2006 bis 2009 1510 Palästinenser getötet hatte. Diese Zahl beinhaltete nicht die Todesfälle während der Operation "Gegossenes Blei". 617 der Getöteten, darunter 104 Kinder unter 18 Jahren, waren an keinerlei feindseligen Handlungen beteiligt, als sie getötet wurden. B’Tselem forderte eine Untersuchung von 288 Tötungsdelikten, die bei 148 Zwischenfällen, zumeist im Gazastreifen, begangen worden waren. Ermittlungen wurden nur in 22 Fällen eingeleitet, die sich zumeist im Westjordanland ereignet hatten. B’Tselem berichtete, dass nur vier Untersuchungen innerhalb der ersten vier Wochen nach einer Tötung aufgenommen worden seien. Zwei Ermittlungsverfahren wurden geschlossen, ohne dass die betreffenden Soldaten zur Rechenschaft gezogen worden wären.
Operation "Gegossenes Blei"
Es gab zwar Untersuchungen der israelischen Armee über einzelne Vorkommnisse, die Behörden versäumten es jedoch nach wie vor, unabhängige Untersuchungen von mutmaßlichen Kriegsverbrechen und anderen schweren Verletzungen des Völkerrechts durch die israelischen Streitkräfte während der Operation "Gegossenes Blei" durchzuführen, die internationalen Standards entsprachen. Die von den UN eingesetzte Untersuchungskommission unter Leitung von Richard Goldstone hatte 2009 festgestellt, dass sowohl die israelischen Streitkräfte als auch die bewaffneten palästinensischen Gruppierungen Kriegsverbrechen und möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten.
Bis Ende 2010 waren nur drei israelische Soldaten im Zusammenhang mit der Operation "Gegossenes Blei" verurteilt worden. Zwei der Angeklagten waren für schuldig befunden worden, "ohne Befugnis" gehandelt zu haben, als sie den neunjährigen Palästinenser Majed R. als "menschliches Schutzschild" missbraucht hatten. Der Junge musste Taschen öffnen, von denen die Soldaten annahmen, dass es sich um Sprengfallen handelte. Im November wurden sie degradiert und erhielten eine dreimonatige Freiheitsstrafe, die auf Bewährung ausgesetzt wurde.
Da beide Seiten keine angemessenen Untersuchungen durchführten, forderte Amnesty International, die internationale Gerichtsbarkeit einzuschalten.
Im Januar 2010 zahlte Israel 10,5 Mio. US-Dollar Schadenersatz an die UN. Die Zahlung stand im Zusammenhang mit der Beschädigung von UN-Gebäuden während der Operation "Gegossenes Blei". Die Opfer der Angriffe und ihre Angehörigen erhielten hingegen keinerlei Entschädigungszahlungen. Die UN teilten mit, dass die Forderungen bezüglich der Operation damit abgegolten seien. Der Goldstone-Bericht hatte jedoch ausdrücklich empfohlen, die UN solle sowohl für die getöteten UN-Mitarbeiter und die Zivilpersonen, die bei Angriffen auf UN-Einrichtungen ums Leben kamen, Entschädigungszahlungen fordern, als auch für die zivilen Opfer anderer während der Operation verübter Angriffe.
Justizsystem
Haft ohne Gerichtsverfahren
Israel hielt am System der Verwaltungshaft fest, wonach Palästinenser über längere Zeiträume hinweg ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Haft gehalten werden. Mindestens 264 Palästinenser waren im Jahr 2010 aufgrund von Verwaltungshaftanordnungen inhaftiert, einige von ihnen bereits seit mehr als zwei Jahren.
- Moatasem Nazzal, ein 16-jähriger Schüler aus dem Flüchtlingslager Qalandiya in der Nähe von Ramallah, wurde am 20. März ohne Angabe von Gründen zuhause festgenommen. Während seines Verhörs war er mit Handschellen gefesselt. Nachdem drei Mal in Folge eine Verwaltungshaftanordnung gegen ihn ergangen war, wurde er schließlich am 26. Dezember freigelassen.
Haftbedingungen – Verbot von Familienbesuchen
Etwa 680 palästinensische Gefangene durften nach wie vor keinen Familienbesuch erhalten, da es Palästinensern im Gazastreifen seit der Verhängung der Blockade untersagt ist, nach Israel einzureisen, wo ihre Angehörigen gefangen gehalten werden. Einige der Gefangenen blieben deshalb bereits im dritten Jahr in Folge ohne Familienbesuch.
Unfaire Gerichtsverfahren
In den besetzten Gebieten, in denen die israelische Militärjustiz für die Rechtsprechung zuständig ist, wurden Palästinenser 2010 weiterhin in Gerichtsverfahren verurteilt, die in mehrfacher Hinsicht gegen ihr Recht auf ein faires Verfahren verstießen. Die Verhöre fanden ausschließlich ohne einen Rechtsbeistand statt. Zivilpersonen wurden vor Militärgerichte und nicht vor Gerichte der zivilen Justiz gestellt.
Folter und andere Misshandlungen
Es gingen weiterhin zahlreiche Berichte über Folterungen und Misshandlungen ein, die auch Kinder betrafen. Zu den am häufigsten genannten Foltermethoden zählten Schläge, Drohungen gegenüber den Gefangenen oder ihren Familien, Schlafentzug und das Verharren in schmerzhaften Positionen über längere Zeiträume hinweg. Von israelischen Militärgerichten und Gerichten der zivilen Justiz wurden "Geständnisse" als Beweismittel zugelassen, die offenbar unter Zwangsmaßnahmen erpresst worden waren.
- Der 15-jährige Palästinenser A. M. aus dem Dorf Beit Ummar in der Nähe von Hebron wurde am 26. Mai 2010 festgenommen und im Haftzentrum Gush Etzion festgehalten. Während seines sechstägigen Verhörs wurde er offenbar gefoltert und erst freigelassen, nachdem er "gestanden" hatte, Steine geworfen zu haben. Er gab an, Sicherheitsbeamte hätten ein Stromkabel an seinen Genitalien befestigt und ihm Elektroschocks angedroht. Im August legten eine palästinensische und eine israelische NGO bei der israelischen Polizei und bei der Armee Beschwerde wegen der mutmaßlichen Folterung des 15-Jährigen ein. Die Polizeibeschwerde wurde wegen "unzureichender Beweise" eingestellt. Die Armee war Ende 2010 noch dabei, die Beschwerde zu prüfen.
Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit
Die Zahl der Festnahmen, Gerichtsverfahren und Inhaftierungen von Menschen, die sich an gewaltfreien Demonstrationen gegen die Mauer/den Zaun beteiligt hatten, stieg an. Die Behörden beriefen sich dabei häufig auf die Militäranordnung 101, die Versammlungen von mehr als zehn Personen "zu politischen Zwecken oder zu Zwecken, die als politisch ausgelegt werden könnten" untersagt. Solche Zusammenkünfte dürfen nur stattfinden, wenn sie im Vorfeld vom israelischen Militärkommandanten genehmigt worden sind.
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Im Oktober 2010 verurteilte ein israelisches Militärgericht Abdallah Abu Rahma zu einem Jahr Haft. Der Lehrer und Leiter des Volkskomitees gegen die Mauer im Dorf Bil’in im Westjordanland (Popular Committee Against the Wall in the West Bank Village of Bil’in) wurde schuldig gesprochen, "eine nicht genehmigte Demonstration organisiert und daran teilgenommen zu haben". Des Weiteren befand ihn das Gericht der "Aufwiegelung" für schuldig. Vom Vorwurf des "Steinewerfens" und des "Waffenbesitzes" wurde Abdallah Abu Rahma freigesprochen. Amnesty International betrachtet ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen.
- Der ehemalige Nukleartechniker Mordechai Vanunu musste im Mai 2010 eine Gefängnisstrafe von drei Monaten antreten. Er war für schuldig befunden worden, Kontakt zu einem ausländischen Staatsangehörigen aufgenommen zu haben. Der gewaltlose politische Gefangene wurde in Einzelhaft verlegt. Er hatte zuvor bereits 18 Jahre im Gefängnis verbracht, weil er Einzelheiten über Israels Atomprogramm an eine britische Zeitung weitergegeben hatte. Seit seiner Freilassung im Jahr 2004 steht er unter Polizeiüberwachung aufgrund einer militärischen Anordnung, die alle sechs Monate verlängert wird. Laut der Anordnung ist es ihm u.a. untersagt, Kontakt zu Ausländern aufzunehmen oder das Land zu verlassen. Eine Klage zur Aufhebung der Beschränkungen wurde im Oktober vom Obersten Gerichtshof Israels zurückgewiesen.
Gewaltlose politische Gefangene – Israelische Wehrdienstverweigerer
Mindestens zwölf israelische Wehrdienstverweigerer wurden im Jahr 2010 inhaftiert.
- Shir Regev aus dem Dorf Tuval im Norden Israels war drei Mal für insgesamt 64 Tage inhaftiert, weil er sich geweigert hatte, in der israelischen Armee zu dienen. Er lehnt Israels militärische Besatzung der palästinensischen Gebiete ab.
Amnesty International: Missionen und Berichte
Delegierte von Amnesty International hielten sich im April und Mai in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten auf.
Israel and Occupied Palestinian Territories: As safe as houses? Israel’s demolition of Palestinian homes (MDE 15/006/2010)
Israel/Occupied Palestinian Territories: Amnesty International’s assessment of Israeli and Palestinian investigations into Gaza conflict (MDE 15/022/2010)
Israel/Occupied Palestinian Territories: Human Rights Council fails victims of Gaza conflict (MDE 15/023/2010)
Israel: End arbitrary restrictions on Vanunu (MDE 15/024/2010)