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Nach 41 Jahren Haft wieder in Freiheit
Gary Tyler im November 1998
© Maia Weerbermeester
Vier Jahrzehnte sind eine halbe Ewigkeit: Als Gary Tyler 1975 in den USA in einem unfairen Prozess verurteilt wurde, endete gerade der Krieg in Vietnam und der amtierende US-Präsident hieß Gerald Ford. Nach mehr als 41 Jahren in Haft ist Tyler seit dem 29. April 2016 endlich frei. Den überwiegenden Teil seines Lebens hat der heute 57-Jährige im "Angola State Prison" verbracht, einer berüchtigten Strafanstalt im US-Bundesstaat Louisiana. Acht Jahre davon saß er in Isolationshaft. Amnesty International hatte sich für seine Freilassung eingesetzt.
Gary Tylers Fall steht exemplarisch für ein voreingenommenes Justizsystem vor allem im Süden der USA. Am 7. Oktober 1974 kam es in Louisiana zu rassistisch motivierten Unruhen wegen der Einführung ethnisch gemischter Schulen. Ein Konflikt, der von Politikern wie David Duke geschürt wurde. Duke stieg damals zu einer führenden Figur des Ku-Klux-Klan in Louisiana und den USA auf. Heute unterstützt er den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump.
Als ein Bus mit schwarzen Schülern vor der bis dahin ausschließlich für Weiße reservierten "Destrehan High School" vorfuhr, warf ein Mob Steine und Flaschen. Bei dem anschließenden Tumult wurde ein weißer Schüler erschossen. Tyler wurde als Tatverdächtiger verhaftet und wegen Mordes angeklagt.
Eine ausschließlich mit Weißen besetzte Jury verurteilte den damals 16-Jährigen anschließend unter mehr als zweifelhaften Umständen. Die angebliche Tatwaffe, die erst zwei Wochen später gefunden wurde, stammte nachweislich aus Polizeibeständen. Der wichtigste Zeuge der Anklage widerrief nach dem Urteil seine Aussage und gab an, von der Polizei dazu gezwungen worden zu sein.
Tyler wurde zum Tode verurteilt, die Strafe jedoch später in lebenslange Haft umgewandelt. Bereits kurz nach dem Prozess setzten sich weltweit Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler für ihn ein, Rockgruppen wie UB40 widmeten ihn ein Lied, und Amnesty International erklärte ihn zum "gewaltlosen politischen Gefangenen" und setzte sich für seine Freilassung ein.
Dadurch erfuhr auch ich Ende der 1970er Jahre von dem Justizskandal. Ich war damals 14 Jahre alt und erst kurz zuvor Mitglied von Amnesty geworden. Meine Amnesty-Gruppe sammelte Unterschriften, verteilte Flugblätter, organisierte Mahnwachen und Solidaritätskonzerte. Jahre später traf ich Aktivistinnen und Aktivisten des "Gary Tyler Defense Committee" in New Orleans, die trotz aller widrigen Umstände nie aufgaben, sich für ihn einzusetzen.
Dabei hatten sie Gründe genug, um frustriert zu sein. In mehreren Berufungsinstanzen wurde Tylers Prozess zwar als "fundamentally unfair" bezeichnet – ein neues Verfahren aber immer wieder aus formalen Gründen abgelehnt. Zuletzt scheiterte 2007 der Versuch, beim Gouverneur von Louisiana ein Gnadengesuch zu erwirken. Amnesty hatte zuvor eine "Urgent Action" für Tyler gestartet.
Erst ein neues Grundsatzurteil gab wieder Hoffnung: Seit 2012 gelten lebenslange Haftstrafen für jugendliche Täterinnen und Täter als verfassungswidrig, wenn sie eine mögliche Bewährung ausschließen. Eine Entscheidung, die seit diesem Jahr auch rückwirkend gilt, und auf die sich Tylers Anwälte beriefen.
Alles, was man über die rassistische Justiz, die Gary Tyler und viele andere Schwarze erfahren haben, noch wissen muss, beschreibt folgendes Ereignis: Nach Tylers Verurteilung 1976 wurde ein 19-jähriger Schwarzer namens Richard Dunn aus einem vorbeifahrenden Auto in New Orleans erschossen, als er gerade eine Benefiz-Veranstaltung für Gary Tyler verließ. Der Schütze, ein Weißer namens Anthony Mart, wurde verhaftet und wegen des kaltblütigen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Nach zehn Jahren wurde Mart begnadigt. Gary Tyler, der stets seine Unschuld beteuert hat, musste auf seine Entlassung 41 Jahre warten.