Amnesty Report Malta 16. April 2020

Malta 2019

Menschen demonstrieren vor einer Polizeiwache, sie halten Schilder mit der Aufschrift "Truth and Justice"

Ein bekannter maltesischer Geschäftsmann wurde 2019 wegen des Vorwurfs der Beteiligung an der Tötung der Journalistin Daphne Caruana Galizia festgenommen. Er belastete den Stabschef des Ministerpräsidenten und löste damit ein schwere politische Krise aus. Nachdem internationale Kritik laut geworden war, erklärte sich die Regierung bereit, offizielle Ermittlungen zum Tod der Journalistin Daphne Caruana Galizia einzuleiten. Über 3300 Flüchtlinge und Migranten trafen auf dem Seeweg in Malta ein. Viele wurden von den maltesischen Behörden gerettet, die auch Hunderte von NGOs gerettete Personen an Land gehen ließen. Jedoch wurden Flüchtlinge und Migrant_innen routinemäßig rechtswidrig unter äußerst schlechten Bedingungen inhaftiert. Schwangerschaftsabbrüche blieben unter allen Umständen verboten. 

Fehlende Rechenschaftspflicht

Am 20. November 2019 stürzte die Festnahme eines bekannten maltesischen Geschäftsmanns wegen des Vorwurfs der Verwicklung in die Ermordung der Journalistin Daphne Caruana Galizia durch eine Autobombe am 16. Oktober 2017 die Regierung in eine tiefe politische Krise. Der Geschäftsmann beschuldigte den Stabschef des Premierministers Joseph Muscat der Beteiligung an der Ermordung. Die Enthüllungen lösten weitreichende öffentliche Proteste auf der Insel aus. Die Familie Caruana Galizia forderte den sofortigen Rücktritt des Premierministers aus Sorge, dass wichtiges Beweismaterial zerstört werden könne. Joseph Muscat kündigte im Januar 2020 seinen Rücktritt an. Im Dezember 2019 nach einer dringlichen Fact-Finding-Mission nach Malta zur Einschätzung der Untersuchung der Tötung der Journalistin, drückte das Europäische Parlament große Sorge darüber aus, dass der verspätete Rücktritt des Premierministers die Integrität der Untersuchung und die Rechtsstaatlichkeit Maltas untergraben könne.

Nach massivem internationalem Druck, unter anderem bei der Überprüfung der Menschenrechtslage im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung durch den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, erklärte sich Malta im September 2019 bereit, offizielle Ermittlungen zum Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia einzuleiten. Im Juni hatte die Parlamentarische Versammlung des Europarats (Council of Europe Parliamentary Assembly – PACE) Malta drei Monate Zeit gegeben, um in Übereinstimmung mit den im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention bestehenden Verpflichtungen in unabhängige offizielle Ermittlungen zum Tod der Journalistin einzuwilligen. Die Entscheidung der PACE beruhte auf den Ergebnissen höchst kritischer Berichte über systemimmanente Mängel der maltesischen Strafjustiz und der verfassungsmäßigen Ordnung, wonach die Achtung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Durchsetzung der Rechenschaftspflicht nicht gewährleistet erschienen. 

Drei in Verbindung mit dem Tod der Journalistin beschuldigte Männer waren bis Ende 2019 noch nicht vor Gericht gestellt worden. 

Flüchtlinge und Asylsuchende

Über die zentrale Mittelmeerroute trafen mehr als 3.300 Flüchtlinge in Malta ein, verglichen mit 1.445 im Jahr 2018. Fast die Hälfte von ihnen stammte aus dem Sudan, während die zweitgrößte Gruppe aus Eritrea kam. Nahezu ein Drittel der Neuankömmlinge waren Minderjährige, von denen wiederum fast die Hälfte unbegleitet war. 

Malta rettete Hunderte von Flüchtlingen und Migrant_innen in seiner Such- und Rettungszone. Darüber hinaus ließ Malta Hunderte weitere, von anderen wie etwa NGOs Gerettete an Land gehen, jedoch unter der Bedingung, dass Personen, die unter Umständen gerettet worden waren, für die sich Malta nicht juristisch verantwortlich fühlte, in andere Länder der Europäischen Union (EU) überstellt würden. 

Im September verpflichtete sich Malta neben Frankreich, Deutschland und Italien dazu, einen "vorläufigen Solidaritätsmechanismus" einzuführen. Dieser Mechanismus soll die berechenbare und "würdevolle" Ausschiffung an einem für auf See gerettete Flüchtlinge und Migrant_innen sicheren Ort und ein faires System für ihre Verteilung auf verschiedene EU-Mitgliedsstaaten ermöglichen. 

Die Asylbehörden konnten die Vielzahl der Anträge kaum bewältigen und akzeptierten Unterstützung durch das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office). Nur sehr wenige Antragsteller_innen waren erfolgreich und erhielten Asyl; die meisten bekamen subsidiären Schutz, welcher keine Familienzusammenführung erlaubt und die Integrationsmöglichkeiten stark einschränkt. Überstellungen von Asylsuchenden nach Frankreich, Deutschland, Irland, Italien, Luxemburg, Portugal, Rumänien und Slowenien, die 2018 begonnen hatten, wurden fortgesetzt. 

Hunderte von Flüchtlingen und Migranten wurden in der Erstaufnahmeeinrichtung und im Haftzentrum Safi Barracks willkürlich in überbelegten Unterkünften sowie unter nicht dem Standard entsprechenden Bedingungen inhaftiert, in manchen Fällen mehr als drei Monate lang. Es gab keine brauchbare Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Inhaftierung, welche den Behörden zufolge aus medizinischen Gründen gerechtfertigt war. Maltas Gesetze gestatten eine Bewegungseinschränkung von bis zu vier Wochen aus medizinischen Gründen, was in Ausnahmefällen auf zehn Wochen ausgedehnt werden kann. Anwälte sowie nationale und internationale Organisationen wiesen allerdings darauf hin, dass der eigentliche Grund dafür, warum Menschen nicht freigelassen wurden, auf dem Unvermögen der Behörden beruhte, genügend Aufnahmekapazitäten in offenen Zentren bereitzustellen. Die Behörden wollten das Problem lösen, indem sie Asylsuchende nach einer gewissen Zeit aus den offenen Aufnahmeeinrichtungen entfernten, um Raum für später Eingetroffene zu schaffen. Jedoch gab es weder Pläne dafür, angemessene Unterbringungsmöglichkeiten für diejenigen zu schaffen, die dort herausgenommen worden waren, noch dafür, die Gesamtkapazität von Plätzen in offenen Zentren zu erhöhen. Im Juni äußerte sich der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes besorgt über die Inhaftierung und Behandlung von minderjährigen Asylsuchenden und Migrant_innen. 

Im März wurden drei asylsuchende Teenager – ein 15-Jähriger aus der Elfenbeinküste und zwei 16 bzw. 19 Jahre alte Teenager aus Guinea bei ihrer Ankunft in Malta unter dem Verdacht festgenommen, das Schiff, das sie gerettet hatte, in ihre Gewalt gebracht zu haben, um den Kapitän daran zu hindern, sie nach Libyen zurückzubringen. Zusammen mit etwa 100 anderen Personen hatten sie Libyen in einem Gummiboot verlassen und waren von dem Handelsschiff El Hiblu 1 aufgenommen worden. Den drei jungen Männern wurden schwere Straftaten zur Last gelegt, von denen einige lebenslange Haft zur Folge haben können, zum Teil auch aufgrund von Antiterrorgesetzen. Im Mai drängte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Malta, die Schwere der Straftaten zu überdenken, und äußerte sich besorgt über die anfängliche Inhaftierung der Beschuldigten im Hochsicherheitstrakt einer Strafanstalt für Erwachsene sowie das Versäumnis, den beiden Minderjährigen vor ihrer Vernehmung einen Vormund zur Seite zu stellen. Im Juni äußerte sich der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes besorgt darüber, dass der Fall der beiden Jugendlichen vor einem Gericht für Erwachsene verhandelt werden sollte und nicht vor einem Jugendgericht. Eine richterliche Untersuchung des Falls war bis Ende des Jahres noch nicht abgeschlossen. 

Im Mai wurde gegen den Kapitän des Rettungsschiffs Lifeline, das von einer deutschen NGO betrieben wird, wegen Unregelmäßigkeiten bei der Registrierung eine Geldstrafe von 10.000 Euro verhängt, nachdem das Schiff Hunderte Flüchtlinge und Migrant_innen gerettet hatte. Die Lifeline, die unter niederländischer Flagge fuhr, blieb in Malta unter Verwahrung. Das Strafverfahren und dessen Ausgang stellten einen Verstoß gegen Maltas Verpflichtung dar, die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger_innen zu schützen. Über Rechtsmittel gegen das Urteil war bis zum Jahresende noch nicht entschieden worden.
 

Sexuelle und reproduktive Rechte

Frauen blieb der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen selbst dann verweigert, wenn ihr Leben in Gefahr war. Malta wies Empfehlungen zurück, das totale Abtreibungsverbot zu lockern, die bei Maltas Allgemeiner Regelmäßiger Überprüfung im November 2018 vonseiten mehrerer Staaten vorgebracht worden waren. 

Veröffentlichungen von Amnesty International

Malta: Responsibility to rescue and protect people at sea scarcely addressed in review (EUR 33/0056/2019)

Malta: The El Hiblu 1 case – Three teenagers in the dock for daring to oppose their return to suffering in Libya (EUR 33/1270/2019
 

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