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Krieg auf Leinwand

Die Angst fährt mit: Katya Buchatskas Installation "Von Isjum nach Liverpool" in der Kathedrale von Liverpool
© Rob Battersby
Das Projekt "Women Artists in War" zeigt Werke ukrainischer Künstlerinnen online. Manche von ihnen verloren schon 2014 ihre Heimat. Andere erleben erst seit Beginn der russischen Invasion die Folgen von Gewalt und Vertreibung.
Von Cornelia Wegerhoff
Ein gutes Dutzend dicker Knollen ruht in der Erde, umgeben von verästeltem Wurzelwerk. Auf den ersten Blick erinnert die großformatige Schnittansicht (1,60 x 2 Meter) an Darstellungen aus einem Fachbuch für Botanik. Im dunkelbraunen Erdreich stecken aber auch metallfarbene Granatsplitter, menschliche Knochen sind zu sehen und ganz unten am Bildrand ein Schädel.
"Ukrainian Garden" lautet der Titel des Kunstwerks. Kateryna Aliinyk heißt die Malerin. Sie wurde in der Stadt Luhansk geboren, hat jedoch einen Großteil ihrer Kindheit auf dem Land verbracht. Beide Seiten ihrer Familie waren seit Generationen Bauern und Bäuerinnen in den Dörfern der Donbass-Region, erzählt die 26-Jährige. Sie spielte dort in den Sommerferien mit ihren Cousins und Cousinen auf den Feldern, über sich den schier endlosen blauen Himmel – ein Idyll. Doch 2014 begann gleichzeitig mit der russischen Annexion der Krim auch der Krieg in der Ostukraine. Von Moskau unterstützte Separatist*innen, der russische Geheimdienst und russische Streitkräfte schufen mit Gewalt die sogenannten "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk.
"Schönheit und Horror gingen Hand in Hand"
"Ich erinnere mich daran, wie eine Bombe in den Kartoffelgarten meiner Urgroßmutter einschlug. Der Himmel blieb blau. Das Gras war immer noch grün. Aber auf und in der Erde lagen die sterblichen Überreste der Getöteten. Schönheit und Horror gingen Hand in Hand", berichtet Kateryna Aliinyk. Im Alter von 15 Jahren musste sie mit ihrer Familie vor den russischen Invasoren fliehen. Später studierte sie an der Nationalen Akademie der Künste in Kyjiw, wo sie heute lebt. Fast all ihre Landschaftsgemälde seien Liebesbriefe an den Donbass, sagt die Ukrainerin. Nur den Himmel male sie so gut wie nie.

Kartoffeln und Knochen: Kateryna Aliinyk malt Impressionen aus dem Donbass (Bild "Ukrainian Garden").
© Courtesy of the artist / Artsvit Gallery (Dnipro, Ukraine)
Kreativ sein und überleben
Kateryna Aliinyk gehört zu den 15 Ukrainerinnen, deren Werke seit 2024 im Rahmen des Projekts "Women Artists in War" auch online zu sehen sind, im "Secondary Archive", einer in Polen geschaffenen Plattform für Künstlerinnen aus Zentral- und Osteuropa. In Bild und Wort beschreiben die Frauen dort ihre Sicht auf den russischen Krieg. Sie sind nicht die ersten Ukrainerinnen im "Secondary Archive". Seit Februar 2022 werden dort bereits Arbeiten und Kommentare von 50 Kolleginnen präsentiert. Die ukrainische Kultur brauche mehr internationale Aufmerksamkeit, sagt die Kuratorin des Projekts Iryna Polikarchuk, die auch Direktorin der "Artsvit Gallery" in Dnipro ist, einer ostukrainischen Stadt, die sich nun ebenfalls an der Front befindet.
Im Ausland könne sich kaum jemand vorstellen, wie schwierig es sei, zu überleben und dabei auch noch kreativ zu bleiben, stellt Kateryna Iakovlenko fest. Sie ist Chefredakteurin des Kulturprogramms des ukrainischen Rundfunksenders Suspilne in Kyjiw und war als Kuratorin am Projekt "Women Artists in War" beteiligt. Ukrainische Kunst sei jetzt eine Art des Widerstands. Jede Künstlerin habe ihre eigene Weise, mit dem Grauen des Kriegs umzugehen.
Ehrenamtlich als Sanitäterin an der Front
Lucy Ivanova zum Beispiel illustrierte während ihrer Schwangerschaft ein Kinderalphabet. Es fasst die Welt in erste Worte: mit einem knuddeligen Stoffhasen, einem gelben Strampelanzug, einem Kampfflugzeug und der aufsteigenden Rauchwolke nach einem Raketeneinschlag. Im "Secondary Archive" schreibt Lucy Ivanova: "Die Serie 'Wie kann ich die Welt einem Neugeborenen erklären?', Untertitel 'Ich hab keine Ahnung' war das Ergebnis der Dissonanz, die mich zerrissen hat: Die immense Trauer über den Krieg und die immense Freude auf mein zukünftiges Kind."
Die 30-jährige Künstlerin Marharyta Polovinko arbeitet ehrenamtlich als Sanitäterin an der Front und evakuiert verwundete ukrainische Soldat*innen. Sie führe dabei Tagebuch mit Bleistift und Radiergummi, schreibt Polovinko im "Secondary Archive". Es sei ein ständiger Prozess des Zeichnens und Radierens. Der Krieg sei längst ihr einziges Thema. Manchmal benutzt Marharyta Polovinko sogar Blut statt Farbe. Wie in dem namenlosen Bild, auf dem ein Verwundeter im Bett liegt. Ein Skelett schmiegt sich an ihn: der Tod.

Beunruhigender Ausblick: "Window with a Suspicious View" von Lucy Ivanova
© Lucy Ivanova
"Natürlich ist das von Anfang an eine große Frage gewesen: Weitermachen oder nicht?", erklärt Katya Buchatska, die auch zu den "Women Artists in War" gehört. Der Krieg hat sie anfangs in einen Gewissenskonflikt gestürzt. Sollte sie nicht lieber auch zur Armee gehen oder Freiwilligendienst leisten, anstatt "nur" Künstlerin zu sein? Die 37-Jährige lebt in Kyjiw, hat dort ebenfalls an der Kunstakademie studiert, ist Konzeptkünstlerin. Als die ersten russischen Luftangriffe erstmals auch Kyjiw zum Ziel hatten, war sie zufällig in den Karpaten, weitab vom Geschehen. Sie half dort, ein Museum mit Werken von Paraska Plytka-Horytsvit zu eröffnen, erzählt sie. Die Autorin, Künstlerin und Fotografin Plytka-Horytsvit (1927–1998), die dem Bergvolk der Huzul*innen angehörte und sich nach 1945 der Nationalen Befreiungsbewegung anschloss, galt in der Sowjetunion als Staatsfeindin. Zehn Jahre verbrachte sie in stalinistischen Straflagern.
Im Zug durch besetztes Gebiet
In der ukrainischen Geschichte gibt es viele starke Frauen. Auch das müsse erzählt werden, sagt Katya Buchatska. Sie ist der festen Überzeugung, dass auch Kunst im Krieg "nützlich" sei. Es gehe dabei immer auch um Information. Im Gegensatz zu den wehrpflichtigen Männern könnten Künstlerinnen außerdem ins Ausland reisen und dort ausstellen. Im "Secondary Archive" ist unter anderem Katya Buchatskas Installation "Von Isjum nach Liverpool" zu sehen. Liverpool war 2023 der Ersatzaustragungsort des Eurovision Song Contest (ESC). Zwar hatte 2022 die ukrainische Band Kalush Orchestra den Musikwettbewerb gewonnen und damit das Austragungsrecht, aber kriegsbedingt sprang Großbritannien ein. In der Kathedrale von Liverpool installierte Katya Buchatska zwölf Videoleinwände, die eine Zugfahrt durch die gesamte Ukraine zeigten, wie beim Blick durch ein Zugfenster. Mithilfe der Installation konnten die Menschen in Liverpool visuell mit den Geflüchteten aus der russisch besetzten Ostukraine bis zur polnischen Grenze fahren, immer die Angst im Nacken. "Ohne den Krieg würde ich solche Installationen nicht machen", resümiert Katya Buchatska. Sie sei stolz darauf, zu den "Women Artists in War" zu gehören.
Cornelia Wegerhoff ist freie Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
Weitere Informationen zum Projekt: www.secondaryarchive.org