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Umkämpfte Körper
Julia Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion
© Amnesty | Silke Weinsheimer
Von Julia Duchrow
Gegner*innen des Rechts auf Abtreibung geht es nicht um Gerechtigkeit. Es geht um die Angst vor Machtverlust. Kolumne von Julia Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion.
In den 1990er Jahren prägte die Schwarze US-Menschenrechtsaktivistin Loretta Ross den Begriff der "reproduktiven Gerechtigkeit": Jede Person soll das Recht haben, sich selbstbestimmt für oder gegen Kinder entscheiden zu können. Es braucht gesellschaftliche Bedingungen, die das ermöglichen: gute Gesundheitsversorgung für alle, soziale Sicherheit, Autonomie über den eigenen Körper.
Den Gegner*innen des Rechts auf Abtreibung geht es nicht um Gerechtigkeit. Es geht um Macht, um die Deutungshoheit über den gebärfähigen Körper und die Zementierung von Geschlechterverhältnissen. Genauer: Es geht um die Angst vor Machtverlust. Denn die traditionelle Männlichkeit ist in der Krise, ob in Partnerschaft, Familie oder Beruf. Und die Verteidigung traditioneller Familienwerte und Rollenbilder ist eine Antwort darauf. Deshalb steht das Thema Abtreibung weit oben auf der Agenda der Menschenrechtsfeinde. Es ist für viele anschlussfähig und identitätsstiftend.
Im US-Wahlkampf 2016 verkündete Donald Trump, er werde nur Richter*innen in den Obersten Gerichtshof berufen, die sich gegen Abtreibung aussprechen. Genauso kam es, mit schwerwiegenden Folgen. 2022 kippte das höchste US-Gericht das seit 1973 landesweit geltende Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Die Stimmen der von Trump ernannten Richter*innen waren entscheidend.
In Polen gilt durch die Rechtsprechung des von der PiS-Regierung geschwächten Verfassungsgerichts seit 2021 eine der strengsten Abtreibungsregelungen in Europa. In Italien treibt die Regierung von Giorgia Meloni Verschärfungen bei der Schwangerschaftsberatung und bei der Abtreibungspraxis in Krankenhäusern voran. Und in Deutschland will die AfD, dass Schwangerschaftsabbrüche die "absolute Ausnahme" werden.
Doch so sehr das Thema überzeugte Anhänger*innen mobilisiert, so wenig ist es derzeit geeignet, gesellschaftliche Mehrheiten zu gewinnen oder zu sichern. In Deutschland finden es laut einer vom Familienministerium beauftragten Umfrage 80 Prozent der Menschen falsch, dass Schwangerschaftsabbrüche hierzulande rechtswidrig sind. In Frankreich hat das Recht auf Abtreibung seit diesem Jahr Verfassungsrang, eine breite Mehrheit stimmte dafür. In Polen waren die Demonstrationen gegen das rigide Abtreibungsrecht ein Grund für den Machtverlust der PiS-Regierung. Und in den USA lehnen immerhin 61 Prozent der Wähler*innen das Urteil des Obersten Gerichtshofs zu Schwangerschaftsabbrüchen ab. Das Thema könnte bei der Präsidentschaftswahl entscheidend sein. Deshalb gibt sich Trump in dieser Sache derzeit weniger radikal.
Ich war kürzlich in den USA und hatte dort Gelegenheit, mit Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen über ihre Arbeit in diesen schwierigen Zeiten zu sprechen. Sollte Trump die Wahl gewinnen, erwarten sie einen massiven Abbau menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Errungenschaften. Die Vorbereitungen dafür laufen bereits. Ihre Strategie: diejenigen mobilisieren, denen Menschenrechte wichtig sind und aufzeigen, welche Freiheiten konkret bedroht sind. Das Recht auf Abtreibung gehört dazu.
Es liegt an uns: Wer für die Menschenrechte eintritt und eine faire und gleichberechtigte Gesellschaft will, muss sich für den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch einsetzen. Gerade in den kommenden Wahlkämpfen!
In Deutschland kriminalisiert der Paragraf 218 StGB weiterhin Abtreibungen – und das seit der Kaiserzeit. Kürzlich sprach sich die Kommission für reproduktive Selbstbestimmung dafür aus, Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs zu regeln. Zumindest innerhalb der ersten zwölf Wochen sollen sie legal sein. Die Bundesregierung muss dieser Empfehlung folgen und Abtreibungen endlich entkriminalisieren.
Das wäre ein Beitrag zur reproduktiven Gerechtigkeit und ein wichtiges Bekenntnis zu den Menschenrechten in diesen umkämpften Zeiten.
Julia Duchrow ist Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.