Amnesty Journal 24. Februar 2020

Urenkelin von Tätern und Opfern

Schwarze Frau mittleren Alters mit leuchtend rotem Pullover steht vor einem Dickicht aus Pflanzenzweigen.

"Die Nama sind ein gebrochenes Volk ohne Selbstwertgefühl" – die Aktivistin Sima Luipert kämpft für deren Rechte.

Sima Luipert setzt sich in Namibia für die Aufklärung des deutschen Völkermords an Nama und Herero ein.

Von Hannah El-Hitami

Als Sima Luipert ein Kind war, mahnte ihre Großmutter sie, sich von den weißen Kindern fernzuhalten, den Nachfahren deutscher und niederländischer Siedler in Namibia. "Sonst landest du auf der Insel!", warnte sie ihre Enkelin, die noch nicht verstand, was die Großmutter damit meinte. Erst später erfuhr Luipert von der Haifischinsel, auf der die deutsche Kolonialmacht Anfang des 20. Jahrhunderts ein Konzentrationslager betrieben hatte. Dort kamen zwischen 1904 und 1908 mehrere Tausend Menschen ums Leben, Angehörige der namibischen Bevölkerungsgruppen Herero und Nama. Insgesamt ermordeten die Deutschen in ihrer damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika etwa 65.000 Herero und 10.000 Nama. Deutschland hat sich für diesen ersten Genozid des zwanzigsten Jahrhunderts bis heute nicht offiziell entschuldigt.

Sima Luipert kommt aus einer politischen Familie, ist Nachfahrin der Witbooi- und Fredericks-Clans, die den Widerstand gegen die deutsche Kolonialmacht maßgeblich prägten. Ihre ­Urgroßmutter war auf der Haifischinsel und später im Okawayo-Lager inhaftiert, wo sexuelle Gewalt gegen die Frauen der Herero und Nama weitverbreitet war. Viele Kinder entstanden aus diesen unfreiwilligen Verbindungen, auch Luiperts Urgroßvater war ein deutscher Soldat. Heute, mehr als hundert Jahre nach dem Völkermord, versucht Sima Luipert, auf dieses dunkle Kapitel der deutsch-namibischen Geschichte aufmerksam zu machen.

Die 50-jährige ist Aktivistin der Nama Traditional Leaders Association (NTLA), der Vertretung der Nama in Namibia. Die NTLA setzt sich für die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen und für den Erhalt der Nama-Kultur ein, die fast ausgelöscht wurde – ebenso wie die wirtschaftliche Lebensgrundlage der Nama und Herero, die damals von ihrem Land vertrieben wurden und ihre Viehherden verloren. Die Folgen seien bis heute spürbar, sagt Luipert: "Die Nama sind ein gebrochenes Volk ohne Selbstwertgefühl." Das zeigten die weitverbreiteten sozialen Probleme in der Community: Alkoholismus, Schwangerschaften bei Minderjährigen, zerbrochene Familien. "Viele wohnen noch immer in den erbärmlichen Reservaten, die damals für sie geschaffen wurden. Sie arbeiten nach wie vor unterbezahlt für die weißen Farmer", so Luipert. Tatsächlich sind 70 Prozent der kommerziellen Farmen in Namibia heute noch im Besitz von Weißen, ebenso wie knapp die Hälfte der gesamten Fläche.

2017 reichten Vertreter der Herero und Nama Klage gegen Deutschland wegen des Genozids vor einem Gericht in New York ein. Doch die Klage wurde in erster Instanz abgelehnt, auch ein späterer Erfolg ist unwahrscheinlich. Bei den Verhandlungen zwischen deutscher und namibischer Regierung dürfen Vertreter von Herero und Nama nicht mitreden – für Luipert ein klares Zeichen dafür, dass das Leid der Nama noch immer nicht ernst genommen wird. Ihr gehe es dabei nicht in erster Linie um Geld, sagt Luipert, sondern um Anerkennung: "Ich glaube nicht, dass die Täter uns als Menschen sehen, denn sie weigern sich, mit uns zu sprechen. Ich finde es schmerzhaft und erniedrigend, den deutschen Staat darum zu bitten, meine Existenz anzuerkennen."

Ebenso wünsche sie sich einen Austausch von Mensch zu Mensch, zwischen den Nachfahren der Täter und Opfer. Immerhin sind viele deutsche und namibische Familiengeschichten, wenn auch unfreiwillig, miteinander verknüpft. "Der Vater meiner Oma war ein deutscher Soldat, der nach Deutschland zurückkehrte und vielleicht weitere Kinder hatte", so Luipert bei einem Besuch in Berlin. "Wer sind diese Kinder? Haben sie ein Interesse, ihre Verwandten kennenzulernen? Oder wollen sie sich von der Scham und der Schuld reinwaschen?"

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