Kolumne: Menschenrechte lernen!
Julia Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion
© Amnesty | Silke Weinsheimer
Über die Aufgabe von Schulen, die Achtung vor Menschenrechten zu vermitteln. Kolumne von Julia Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion.
Von Julia Duchrow
"Lehrkräfte, die Demokratiebildung machen, werden teilweise massiv unter Druck gesetzt", sagt Anja Besand von der Technischen Universität Dresden. Wer sich für Demokratiebildung starkmache, erlebe Anfeindungen und Konflikte "innerhalb des Kollegiums, mit Eltern und – etwas seltener – mit oder unter Schülerinnen und Schülern", schreibt die Autorin des im Juni 2025 erschienenen "Deutschen Schulbarometers Lehrkräfte".
Ähnliches erleben wir im Bereich Menschenrechtsbildung. Am Briefmarathon von Amnesty International beteiligen sich Schulen in ganz Deutschland. Die Schüler*innen unterstützen dabei Menschen, die zu Unrecht inhaftiert sind, mit Briefen. Zuletzt meldeten uns zahlreiche Lehrkräfte, dass sie Schwierigkeiten haben, das Projekt wie gewohnt umzusetzen.
Ein Argument, das verstärkt zu hören ist: Schulen seien als staatliche Institutionen zur Neutralität verpflichtet. Doch das stimmt so nicht! Wenn es um Grundrechte geht, darf die Schule nicht neutral sein. Im Gegenteil: "Die Menschenrechte (…) gehören zum Kernbereich des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule", schreiben die Kultusminister*innen der Länder.
Richtig ist: Lehrer*innen dürfen Schüler*innen nicht indoktrinieren, sondern müssen ihnen helfen, eine eigene Position zu entwickeln und zu vertreten. Doch ist es ihre Aufgabe, die Achtung vor Menschenrechten zu vermitteln. Aus diesem Grund dürfen sie auch "rassistische und rechtsextreme Positionen von politischen Parteien kritisch thematisieren", wie das Deutsche Institut für Menschenrechte 2019 in einer Untersuchung klarstellte. Auch weil Schule Schutz bieten muss – insbesondere für Kinder und Jugendliche, die von Diskriminierung betroffen sind.
Deshalb sollten nicht nur Mathe, Bio und Deutsch auf dem Lehrplan stehen, sondern auch das Einmaleins des solidarischen Miteinanders. Menschenrechtsbildung gehört dazu, und zwar nicht nur in Form trockener Fakten im Politikunterricht, sondern als Querschnittsaufgabe und soziale Erfahrung im Schulalltag.
Doch die Realität sieht anders aus: Die Prioritäten liegen seit den PISA-Vergleichsstudien auf den vermeintlichen Basiskompetenzen lesen, schreiben, rechnen. Soziale und politische Bildung verlieren an Bedeutung. Viele Projekte fallen dem Spardiktat zum Opfer. Hinzu kommt: Form und Inhalt sind nicht voneinander zu trennen. Doch bei der Entscheidung über Unterrichtsaktivitäten, Lerninhalte oder Beurteilungskriterien haben Schüler*innen meist keine oder nur geringe Mitsprachemöglichkeiten.
Natürlich gibt es viele Lehrer*innen, für die Menschenrechtsbildung eine Herzensangelegenheit ist und die entsprechende Angebote machen. Doch allzu oft versagen Kolleg*innen und Schulleiter*innen ihnen die Unterstützung, wenn es Widerstände gibt. Und die sind vor allem in einigen ländlichen Gebieten groß. Dort gebe es an Schulen eine regelrechte Hegemonie des Rechtsextremismus, warnt der Soziologe Matthias Quent von der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Wenn wir diesen Angriffen auf die Grundlagen unseres Zusammenlebens etwas entgegensetzen wollen, müssen wir die Idee der Menschenrechte mit Leben füllen – gerade an Schulen. Die US-amerikanische Feministin und Schwarze Aktivistin bell hooks sagte einmal: "Das Klassenzimmer bleibt der radikalste Möglichkeitsraum, (...) ein Ort zum Lernen (...), wo wir denken und umdenken können und neue Visionen schaffen."
Deshalb müssen wir weg von der reinen Wissensvermittlung und hin zu Lernformen, die Schüler*innen vermitteln, wie sie Schule mitgestalten können. Eine Schule, in der sie respektvolle Beziehungen auf Augenhöhe erleben und befähigt werden, ihre Rechte und die von anderen Menschen zu kennen und zu achten. Oder mit bell hooks gesprochen: Menschenrechte verteidigen beginnt im Klassenzimmer!
Julia Duchrow ist Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland