Amnesty Journal Deutschland 26. Juli 2017

Willkommen auf Arabisch

Porträtfoto von einem Mann mit Zeitung

Der Gründer von Al Abwab über die erste arabischsprachige Zeitung Deutschlands.

Von Ramy al-Asheq

Was ist die Aufgabe eines Journalisten im Exil? Wie kann er sich Gehör verschaffen, eine eigene Stimme entwickeln – und sich zugleich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen? Hat er die Pflicht, Brücken zwischen den Kulturen zu schlagen? Und ist es ihm überhaupt möglich, seine Stimme zu erheben angesichts der mächtigen Medienmaschinerie mit ihren verschiedenen politischen Agenden?

Mit diesen Fragen sah ich mich in meinen ersten Tagen in Deutschland konfrontiert. Ich war gerade mit einem Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung aus Jordanien nach Berlin gekommen. Dort genoss ich den Luxus, vier Monate lang nicht in einer Erstaufnahmeeinrichtung und in temporären Unterkünften wohnen zu müssen. Ich hatte also andere Sorgen als meine Freunde, die über die Mittelmeerroute gekommen waren. Viele europäische Medien beschrieben die Flüchtlinge damals als Opfer, ohne zu erwähnen, wer sie dazu gemacht hatte. Ganz so, als ob sie von einem anderen Planeten stammten oder schon als Opfer zur Welt gekommen wären.

"Flüchtling findet 100 Euro und gibt sie Besitzern zurück", lautete eine Schlagzeile im Sommer der sogenannten Willkommenskultur 2015. Viele Zeitungen druckten diese Nachricht wie eine Ausnahme – und erweckten damit den Eindruck, dass ein Flüchtling, der Geld stiehlt, normal sei, nicht einer, der ehrlich ist. Als dann der Begriff "Integration" immer inflationärer benutzt wurde, begann ein Gedanke in meinem Kopf zu reifen: Wir brauchen ein Medium, das versucht, die verschiedenen Standpunkte der Integrationsdebatte einander anzunähern. Und wir Geflüchteten selbst benötigen ein Sprachrohr gegen Vorurteile, Hate Speech und den Aufstieg der extremen Rechten.

Zu diesem Zeitpunkt kontaktierte mich die Verlegerin Federica Gaida von New European Media und schlug mir vor, eine arabische Zeitung herauszugeben, die Nachrichten und Informationen über das Leben in Deutschland aufgreift und den Neuankömmlingen Orientierung bietet. So erschien im Dezember 2015 die erste Ausgabe. Drei Nachrichtenseiten aus Deutschland und der Welt sowie vier mit Kommentaren und Berichten aus den arabischen Staaten bildeten damals den Kern von Abwab. Hinzu kamen vier Ratgeber-Seiten und jeweils zwei über Feminismus und Frauenrechte sowie Kultur und Literatur.

Doch schon nach der zweiten Ausgabe fiel uns etwas Wichtiges auf: Wir wollten nicht den Fehler begehen, nur zu uns selbst zu sprechen. Das ist in vielen Institutionen und Gesprächsforen der Fall, wo in erster Linie Deutsche über Flüchtlinge reden. Um das zu vermeiden, beschlossen wir, deutsche Journalisten und Autoren in unserer Zeitung zu Wort kommen zu lassen – und so auch deutsche Leserinnen und Leser zu gewinnen. Also fügten wir von da an jeder Ausgabe zwei Seiten mit ins Deutsche übersetzten Artikeln hinzu. Inzwischen sind es vier Seiten, die von der Redakteurin Lilian Pithan betreut werden.

Darüber hinaus bieten wir in der Rubrik "Die offene Tür" Tipps für Neuankömmlinge an. Fragen zu Bildung, Stipendien, Gesetzen und Ernährung stehen dabei im Mittelpunkt. Unser Ressort "Fürs Herz" erzählt Geschichten über Erfolg und Hoffnung, und unter "Arabesque" laufen Beiträge zu Kultur.

Wir verstehen uns als Teil des Integrationsdiskurses, der seit Abflauen der Willkommenskultur die Flüchtlingsdebatte in Deutschland prägt – auch wenn wir eine andere Perspektive darauf einnehmen als der politische Mainstream. Als Redaktion sind wir der Ansicht, dass Integration nur über den Austausch von Menschen unterschiedlicher Identität herzustellen ist. Gelingen kann sie deshalb nur, wenn sich sowohl Einheimische wie Neuankömmlinge an der Debatte beteiligen – getrieben vom Interesse, andere Kulturen kennenzulernen, voneinander zu lernen und sich zu respektieren.

Außerdem glauben wir, dass sich Integration in der Lebenszeit eines Menschen allein nicht erreichen lässt. Es genügt nicht, sich wirtschaftlich zu integrieren, also eine Arbeit zu finden – auch wenn das absolut notwendig ist. Darüber hinaus gibt es noch kulturelle, gesellschaftliche und politische Aspekte, die ­unbedingt berücksichtigt werden müssen. Darüber tauschen wir uns in Abwab mit unseren Leserinnen und Lesern aus. So bilden wir eine wichtige politische Stimme, die zu gesellschaftlich relevanten Anliegen und Problemen Stellung nehmen kann.

Bei ihrer Gründung 2015 sollte Abwab eine Zeitung von und für geflüchtete Menschen sein. Doch sie hat sich weiterentwickelt und ist – auch online – zu einem umfassenden Projekt geworden, an dem Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen teilhaben. So ist daraus eine Zeitung von Geflüchteten und Einheimischen für Geflüchtete und Einheimische entstanden. Als ich Abwab anfangs allein produzierte, gelang es mir, 16 Autorinnen und Autoren für die Zeitung gewinnen. Heute sind wir mehr als 40 Journalistinnen und Journalisten.

Aus dem Arabischen von Hannah El-Hitami

Abwab online: www.abwab.eu/deutsch/

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