Amnesty Journal Deutschland 21. März 2022

Antirassismus auf die Ohren

Zwei Frauen stehen hintereinander vor einem Regal mit asiatischen Produkten in einem Supermarkt.

"Auf uns und unsere Community aufpassen": Vanessa Vu (links) und Minh Thu Tran.

Immer mehr Podcastformate bringen Hörer_innen dazu, sich mit Diskriminierung und Rassismus auseinanderzusetzen – und das teilweise auf sehr persönliche Weise. Wir stellen vier vor.

Von Andreas Koob

Podcasts sind populär. Und sie können einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Debatten leisten. Das gilt etwa für Formate, die sich mit Rassismus auseinandersetzen. In aufwendigen Reportagen und intensiven Studiogesprächen erhalten Hörer_innen darin Einblicke in alltägliche Lebenswelten und rassistische Strukturen, die sie sonst vielleicht nie bekommen hätten. Solange Menschen mit Rassismuserfahrungen im Journalismus deutlich unterrepräsentiert sind, kommen ihre Perspektiven in der Berichterstattung zu kurz. In den vergangenen Jahren haben sich eine Reihe hörenswerter Podcasts zum Thema etabliert, die das ändern wollen.

Tupodcast

Seit Oktober 2019 podcastet die Anti-Rassismus-Trainerin und Autorin Tupoka Ogette monatlich: Unter dem Motto "Gespräche unter Schwestern" führt sie intensive Studiogespräche mit Schwarzen Frauen. "Im Vordergrund stehen für mich die Lebensgeschichten dieser tollen Frauen", sagt Ogette. "Mit dem Podcast will ich die Gespräche zugänglich machen, die mir selbst Kraft und Heilung geben."

Unter ihren prominenten Gästen waren die Politikerin Aminata Touré, die Filmregisseurin und Fernsehmoderatorin Mo Asumang und die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo. Im Dialog mit ihren Gesprächspartnerinnen thematisiert Ogette rassistische Machtverhältnisse in Kultur, Politik und Medien.

Dabei geht sie von biografischen ­Momenten aus. Es entstehen lebendige Diskussionen, in denen Schwarze Frauen ihre Diskriminierungserfahrungen teilen. Die Rassismusexpertin macht in einfühlsamen Gesprächen deutlich, was es heißt, mehrfach diskriminiert zu werden. Ogette betreibt den Podcast in Eigenregie und finanziert die Arbeit durch Sponsoring und Spenden von Hörer_innen.

Mit dem Podcast will ich die Gespräche zugänglich machen, die mir selbst Kraft und Heilung geben.

Tupoka
Ogette
Autorin, Podcasterin, Anti-Rassismus-Trainerin
Eine Frau sitzt vor einer Wand, hält die Hände in Brusthöhe zusammen und lächelt dabei.

Einfühlsame Gespräche: Tupoka Ogette

Rice and Shine

Die beiden Journalistinnen Vanessa Vu und Minh Thu Tran betreiben seit 2018 den Podcast "Rice and Shine". Für ihre monatlich erscheinenden Folgen wählen sie unterschiedliche Formate wie Studiotalks, Interviews und teils sehr aufwendig recherchierte und produzierte Reportagen.

Aus einer deutsch-vietnamesischen Perspektive widmen sie sich einer enormen Bandbreite an Themen aus Kultur und Gesellschaft, verhandeln aber zugleich auch Persönliches und Psychologisches. "Wir waren eines der ersten Formate überhaupt, das selbstbestimmt aus unserer eigenen Community und über unsere eigenen Themen berichtet hat", sagt Tran.

Der Podcast behandelt Erfahrungen von Rassismus, die Vietdeutsche und andere als asiatisch wahrgenommene Menschen in Deutschland machen. Dazu zählen geschlechtsspezifische exotisierende Klischees und stereotype Zuschreibungen wie Fleiß und Intelligenz: All das dekonstruiert und kritisiert der Podcast. "Wir erleben Rassismus, und deswegen thematisieren wir das in einigen Folgen", sagt Tran. "Das tun wir aber nicht mit einer weißen Brille und mit drastischen 'Opfergeschichten', sondern unser Fokus liegt mehr darauf, wie wir damit umgehen und auf uns und unsere Community aufpassen können."

Das tun wir aber nicht mit einer weißen Brille und mit drastischen 'Opfergeschichten', sondern unser Fokus liegt mehr darauf, wie wir damit umgehen und auf uns und unsere Community aufpassen können.

Minh
Thu Tran
Journalistin, Podcast "Rice and Shine"

Dass der Podcast erfolgreich ist, zeigen zahlreiche Preise. Die Folge "Hamburg 1980: Als der rechte Terror wieder aufflammte" wurde mit dem Europäischen Civis Medienpreis 2021 und dem Goldenen Blogger 2021 ausgezeichnet. Nach mehr als drei Jahren spendenfinanzierter Arbeit führen die beiden Journalistinnen den Podcast inzwischen in ­Kooperation mit Zeit Online und WDR Cosmo weiter.

190220 – Ein Jahr nach Hanau

In sechs Episoden setzt sich der Podcast "190220 – Ein Jahr nach Hanau" mit dem rassistischen Anschlag vom 19. Februar 2020 auseinander: Die Journalistinnen Sham Jaff und Alena Jabarine sprechen mit Überlebenden und Angehörigen der Opfer sowie mit Expert_innen, die die Hintergründe des Anschlags kommentieren. Zusammen mit ihren Kolleginnen Viola Funk und Şeyda Kurt haben die beiden ein informatives und einfühlsames Podcastformat entwickelt.

Im Zentrum stehen offene Fragen um die Aufklärung der Tat sowie die politische und gesellschaftliche Verantwortung, was den Umgang und die Folgen des Anschlags betrifft. Intensive Dialoge, in denen Menschen aus Hanau-Kesselstadt zu Wort kommen, machen die Folgen, die am ersten Jahrestag des Anschlags erschienen, zu einem zeitlosen Dokument.

Im Juli 2021 erschien eine weitere Folge – kurz nachdem bekannt wurde, dass 13 in der Tatnacht eingesetzte SEK-Beamte einem rechtsextremen Chat angehört haben sollen. Der Podcast ist eine Produktion von ACB Stories und Spotify Studios. Er wurde 2021 mit dem Grimme Online Award in der Kategorie Information ausgezeichnet. Die Folgen sind über Spotify abrufbar.

Aufklären und Einmischen

Die Initiative NSU Watch produziert seit 2018 mindestens einmal im Monat den Podcast "Aufklären und Einmischen". In Form von Hintergrundgesprächen berichten Betroffene und Expert_innen von rassistischen und rechtsextremen Vorfällen und Strukturen.

In den seit 2020 produzierten "Vor Ort"-Folgen geschieht dies besonders plastisch, jeweils zugeschnitten auf eine bestimmte Region oder ein Ereignis. NSU Watch kooperiert mit dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e. V.). "Wir wollen die Angehörigen von Ermordeten, die Überlebenden und die Betroffenen von rechtem Terror mit ihren Stimmen in den Vordergrund rücken", sagt NSU Watch-Redakteurin Caro Keller. Auch Überlebende des Anschlags von Halle sprechen über ihre Einschätzungen und Forderungen.

Wir wollten und wollen das Wissen zum NSU-Komplex und rechtem Terror so vielen Menschen wie möglich zugänglich machen – auch damit sie etwas tun gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt.

Caro
Keller
NSU Watch-Redakteurin

Das Format lebt von einer sensiblen und analytischen Auseinandersetzung mit menschenfeindlicher Gewalt und Ideologie und profitiert von der unermüdlichen Recherchearbeit der Initiative: NSU Watch protokollierte alle Verhandlungs­tage im NSU-Prozess und dokumentierte die Arbeit der verschiedenen Untersuchungsausschüsse.

"Wir wollten und wollen das Wissen zum NSU-Komplex und rechtem Terror so vielen Menschen wie möglich zugänglich machen – auch damit sie etwas tun gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt", sagt Keller.

Das Webangebot von NSU Watch wurde 2020 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Es sei eine Dokumentationsleistung, für die, wie die Jury betonte, in dieser Kontinuität und Tiefe sonst in den Medien kein Platz sei.

Andreas Koob ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

Zu hören sind die Podcasts auf Spotify und ­anderen Online-Plattformen.

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