Amnesty Journal 27. Mai 2025

Menschenrechtsstädte: Vorbild Nürnberg

Eine Fahne weht vor einem Bürogebäude

Auf dem Weg zur Menschenrechtsstadt: Menschenrechtsfahne vor dem Rathaus von Sindelfingen

Weltweit verpflichten sich immer mehr Städte zur Einhaltung der Menschenrechte. Auch deutsche Kommunen zeigen großes Interesse an der Bewegung der Menschenrechtsstädte.

Von Stefan Wirner

Mehr als die Hälfte aller Menschen weltweit lebt in Städten. Dort wohnen und arbeiten sie, dort nehmen sie ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte wahr. Die Kommunen spielen bei der Gewährung dieser Rechte eine große Rolle: Sie sind Arbeitgeber, erteilen Aufträge und sind verantwortlich für das Wohlergehen der Bürger*innen. 

Das ist auch der Grundgedanke einer Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Menschenrechte gerade in den Städten zu stärken. Ein offizielles Label gibt es bislang nicht, doch die Städte, die sich zur "Menschenrechtsstadt" erklären, verpflichten sich damit, ein besonderes Augenmerk auf die Einhaltung der Menschenrechte zu richten. Die Bewegung bildet inzwischen ein Netzwerk über alle Kontinente hinweg (siehe Hintergrund unten). Auch in Deutschland tut sich einiges.

Die erste deutsche Menschenrechtsstadt

In Nürnberg wurde bereits 1993 die "Straße der Menschenrechte" eröffnet, eine begehbare Skulptur des inzwischen verstorbenen israelischen Künstlers Dani Karavan. Sie besteht unter anderem aus 27 Rundpfeilern, die jeweils einen Menschenrechtsartikel präsentieren. Seit dem Jahr 1995 vergibt die Stadt überdies einen Menschenrechtspreis, der auf eine Initiative des früheren Oberbürgermeisters Peter Schönlein zurückgeht. "Er war überzeugt davon, dass Nürnberg sich mit seiner Geschichte zwischen 1933 und 1945 auseinandersetzen müsse", erzählt die Historikerin Martina Mittenhuber, die das 1997 eingerichtete Menschenrechtsbüro der Stadt leitet. 

Der Menschenrechtspreis geht alle zwei Jahre an Personen oder Gruppen, die sich für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen. Es geht um "hidden heroes", wie Mittenhuber sagt, Menschen, die nicht im Rampenlicht stehen. So wurde 2023 Malcolm Bidali aus Kenia geehrt, der sich gegen die Ausbeutung immigrierter Arbeitskräfte in Katar engagiert.

Immer im Anschluss an die Preisverleihung im Opernhaus findet auf der "Straße der Menschenrechte" eine "Friedenstafel" statt, ein Open-Air-Picknick, an dem rund 5.000 Menschen teilnehmen. "Da zeigt sich, dass das Engagement für die Menschenrechte tief in unserer Stadtgesellschaft verwurzelt ist", sagt Mittenhuber.

Seit dem Jahr 2001 gehört die Verpflichtung, die Menschenrechte zu achten, zum offiziellen Leitbild der Stadt. So hat es der Stadtrat beschlossen. Im Jahr 2004 gründete die Stadt Nürnberg außerdem zusammen mit der UNESCO die Europäische Städtekoalition gegen Rassismus, die sich dem Kampf gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit verschrieben hat. 

Dem Menschenrechtsbüro kommt bei all diesen Aktivitäten eine zentrale Rolle zu. Es wird zu zwei Dritteln aus dem städtischen Haushalt finanziert und ist mit zehn Vollzeitstellen besetzt. "Das alles macht die Stadt freiwillig", sagt Mittenhuber. "Wichtig ist, dass der Gedanke der Menschenrechte im Lokalen gelebt wird." 

Sehr engagiert: Köln

Die Initiative Menschenrechtsstadt Köln entstand aus einem anfangs kleinen Kreis von Interessierten, erzählt Sebastian Bartsch. Der Politologe ist Mitglied bei Amnesty International. Vor einiger Zeit begann er, sich eingehender mit dem Thema Städtepartnerschaften und Menschenrechte zu beschäftigen. Auslöser war im Jahr 2012 die Feier zum 35-jährigen Bestehen der Partnerschaft Kölns mit Peking. 

Eine Mehrheit im Rat der Stadt drängte damals die Verwaltung dazu, auch Veranstaltungen zur Menschenrechtssituation in China ins Programm aufzunehmen. Doch man fürchtete, damit die chinesischen Partner*innen zu verprellen. Also organisierte die Köln-Ehrenfelder Amnesty-Gruppe Veranstaltungen zur Menschenrechtssituation in China. Das fand man in der Stadtverwaltung gut. "Man war offenbar froh darüber, das Thema an uns auszulagern", vermutet Bartsch.  

Die Ehrenfelder Gruppe begleitet seither die Städtepartnerschaft kritisch. Im Mai 2016 führte ein von ihr angeregter Offener Brief dazu, dass der Rat die Verwaltung beauftragte, ein Konzept für die Weiterentwicklung der Städtepartnerschaftsarbeit unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte zu erstellen. Das Konzept wurde Anfang 2023 verabschiedet. Im Dezember 2019 veranstalteten Amnesty Köln, das Büro Europa und Internationales, das direkt bei der Oberbürgermeisterin Henriette Reker angesiedelt ist, und die Volkshochschule einen internationalen Praxisworkshop zum Thema "Menschenrechte in der Stadt". 

Im August 2020 gründete sich dann offiziell die Initiative Menschenrechtsstadt Köln. Auch aufgrund ihres Engagements beteiligt sich Köln beispielsweise an der Kampagne "10, 100, 1.000 Menschenrechtsstädte und -territorien bis 2030" des globalen Netzwerks United Cities and Local Governments.

"Wir wollen noch vor der Kommunalwahl 2025 einen Ratsbeschluss erreichen, mit dem sich Köln zur Menschenrechtsstadt erklärt", sagt Bartsch. In der Stadtgesellschaft sei die Haltung dazu sehr positiv. "Manchmal kommt es zwar zu dem Missverständnis, die Stadt würde sich dadurch nur mit einem Label schmücken wollen", sagt er. "Aber sich zur Menschenrechtsstadt zu erklären, heißt ja nicht, dass man schon perfekt ist. Es drückt eine Ambition aus und sollte auch mit einem konkreten Arbeitsprogramm verbunden werden", betont er. 

Sindelfingen hisst "Fahne der Menschenrechte"

Am 10. Dezember 2024 stand Sindelfingen ganz im Zeichen der Menschenrechte. Denn am Internationalen Tag der Menschenrechte wurde vor dem Rathaus eine "Fahne der Menschenrechte" gehisst. An ihrer Gestaltung hatten sich Kindertagesstätten, Schulen und Vereine beteiligt. Trotz schlechten Wetters kamen rund 100 Menschen zu der Veranstaltung, die vom Büro für internationale Angelegenheiten der Stadt organisiert wurde. "Uns war es wichtig, mit den Menschen in Kontakt zu treten und zu erfahren, was ihnen die Menschenrechte bedeuten", sagt Natalie Pawlowski, die das Büro leitet. 

Vorbereitet wurde die Aktion mit einer Kampagne in den Online-Netzwerken. Dabei wurde auf Instagram und Facebook in einem Countdown jeden Tag ein Menschenrecht vorgestellt. Begleitend fanden Lesungen an Schulen statt. Für Oberbürgermeister Bernd Vöhringer sind Menschenrechte ein wichtiges Anliegen. Auf seine Initiative gründete sich zu Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auch das Netzwerk Cities4Cities, über das ukrainische Gemeinden ihren Bedarf an humanitärer Hilfe melden, sodass europäische Kommunen direkt helfen können.

"Städte und Gemeinden müssen beim Thema Menschenrechte mehr Gehör in nationalen und internationalen Diskussionen finden", sagt Pawlowski. "Dabei möchte sich Sindelfingen als angehende Menschenrechtsstadt positiv einbringen."

HINTERGRUND

MENSCHENRECHTSSTÄDTE

Geburtsstunde der Bewegung war die Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen im Jahr 1993 in Wien. 1997 erklärte sich Rosario in Argentinien als erste Stadt der Welt zur Menschenrechtsstadt. 2001 wurde Graz die erste europäische Stadt der Menschenrechte. 2011 fand zum ersten Mal das Weltforum der Menschenrechtsstädte statt. Im selben Jahr gründete sich das Netzwerk United Cities and Local Governments (UCLG) und verabschiedete die Global Charta Agenda für Menschenrechte in der Stadt. Ein einheitliches Label mit internationalen Standards gibt es allerdings nicht.

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