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Hass und Hetze im Netz
Der Würzburger Medienrechtsanwalt Chan-jo Jun hat einen Prozess wegen Beleidigung und Verleumdung gegen Twitter gewonnen. Für Jun ist dies der zweite große Erfolg gegen ein Social Media-Unternehmen. Im Frühjahr 2022 hatte der Anwalt bereits erfolgreich gegen Facebook prozessiert.
Interview: Tobias Oellig
Sie haben für Michael Blume, den Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, gegen Twitter einen Prozess wegen Verleumdung gewonnen. Was bedeutet dieses Urteil für Betroffene von Hassrede?
Bislang wurden nur Urteile mit großer Symbolwirkung, aber wenig praktischem Nutzen erstritten. Ein rechtskräftiges Urteil, nach dem ein Inhalt nach zwei Jahren gelöscht wird, zeigt uns zwar, was Meta oder Twitter künftig anders machen müssen, hilft dem Betroffenen jedoch nur, wenn es ihm allein ums Prinzip geht. Die Twitter-Entscheidung für Herrn Blume zeigt erstmals, wie Nutzer im Eilverfahren sogar Hunderte von rechtswidrigen, kerngleichen Inhalten auch mit Wirkung für die Zukunft entfernen lassen können. Die Entfernung kerngleicher Inhalte ist die eigentliche Sensation. Früher mussten Opfer jeden Kommentar oder Tweet einzeln aufspüren und neu melden. Jetzt liegt diese Verpflichtung bei den Plattformbetreibern, sobald sie Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt haben.
Was ist an der Art, wie der neue Twitter-Eigner Elon Musk Meinungsfreiheit interpretiert, problematisch?
Elon Musk nannte sich selbst Free-Speech-Absolutist und meinte damit die uneingeschränkte Redefreiheit, die auch nicht durch die Menschenwürde oder Persönlichkeitsrechte beschränkt werden dürfe. Nach der Twitter-Übernahme hat er aber demonstriert, dass er sehr wohl Einschränkungen der Redefreiheit umsetzt, nämlich dann, wenn User ihn kritisieren, parodieren oder öffentlich zugängliche Positionsdaten seines Privatjets teilen.
Wie geht es gegen Twitter nun weiter?
Twitters Anwälte haben unmittelbar nach der Urteilsverkündung Berufung eingelegt. Jetzt muss das OLG Frankfurt als zweite und letzte Instanz entscheiden. Wenn sich das OLG der sorgfältigen Begründung der Vorinstanz anschließt, dürften sich auch andere Gerichte so lange an dem Urteil orientieren, bis der Gesetzgeber oder der Bundesgerichtshof neue Regeln aufstellen. Die Entscheidung erwarten wir in den nächsten Monaten.
Welche Gesetzesänderungen bräuchte es Ihrer Meinung nach, um Menschen besser vor Hassrede zu schützen?
Die Umsetzung der bestehenden Gesetze wäre ein notwendiger, aber nicht hinreichender Anfang. Wir würden unser Ziel erreichen, wenn man alle Verhaltensweisen, die offline verboten sind, auch im Online-Bereich entsprechend regeln würde. Dieser Gleichlaut existiert bisher nicht. Wir brauchen die Durchsetzung von Bußgeld gegen Plattformbetreiber, Vorgehen gegen anonyme Accounts, einen Bußgeldkatalog für kleinere Delikte, Schadensersatzregeln für Verleumdungsschäden, präventive Polizeiarbeit im Netz und leichteren Zugang zu Rechtsbehelfen für User.
Mit Klagen gegen Facebook und Twitter erfolgreich: Der Würzburger Medienanwalt Chan-jo Jun
© privat
Sie waren selbst lange auf Twitter aktiv, machten dann eine Pause und kamen zurück. Wie erklären Sie sich die zunehmende Verrohung auf Twitter?
Das Einheizen von Empörung ist ein politisch wie finanziell lukratives Geschäftsmodell, das seit den politischen Auseinandersetzungen um das Thema Flucht ab 2015 immer weiter perfektioniert wurde. Auf Marktplätzen oder in Leserbriefen war zuvor wenigstens die Strafbarkeit die Grenze des Sagbaren. Diese subjektive Grenze hat sich seither verschoben. Die Täter von Hasskriminalität glauben ernsthaft, mit ihren Mordaufrufen, Holocaust-Vergleichen oder Verleumdungen Verfassungsrechte wahrzunehmen, erleben sie doch Anerkennung durch ihre Anhänger statt Sanktionen.
Wie bekommt man Hass und Hetze auf Social Media in den Griff?
Twitter ist weiterhin für Informationsbeschaffung und Meinungsbildung in Reichweite und Geschwindigkeit ungeschlagen. Harter, aber sachlicher Diskurs wäre möglich, wenn User einen Minimalkonsens von Anstand anwenden würden. Freiwillig funktioniert dies für viele, aber leider nicht für alle User. Transparente, aber konsequent umgesetzte Regeln sind also unverzichtbar. Die Verantwortung dafür liegt bei den Plattformbetreibern, und die Spielregeln kommen vom Gesetzgeber. Der Staat ist irrtümlich davon ausgegangen, dass dies für eine Umsetzung ausreichen würde. Er muss jetzt endlich Handlungsfähigkeit beweisen, wenn er die Hoheit über die Verfassung nicht an die Herren Musk und Zuckerberg abgeben will.
Tobias Oellig ist freier Reporter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
Chan-jo Jun auf Twitter und über das Twitter-Urteil auf YouTube.